Gartencenter

A–Z Kein Garten ohne Gartencenter. Im Wochenlexikon führt Simon Schaffhöfer durch das Reich der Bratwürste und Gartenzwerge
Ausgabe 22/2019

A

AstroTurf gilt als die erste große US-amerikanische Kunstrasenmarke. 1966 wurde sie im weltweit ersten Multifunktionsstadion, dem Houston Astrodome, als Innovation gefeiert. Inzwischen gibt es vergleichbare Kunstrasenalternativen in jedem guten Gartencenter ab 1,99 Euro pro Meter. Neuere Modelle (Rasen) tragen eher schnittige Namen wie „Arizona“, „Montreal“ oder „Wimbledon“. Vor allem aber steht „Astroturfing“ heutzutage für versteckte PR- und Lobbyarbeit unter dem Deckmantel authentischer Bürgerinitiativen.

So sorgte die Bahn 2009 für einen Skandal, als sie vermutlich knapp 1,3 Millionen Euro für die „verdeckte Beeinflussung der Öffentlichkeit“ durch Leserbriefe, Medienbeiträge und Umfragen ausgab. Inzwischen findet Astroturfing vor allem in den sozialen Medien statt – und hat sich im Preisniveau dem Gartencenter angepasst. 1.000 Instagram-Follower kosten lediglich genauso viel wie drei Meter Kunstrasen.

B

Baumarkt Sie werden im Laufe dieses Wochenlexikons merken, dass „Baumarkt“ und „Gartencenter“ beinahe als Synonym benutzt werden. Tatsächlich ist die Situation allerdings komplexer: Laut dem Duden ist der Baumarkt eine „Verkaufsstelle für Baumaterialien, Werkzeuge o. Ä.“, das Gartencenter hingegen ein „Fachmarkt mit einem auf den Bedarf von Gartenbesitzern ausgerichteten Warenangebot“ (Sadismus). Viele Gartencenter sind allerdings an größere Baumärkte angeschlossen. Die logische Schlussfolgerung: Der „Gartenmarkt“ wiederum verweist nur auf das Gartencenter, nicht aber auf den Baumarkt. Und die Suche nach einem „Baucenter“ bleibt erfolglos. Ohnehin kaufen Profi-Gärtner eher nicht in einem Gartencenter, sondern in Staudengärtnereien oder Pflanzenmärkten. Den „Gartenzaun“ hingegen findet man im Baumarkt.

E

Eröffnung Insbesondere im Ruhrgebiet ist die Gartencenter- und Baumarkt-Eröffnung ein Happening historischen Ausmaßes, das mühelos mit Weihnachten, Geburtstag oder der Taufe des Erstgeborenen mithalten kann. Denn hier gibt es Gewinnspiele, Kinderschminken und mit etwas Glück sogar eine mit Kinderschminke beschmierte Hüpfburg. Man reicht Snacks, Gratisgeschenke und Schrauben zu Kilopreisen, während die Heilige Dreifaltigkeit der Baumarkt-Eröffnungen – der stellvertretende Bürgermeister, ein Lokalradiomoderator ohne Schamgefühl und eine namenlose DSDS-Drittplatzierte – durch den Tag führt. Wie sonst nur Rathäuser und Kirchen brennen sich Gartencenter in das kollektive Gedächtnis einer Stadt ein.

Der älteste bekannte Gartencenter öffnete übrigens im 18. Jahrhundert in West Wycombe, Südengland – ursprünglich als Küchengarten des reichlich pompösen West Wycombe Park. Seit das „Anlex Land Garten Centre“ im Jahre 2014 schloss, firmiert ein Laden gleichen Namens im 20 Meilen östlich gelegenen Northwood. Ob es zu dessen Eröffnung allerdings Snacks und Kinderschminke gab, ist unklar.

F

Fauna Biologisch betrachtet werden Tiere in Klasse, Ordnung, Familie, Gattung und Art eingeordnet. Von einem rein sozialen Standpunkt aus sollte allerdings noch eine weitere Kategorie eingeführt werden: Gartencenter oder Zoohandlung. Denn während die Zoohandlung von Kindertagen an eine Aura des Mystischen umweht, findet man die Tiere im Gartencenter irgendwo zwischen Heckenscheren und Terrakottatöpfen. Man möchte die Fische, Kaninchen, Hamster, Vögel und Insekten beinahe bemitleiden, die, abkassiert wie ein Sack Rindenmulch, ein Leben lang damit klarkommen müssen, Gartencentertiere zu sein. Frei nach George Orwell: „Alle Tiere sind gleich, aber manche gibt’s im Baumarkt.“

G

Gastronomie Ein Drittel der Ikea-Kunden besucht das Einrichtungshaus nicht wegen der Möbel, sondern wegen des Essens. Was klingt wie eine Marketing-Sensation, lässt die meisten Imbiss-Besitzer vor Baumärkten vermutlich nur müde lächeln. Was Ikea die Hotdogs sind, ist dem Fachmarkt die Currywurst. Es muss die männlich-schwitzige Handwerker-Aura des Baumarkts sein, die selbst den überzeugtesten Bio-Studenten nach dem Kauf einer Spanplatte an den Alutresen zieht. Auch Spitzenköche haben das Potenzial erkannt und in den Baumarkt-Imbissmarkt investiert. So betreibt das „Grillbar“-Franchise von Fernsehkoch Mario Kotaska inzwischen über 50 Imbisse.

K

Kundenparkplatz Die Welt ist ein Parkplatz und endet vor Disneyland heißt ein ganz großartiger Erzählband von Benjamin Maack. Wer die wahre Welt erleben will, muss allerdings nicht nach Orlando oder Paris fliegen. Es genügt eine Fahrt auf den Gartencenter-Parkplatz. Die Presseportale der Polizei sind voll von Unfällen und Skurrilitäten, die sich vor deutschen Fachmärkten ereignen. Am 19. März etwa verlor ein Mann in Herne beim Fliesenkauf mal eben 1.500 Euro. In der Region Stuttgart gab sich ein 64-Jähriger als Gartencenter-Mitarbeiter aus, um illegal Autopolitur zu verkaufen. Und im Münsterland meldete eine Seniorin ihren geparkten Opel als gestohlen – um wenig später festzustellen, dass ihr Auto mit gelöster Handbremse vom Parkplatz hinunter auf die Verkaufsfläche eines Autohändlers gerollt war und sich dort als „Angebot der Woche“ tarnte. Wer solche Geschichten liest, wird über Micky Maus nur noch müde lächeln können.

P

Projekt Das Projekt ist eine mystische Entität, die noch nie ein Mensch gesehen oder fertiggestellt hat – für die aber dennoch immer weiter eingekauft werden muss. Fast jeder Kunde im Gartencenter hat so ein Projekt, das „im Prinzip“ auf einer einfachen Idee fußt, doch fortwährend Tücken im Detail birgt. Wie auch bei anderen Religionen liegt der Sinn des Projekts nicht in der Erleuchtung selbst, sondern im Weg dahin. Wer will, kann in jeder Arbeit ein Projekt sehen und sich Stein für Stein und Schraube für Schraube in die Selbstverwirklichung zimmern.

Große Baumarktketten haben das Projekt längst zum Geschäftsmodell gemacht und verkaufen nicht mehr nur Baumaterialien (Baumarkt), sondern „Projektideen“. Kein Wunder also, dass die Jünger des Projekts einen Großteil ihrer Wochenenden in den Gängen ihres Gotteshauses verbringen – um dann später im heimischen Garten zu beeten. Wer meint, dass Gott tot sei, sollte mal im Baumarkt vorbeischauen.

R

Rasen Wer sich schon von der Frischkäse-Auswahl im Supermarkt erschlagen fühlt, sollte besser nie im Gartencenter nach Rasensaat suchen. Glaubt man der gängeumspannenden Rasenabteilung, ist die Wiese ein hochsensibles Pflänzchen, das je nach Nutzungsart, Jahreszeit, Lebenseinstellung und genereller Befindlichkeit eine eigene Samenkonstellation erfordert. Für Ausbesserungen empfiehlt sich „Nachsaat-Rasen“. Ist es auch tagsüber Nacht, sollte man zu „Schattenrasen“ greifen. Wer es eilig hat, streut „Sprinter-Rasen“, wer dabei tendenziell eher einen Ball am Fuß hält, dem sei „Sport- und Spielrasen“ ans Herz gelegt. Das klingt zwar kompliziert, ist aber nichts im Vergleich zu den Düngeroptionen, die sich daraus ergeben.

S

Sadismus Gartenbesitzer wirken vielleicht im ersten Moment wie normale, friedliche Menschen. Doch es reicht ein Blick in ihre Einkaufswagen, um zu sehen, dass der Schein trügt: Reiherschrecke mit Wasseranschluss, Ultraschall-Katzenvertreiber (Fauna), elektronische Fliegenklatschen in Tennisschlägeroptik, dazu genug Pestizide, um einen ganzen Kontinent zu entlauben. Lassen Sie sich nicht in die Irre führen – Gartenbesitzer sind schreckliche Sadisten. In einer Umfrage zu den beliebtesten Gartenarbeiten gaben ganze zehn Prozent „Schnecken vernichten“ an. Und selbst der sonst so friedfertige Reinhard Mey beschwerte sich 2002 über Sylter „Gartennazis“, sie seien „mit schwerem Gerät und unter Höllenlärm-Entwicklung damit beschäftigt, auf handtuchgroßen Grundstücken kleinen, unschuldigen Grashalmen den Garaus zu machen“.

W

Wagen Bei einem Besuch im Gartencenter sind schon vor dem Einkauf strategische Überlegungen notwendig. Denn die Wahl des falschen Einkaufswagens kann fatale Folgen haben. Hier unterscheidet der Profi zwischen regulären Einkaufswagen und Spezialtransportwagen. Der Transportwagen verfügt nur über eine einzelne Ablagefläche mit Bügeln an beiden Seiten. Er ist damit perfekt dafür geeignet, Unbeteiligten meterlange Holzzuschnitte und Dachlatten in die Hacken zu rammen oder parallele Kratzer in benachbarte Autos zu ziehen (Kundenparkplatz). Für großflächige Prellungen empfehlen sich hingegen Geräte mit erhöhtem Korbvolumen. Generell erkennt man Gartencenter-Wagen leicht an ihrem wackelnden, quietschenden Rad – ein Feature, das inzwischen auch viele Supermärkte übernommen haben.

Werbung Bau- und Gartenmarkt sind die vielleicht letzte romantische Werbewelt. Hier wird noch mit bloßen Händen geschaffen (Projekt) und werden Träume verwirklicht. Leider offenbart Baumarktwerbung allzu oft auch die Kehrseite des kernigen Männerlifestyles – und verliert sich in zweifelhaften Rollenbildern. Zuletzt zeigte der Konzern Hornbach in einem Spot schwitzende Bauarbeiter, deren Unterwäsche anschließend gen Osten verschifft wurde, um dort von Asiatinnen inhaliert zu werden. Man kann sich wohlwollend vorstellen, welche Intention der Film hatte – an der Wirkung ändert es wenig. In einem offenen Brief kritisierten Verbände den Film heftig. „Die Handlung, der Gesichtsausdruck der Asiatin und der stöhnende Hintergrundton rufen das Jahrhunderte alte Stereotyp der ‚hypersexuellen‘ und ‚unterwürfigen‘ Asiatin hervor, die für weiße Männer nur als ein ‚Sexobjekt‘ existiert“, so die Unterzeichnenden. Nach langem Hin und Her wurde der Clip in Deutschland abgesetzt. Im Ausland ist er weiterhin zu sehen.

Z

Zwerg Schon 1797 schrieb Goethe in Hermann und Dorothea von „Bettlern von Stein“ und „farbigen Zwergen“, für die jeder Reisende am Garten anhielt. Und wie Goethe selbst gehört auch der Gartenzwerg mittlerweile zu Deutschland wie Sandalensocken und Schlagermusik. Weder die Nazis noch die 68er konnten die kitschigen Gnome loswerden. Als wären der alberne Zipfelhut und das debile Grinsen nicht schlimm genug, erblicken seit einigen Jahren immer geschmacklosere Gnome das Licht der Gartencenter: Mal tragen sie eine Taucherbrille oder schultern ein Surfboard, mal zeigen sie den Stinkefinger oder kleiden sich in grelle Trikots. Der Gartenzwerg hat eine beeindruckende Wandlung vom Kitsch zum Meta-Kitsch hingelegt. Und eins ist sicher: Sollten wir irgendwann den Mars besiedeln, wird sicher irgendein Vollidiot einen Gartenzwerg mitnehmen.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Simon Schaffhöfer

Taugenichts und Pausenclown

Simon Schaffhöfer

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