21st Century Fox

Berlinale Die Festivalisierung des Films oder: Interessanter als der Rückblick zum Jubiläum sind Gegenwart und Zukunft der Filmfestspiele

Schon vor Beginn der Berlinale verkündete die betriebsame Pressestelle des Festivals wie jedes Jahr bereits erreichte und zu erwartende Rekorde: noch mehr akkreditierte Fachbesucher, Marktteilnehmer, Filmvorführungen, prognostizierte Zuschauer – und bespielte Kinos. Letzteres hat seinen Grund in einer raumgreifenden Geste, mit der das größte Kultur-Event der Stadt an der Peripherie Präsenz zeigen will. Der „fliegende rote Teppich“ landet demnach unter anderem in den Bezirken Weißensee (Kino Toni), Neukölln (Neues Off) und Köpenick (Union Filmtheater).

„Berlinale goes Kiez“ lautet die Initiative (nein, der absurdeste Anglizismus der Veranstaltung ist das noch nicht, es gibt ja die sinnfrei kuratierte Nebenreihe „In the Food for Love“), die zehn Arthouse-Kinos mit „Gala-Vorstellungen“ aktueller Produktionen beliefert. Was zunächst nach einer durchschnittlich originellen Stadtmarketing-Idee klingt, verweist bei näherer Betrachtung auf die generelle Festivalisierung der zeitgenössischen Filmkultur.

Zum einen scheint es, als ginge die Berlinale in die Kieze, um den Off-Kinos die letzte Ehre zu erweisen. Während Festivals auch hierzulande boomen, ist die Programmkinokultur fast völlig zum Erliegen gekommen. Der „Normalbetrieb“ – ursprünglich angelegt auf die bescheidene kommerzielle Verwertung von „Festivalfilmen“ – existiert nur noch in Residualform. Die ästhetisch wie politisch relevanten Entwicklungen des internationalen Autorenkinos werden hier nicht mehr abgebildet, von versprengten Einzelfällen abgesehen. Dass sich die erste Riege dieses Kinos mit Beginn der Ära Kosslick offenbar komplett von der Berlinale verabschiedet hat, trägt sicherlich auch nicht zur Besserung der Lage bei. So weit, so beklagenswert, so bekannt.

Während die Programmkinos also nur noch punktuell am avancierten Kino der Gegenwart partizipieren, haben sich verschiedene netzbasierte Strukturen relativ direkt mit dem Festivalkreislauf kurzgeschlossen, allerdings ohne dass dabei irgendeine ökonomische Verwertungsperspektive mit erschlossen worden wäre. Das Internet als Tausch- und Kommunikationsmedium folgt dem globalen Filmbetrieb auf dem Fuß, weil die Filme nicht selten fast zeitgleich mit den Premieren vor Ort in den einschlägigen BitTorrent-Tauschbörsen auftauchen – geleakt, also im Internet verbreitet von Presse-, Markt- und Festivalmitarbeitern. In jedem Fall findet die „Auswertung“ der Festivals heute nicht mehr im (Programm-)Kino statt, sondern auf diversen privaten Displays – legal oder illegal.

Kinobesuch als Tourismus

Die großen Festivals waren ursprünglich primär Schaufenster der jeweiligen nationalen Filmproduktion. Neben der Verbreitung von landestypischen Chauvinismen hatten sie aber zusätzlich die Aufgabe, relativ marktferne Segmente des zeitgenössischen Films medienöffentlich sichtbar zu machen. Aufmerksamkeitsökonomisch betrachtet hat sich daran im Prinzip gar nicht so viel geändert. Wer über das internationale Autorenkino Bescheid wissen möchte, verfolgt die Festivals von Cannes und Venedig; wenn das Interesse spezifischer ist, lohnt beispielsweise der Blick nach Rotterdam oder in bestimmte Nebenreihen wie das Forum der Berlinale. Wer sich die Mühe sparen will, studiert die stets exzellente Spätlese der Viennale; hinzukommen klug programmierte Liebhaber-Festivals wie das portugiesische IndieLisboa, wo man auch filmhistorisch immer noch was dazulernen kann.

Niemand muss heute noch warten, bis es dank der Initiative eines engagierten Verleihs und dem entsprechend positiven Subventionsbescheid zu einer „regulären“ Kino-Auswertung kommt – spätestens mit der DVD-Veröffentlichung liegt jeder Film global vor. Die Festivals muss man nicht unbedingt besuchen, sondern wie eine breit sortierte Programmzeitschrift lesen. Ein Klick nebenan steht der Film zum Kauf oder Download bereit. Nur wer am Kino als Aufführungsort hängt, ist zu erhöhter touristischer Mobilität gezwungen oder auf die wenigen Filmmuseen verwiesen, die erkannt haben, dass sie neben den Festivals die letzte Verbindung zwischen aktuellen Autorenfilmen und der Institution Kino darstellen. Vielleicht findet das Kino zukünftig auch Exil in den Räumen der Kunst, wie das für bestimmte Teile der Experimentalfilm-Tradition bereits gilt. Generell trifft wohl die Prognose des Filmwissenschaftlers Thomas Elsaesser zu, derzufolge das Kino jenseits von Museumspolitiken als Ort in dem Maße eine Zukunft haben wird, in der es „als Adresse für ein Ausgehbedürfnis“ eine mehr soziale als ästhetische Nachfrage zu befriedigen versteht.

Die im Netz gewachsene Struktur des Austauschs über Filme mag von gewissen Problemen des Partikularöffentlichen (sie nennen es Vernerdung) nicht ganz frei sein. Schwer zu übersehen ist aber vor allem, dass der mitlaufende Diskurs in Foren, Blogs und spezialisierten Netz-Magazinen in vielerlei Hinsicht informierter nicht sein könnte. Wer an den richtigen Stellen sucht, findet Expertise frei von autoritären Sprecherpositionen und kann jederzeit zu einem Eingeweihten und Teilnehmer werden, ohne das Nadelöhr einer offiziellen Akkreditierung passieren zu müssen.

Mehr denn je takten die Festivals den weltweiten Filmkalender. Das gilt mittlerweile nicht nur für die Veröffentlichung von Filmen, sondern auch auf Ebene der Produktion. In gewisser Hinsicht weist das heutige Festivalnetzwerk Ähnlichkeiten mit dem Hollywood-Studiosystem der dreißiger und vierziger Jahre auf. Bis zum so genannten Paramount-Case, der die „Big Five“ der Studios 1948 in einem Anti-Trust-Entscheid zwang, ihre Kinoketten abzugeben, kontrollierte das Oligopol den gesamtem filmischen Produktions- und Verwertungsprozess.

Festival als Produzent

Analog dazu haben die großen Festivals schon vor Jahren aufgehört, reine Vorführbetriebe zu sein und sind über Einrichtungen wie den Hubert Bals Fund (Rotterdam) oder den World Cinema Fund (Berlin) selbst zu (Co-)Produzenten geworden. Von vertikaler Integration kann man deshalb sprechen, weil Festivals dazu übergegangen sind, Filme zu zeigen, die sie nicht entdeckt und ausgewählt, sondern selbst produziert haben. Der Weg eines Nachwuchsfilmemachers findet unter Umständen vom „Talent Campus“ bis zum erfolgreich geförderten Erstlingsfilm, der mit einer Event-Premiere belohnt wird, komplett im Festivalraum statt. Man wird in den nächsten Jahren sehr genau beobachten müssen, welche Nivellierungseffekte („Festival-Mainstreaming“) dieser geschlossene Subventionskreislauf mit sich bringt.

Was ergibt sich aus diesem Befund? Festivals sind zu zentralen Akteuren nicht nur der Filmkultur, sondern auch der „unabhängigen“ Produktionswirtschaft geworden. Für einen großen Teil des ambitionierten Filmschaffens stellen sie die einzig verbliebene Chance auf eine Kino-Präsentation dar. Im Prinzip gibt es diese Filme nur noch in zwei Versionen: lokal, zum Festival-Event zementiert, und digital verflüssigt, im World Wide Web. Vielleicht dauert es gar nicht mehr lange bis die Festivals daraus die Konsequenz ziehen, Netz-Dependancen zu eröffnen und kostenpflichtige Download-Premieren zu organisieren: zeitnah zu denen vor Ort, wenn die generierte mediale Festival-Aufmerksamkeit noch einen unmittelbaren Mehrwert darstellt, der derzeit in verstreuten DVD-Veröffentlichungen Monate später versandet.

Das wäre jedenfalls der nächste „vertikale“ Schritt auf dem Weg zur umfassenden Festivalisierung des Films.

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