Ich will auch im Alltag eine Frau sein

TRANSGENDER Die transidente Chou-Chou de Briquette kämpft seit Jahren um Eintragung ihres selbstgewählten Namens in den Pass. Ein neues Gesetz soll Abhilfe schaffen

Ich habe gerade eine Identitätskrise, ich habe meine Papiere verloren", sagt die Person. Für die meisten Menschen ist das kein Problem. Sie beantragen bei der Polizei neue Dokumente. Doch die Person hat nicht einfach nur ihre Unterlagen verschusselt, ihr ist mit dem Verlust des Personalausweises ihr letztes Stückchen "bürgerlichen" Daseins abhanden gekommen. Dieses Dasein ist ein männliches Leben mit einem männlichen Namen. Äußerlich deutet an der Person, dem Mann, nichts darauf hin, dass es auch anders sein könnte: Der Mann trägt meist einen Dreitagebart und Hosen, Männerpullover und Turnschuhe. Doch das ist nur ein Teil dieses Menschen, der seinen Geburtsnamen öffentlich nicht nennt. Weil er ihn nicht annimmt. Nie angenommen hat.

Frauenseele in einem Männerkörper

Denn der Mann fühlt wie eine Frau. Er sagt, er ist eine. Und als diese schlüpft er in Frauenkleider, "Fummel", wie es in der Szene heißt, hochhackige Pumps, Ketten, Ringe und Perücken. Die Frau in dem Mann schminkt sich, lackiert sich die Fingernägel und ist ganz Weib - so, wie es viele Frauen gern sein würden, aber niemals sein werden. Wenn die Frau in dieser Aufmachung durch die Straßen Berlins schlendert und in die Klubs einkehrt, die sich Menschen wie die Person in der Zeit des homosexuellen Ausbruchs in den achtziger Jahren selbst geschaffen haben, dann geht es ihr gut, dann weiß sie, dass sie gerade das richtige Leben im falschen lebt.

Die Person ist transsexuell - eine Frauenseele in einem Männerkörper. Schätzungen zufolge - genaue statistische Angaben existieren nicht - soll es in Deutschland etwa 2.000 bis 5.000 Transsexuelle geben. Wissenschaftlich gesehen ist Transsexualität bisher ein Rätsel geblieben. Kein Arzt und kein Sexualwissenschaftler hat bisher klären können, wo die Ursachen für die verwischten Geschlechtergrenzen liegen. Es kursieren Theorien von genetischer Vorbelastung und falscher Erziehung über hormonelle Störungen bis hin zu frühkindlichen psychischen Traumata. Den Betroffenen, den transidenten Menschen, wie sie sich selbst nennen, sind die Wurzeln für ihr "Anderssein" häufig egal. Sie wollen nur eines: Die Frau oder der Mann sein dürfen, als die bzw. der sie sich fühlen.

Auch unsere Person möchte dieses "zweite", das wahre Leben zu ihrem ersten machen. Sie möchte, dass sie auch im Alltag eine Frau sein darf. Mit einem Namen, den sie sich selbst gegeben hat. Seit Jahren führt Chou-Chou de Briquette, wie sie sich seit 1984 nennt, mit den Ämtern einen Kampf um ihren Benennung - und damit um ihre Identität. Bisher hat sie den Kampf stets verloren. Das Transsexuellengesetz (TSG), das seit 1980 in der Bundesrepublik existiert, schreibt eine Namensänderung nur im Zusammenhang mit einer Personenstandsänderung vor. Das heißt, dass sich Menschen, die sich dauerhaft zum anderen Geschlecht zugehörig fühlen, nach eingehenden Untersuchungen und Therapien einer Geschlechtsumwandlung unterziehen können. Nach dieser Operation wird eine Personenstandsänderung vorgenommen, durch die den Betroffenen auch juristisch das "neue" Geschlecht und ein neuer Name zuerkannt werden.

Gesetz ohne Chance

Doch eine Operation hat Chou-Chou nie durchführen lassen. Allein deshalb hat sie nach den jetzt geltenden Gesetzen nie eine Chance, diejenige zu sein, die sie sein will. Hoffnung schöpfte Chou-Chou de Briquette, als die Projektgruppe Geschlecht und Gesetz (PGG) Ende des vergangenen Jahres der Bundesregierung einen Entwurf für ein neues "Gesetz über die Wahl und oder Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit", kurz Transgendergesetz (TrGG), übergeben hatte. Dieses Gesetz soll nach den Vorstellungen der Projektgruppe, die sich im September 1999 eigens für die Änderung des TSG gegründete hatte, das nunmehr 20 Jahre alte Transsexuellengesetz ablösen, weil dieses inhaltlich als überholt und auch in der Umsetzung als wenig praktikabel gilt. Teil des Gesetzentwurfes ist die Vereinfachung der Namensänderung und Änderung der Geschlechtsidentität in behördlichen Dokumenten, ohne sich einer Zwangsoperation unterziehen zu müssen.


    Das Gesetz

    Transsexualität ist das sichere Gefühl, dem anderen Geschlecht anzugehören, abweichend von der biologischen Zuordnung. Diese wissenschaftlich und medizinisch anerkannte Erkenntnis führte im September 1980 zur Verabschiedung des ersten bundesdeutschen Gesetzes durch den Bundestag, das Transsexualität regelt, dem "Transsexuellengesetz" (TSG). Darin heißt es, dass Transsexuelle in ihrem Befinden zwar anerkannt werden, aber sich operieren lassen müssen, um ihre "andere" Identität auch mit allen rechtlichen Konsequenzen anerkannt zu bekommen. Die durchschnittliche Verfahrensdauer liegt bei 18 und 24 Monaten - für Betroffene ein unzumutbarer Härtetest. Das TSG stellte nach seiner Verabschiedung einen erheblichen Fortschritt dar. Doch es wies nach und nach Lücken auf. Darüber hinaus häuften sich Ende der achtziger Jahre Beschwerden über Missbrauch und Fehlentscheidungen von Gutachtern. Zusätzlich erleben Betroffene immer wieder Spannungen und Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt und in der Öffentlichkeit. Nun soll das Transsexuellengesetz durch ein Transgendergesetz (TrGG) abgelöst werden. Das TrGG fordert u.a. die Anerkennung aller Transgender-Personen, denen alle Grundrechte ungekürzt zugebilligt werden sollen. Das schließt die körperliche Unversehrtheit ein und damit die Anerkennung der Geschlechtsidentität auch ohne operativen Eingriff. Das TrGG macht deutlich, dass die sexuellen Grenzen und Übergänge fließend sind und der formalistische Zwang zur geschlechtlichen Eindeutigkeit gegen die Würde des Menschen verstößt.

    Lesetipp: Helma Katrin Alter: Gleiche Chancen für alle. Transidentität in Deutschland 1998/1999. libri Digital Services, Köln 2001. 29,80 DM

Doch der Gesetzentwurf hat kaum eine Chance. Zu groß sind - nach den Grabenkämpfen im vergangenen Jahr um die Eingetragene Partnerschaft für Lesben und Schwule - in der Bundesregierung die Widerstände, um Trans- und Intersexuellen (Menschen mit beiderlei Geschlechtsmerkmalen) zu mehr Rechten zu verhelfen. Zwar hat die Übergabe des Papiers im Berliner Reichstagsgebäude auf Einladung der beiden Bundesrats- und SPD-Mitglieder Alfred Hartenbach und René Röspel stattgefunden. Aber innerhalb der Partei, aber auch bei FDP und CDU/CSU, stößt das Gesetz auf Ablehnung. Lediglich die Grünen und die PDS kündigten an, sich mit Trans- und Intersexualität befassen zu wollen.

Und das auch nur, weil die "Homo-Politiker" Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen) und Christina Schenk (PDS) den PGG-Entwurf aufgreifen wollen. "Das Transsexuellengesetz von 1980 mag für den Zeitgeist von vor 20 Jahren fortschrittlich gewesen sein. Heute ist es dringend reformbedürftig", erklärt Christina Schenk, in der PDS-Bundestagsfraktion gleichstellungs- und lesbenpolitische Sprecherin. Für Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau verstehen, fehlten jegliche rechtliche Regelungen, so ihre Argumentation. Und: Jeder Mensch hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit. "Geschlechtliche Vielfalt muss gesellschaftlich und rechtlich anerkannt werden", so Schenk.

Auch der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) hat den Entwurf begrüßt. "Der Gesetzentwurf trägt dem aktuellen Erkenntnisstand über die betroffenen Personenkreis umfassend Rechnung und beseitigt dessen bisherige rechtliche Entmündigung", heißt es in der Begründung.

Wer bin ich?

Bereits im frühen Kindesalter merkte der Junge, der sich heute Chou-Chou nennt, dass er anders ist. "Zwar konnte ich es nicht so benennen, aber ich fühlte bereits mit sechs, dass ich schwul bin", sagt sie. Als Chou-Chou später, im jungen Erwachsenenalter, ihrer Mutter eröffnete, dass sie sich als Frau fühlt, litt die Mutter heftig. Den Fakt, einen schwulen Sohn zu haben, ertrug sie gerade noch. Dass ihr Sohn aber transsexuell sein sollte und sich eventuell operieren lassen würde, kann sie bis heute nicht verwinden. "Sie weinte oft und hat mir Vorwürfe gemacht", erinnert sich Chou-Chou - und hat irgendwann eine Geschlechtsumwandlung ausgeschlossen.

"Jahrelang habe ich über eine OP nachgedacht: Ich habe mich nicht als Mann begriffen und wollte eine Frau sein. Immer wieder habe ich die Für und Wider eines operativen Eingriss abgeklopft. Letztlich aber überwogen die Nachteile", sagt die inzwischen 39-Jährige. Bei einer Operation kann einiges schiefgehen: Das geringste Übel sind hässliche Narben, im schlimmsten Fall bleiben Impotenz, Gefühllosigkeit in den neuen Geschlechtsorganen und dauerhafte Schmerzen.

"Und im Grunde werde ich nie eine richtige Frau sein", begründet Chou-Chou ihren Verzicht auf geschlechtliche Umwandlung. "Ich werde nie gebären können. Ja, ich habe Gebärneid." Obwohl sich Chou-Chou mit ihrem weiblichen Gefühl im männlichen Körper abgefunden hat, gibt es immer wieder Phasen, in denen ein unausgesprochener Vorwurf sich selbst gegenüber im Raum steht: Hättest du lieber eine OP vornehmen lassen, dann wärst du vielleicht endlich als Frau anerkannt.

Dann würde "Chou-Chou de Briquette" als bürgerlicher Name im Pass stehen. Dann könnte sie mit "Chou-Chou" Arbeitsverträge und amtliche Schreiben unterzeichnen - und die Papiere würden Gültigkeit besitzen. Das alles geht derzeit nicht - und wird womöglich noch für lange Zeit eine Hoffnung bleiben. "Zwar darf ich überall dort, wo ich Geld loswerden kann, wo andere an mir verdienen, meinen Namen eintragen lassen", erklärt Chou-Chou. So kann sie ein Konto eröffnen, einen Mietvertrag unterzeichnen und den Telefonanschluss unter diesem Namen eintragen lassen. Auch die Postfrau weiß, wer Chou-Chou ist und wo sie ihren Briefkasten hat.

In solchen Fällen wird "Chou-Chou de Briquette" als Künstlername anerkannt. Doch die 2 im Amtsverkehr gültigen Papiere muss sie mit einem Männernamen unterschreiben. Wenn sie auf dem Arbeitsamt oder beim Arzt mit ihren Geburtsnamen aufgerufen wird, reagiert sie in der Regel nicht. Weil sie ihn fast vergessen hat. Bis der Lautsprecher den Namen wiederholt. Dann schreckt sie hoch und erinnert sich: Ach ja, du bist gemeint.

Ihr Leben lang hat Chou-Chou in Kreisen und Einrichtungen gearbeitet, deren Mitarbeitern es egal war, wie sich Chou-Chou nennt und welche Identität sie besitzt: Sie hat in der Berliner Schwulenberatung und in Aids-Beratungsstellen gejobbt. Als Künstlerin tritt sie regelmäßig im Berliner "Café Transler" auf, einer Travestie- und Transsexuellen-Veranstaltung. "Alle kennen mich unter Chou-Chou. Meinen Geburtsnamen habe ich nie erwähnt." In der sogenannnten Transen-Szene musste sie nie ein Geheimnis um ihr "Doppelleben" machen.

Kürzlich nahm sie eine Stelle in einer "stinknormalen" Werbeagentur an und stand plötzlich vor für sie existenziellen Fragen: Wie werde ich dort auftreten? Wie werde ich mich nennen? Wie wird man auf meine verschiedenen Identitäten reagieren? Die Mitarbeiter der Agentur nahmen das Outing "erstaunlich gelassen" auf. Um gleich mit offenen Karten zu spielen, offenbarte Chou-Chou beim Einstellungsgespräch, was mit ihr los ist. Für den Chef war das kein Problem. Er fragt sie sogar, ob sie mit "Frau" oder "Herr" angesprochen werden möchte. Ihren Arbeitsvertrag indes musste sie mit ihrem bürgerlichen Namen unterzeichnen. Dieses Spiel kannte sie ja bereits.

Am Ende bleibt Diskriminierung und Intoleranz

Als der Bundesverband der Deutschen Standesbeamtinnen und Standesbeamten im Januar dieses Jahres lauthals eine Modernisierung des seit 1875 geltenden Personenstandsgesetzes forderte, flammte in Chou-Chou erneut die Hoffnung auf Erleichterung auf. Schließlich werden sich die meisten Standesämter ab kommendem Sommer auf für sie neue Hochzeitspaare vorbereiten müssen: die Lesben und Schwulen, die dann ganz legal den Bund der Ehe eingehen dürfen. Warum soll dieser Bundesverband nicht so modern sein und auch eine Verbesserung für Personen wie sie durchsetzen wollen? Doch die Initiative der Standesbeamten entpuppte sich als ein "technischer" Vorstoß und mündete in Forderungen wie der nach Computern und Druckern sowie der Erlaubnis, Familienbücher nicht mehr Jahrzehnte lang im Keller lagern zu müssen, sondern elektronisch speichern zu dürfen.

Inzwischen ist die Kämpferin müde geworden: "Ich habe das Gefühl, dass ich überall dort, wo ich zum ersten Mal auftauche, immer wieder von vorn anfange. Ich erzähle meine Geschichte und erkläre mich, versuche zu vermitteln und Verständnis zu bekommen. Aber meistens blicken mich fragende Gesichter an, die in der Regel verunsicherter sind als vorher." Als weitaus schlimmer empfindet sie jedoch offene Diskriminierung und die Intoleranz. "Wie oft habe ich es erlebt, dass mir jemand sagte: In Ihrem Ausweis steht als Geschlecht ›männlich‹. Also sind Sie für mich ein Mann, und als solcher spreche ich Sie an. Basta!"

Selbst in der Szene, die solidarisch sein müsste, fühlt sie sich mit ihren politischen Forderungen und Kämpfen nicht immer aufgehoben. "Manchen geht es verstärkt um ihren Spaß. Die treten vor Publikum in Fummeln auf, bekommen Applaus und fühlen sich in dem Moment wohl. Aber als Frau auf die Straße zu gehen, das wagen sie nicht." Eine solche Haltung verstehe Chou-Chou zwar, wie sie sagt, lehne sie aber dennoch als inkonsequent ab. "Das ist schizophren. Und das habe ich satt."

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