Sehnsucht nach dem VEB Treffmodelle

Ausstellung Ostalgie ist, wenn man trotzdem lacht: Das New Museum in New York zeigt "Ostalgia" - ohne zu verklären, aber auch etwas diffus

Vor dem „Theater der Sowjetarmee“ in Moskau stehen junge Kadetten im Spalier, säuberlich aufgereiht entlang eines roten Teppichs, auf dem sich nichts ereignet. Dazu wird ein monotoner Marsch eher gescheppert als gespielt. An Absperrgittern sind Luftballons in den Farben der Russischen Föderation befestigt, auf denen einigermaßen kontextfrei „Ruhm“ steht – umrahmt von Sponsorenamen Gazprom meets Panasonic. Neben den noch kindlichen Militärzöglingen performen starr lächelnde Cheerleader in sehr knappen Röcken ebenfalls nicht sonderlich abwechslungsreiche Choreografien, die an Aerobic-Übungen erinnern – und daran, dass Fun auch im Russland der Gegenwart ein Stahlbad sein kann.

Die bizarre Szene, die wie eine unfreiwillige Parodie auf die großen sowjetischen Militärparaden wirkt, stammt aus der Videoarbeit March (2005) von Olga Chernysheva und ist derzeit in einer Ausstellung im New Yorker New Museum zu sehen, die vorgibt, sich mit Ostalgia zu beschäftigen. Gleich in der ersten (von insgesamt vier) Ausstellungsetage wird per Infotafel erklärt, dass es sich ursprünglich um eine deutsche Wortschöpfung handelt und nostalgische Gefühle bezeichnet, die sich wohlwollend auf das Leben im Realsozialismus vor 1989 beziehen: „a strange longing“.

Ostalgie ist, wenn man trotzdem lacht, das legen zumindest einige Arbeiten der Schau nahe, die zeigen, wie sich Symbole und Rituale von gestern als Schrumpfversionen ihrer selbst in die Gegenwart retten. Die Ausstellung begreift den Oberbegriff aber nur punktuell als Aufgabe, die diagnostische Trennschärfe wie die Untiefen einer spezifischen Form kollektiver Nostalgie auszuloten, die nicht einfach im zeitlosen Früher-war-alles-besser-Klassiker schwelgt, sondern an eine welthistorische Zäsur gebunden ist. Mit anderen Worten: Die Systemfrage wird im New Museum nicht gestellt. Denn dann müsste es um die Frage gehen, ob Ostalgie mehr ist als ein diffuses Sehnsuchtsgefühl von Modernisierungsverlierern.

Phil Collins’ Dokumentarfilm Marxism Today, der ehemalige Marxismus-Leninismus-Lehrer der DDR zu ihrer Sicht auf den Unterrichtsstoff von damals befragt, ist fast die einzige präsentierte Arbeit, die in diesem Sinn andeutet, inwiefern das ostalgische Sentiment sich auch auf den Verlust einer Systemalternative beziehen kann, auf einen potenziell kritischen Horizont, der in den Landschaften eines „Siegersystems“ fehlt, das von 1989 bis 9/11 vom „Ende der Geschichte“ faselte.

Allgemein drängt die Ausstellung trotz interessanter Einzelwerke doch den Eindruck auf, dass ihr Titel nur als vager Anlass begriffen wurde, Arbeiten von relativ unbekannten (Post-)Ostblock-Künstlern mit thematisch einschlägigen Arbeiten etablierter Protagonisten wie Simon Starling (Flaga 1972-2002), Anri Sala (Dammi i Colori, s. Foto) und Tacita Dean (Palast) zu kombinieren. Dabei fällt auch auf, dass die West-Künstler in diesem kuratorischen Ansatz auf Reflexionsformen abonniert scheinen, während ihre Ost-Kollegen überwiegend das zeithistorisch markierte Zusatzmaterial beisteuern, also für Zeugnisästhetiken und Unmittelbarkeit in Anspruch genommen werden. Herausragende Fotoarbeiten wie die häufig mit August Sanders Studien in Verbindung gebrachte Serie Frauen im Bekleidungswerk VEB Treffmodelle, Berlin von Helga Paris können sich dieser Dichotomie zwar entziehen. Mit Ostalgie im Sinne einer verklärten Rückschau hat das aber recht wenig zu tun – es sei denn, sie liegt im Auge des Betrachters.

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