Narzissten und Verwirrte

Wikileaks Die Dokumentation „We Steal Secrets“ erzählt die Story der Plattform als Geschichte schräger Männercharaktere
Ausgabe 28/2013
Crazy white haired Aussie – Wikileaks-Gründer Julian Assange, kämpferisch
Crazy white haired Aussie – Wikileaks-Gründer Julian Assange, kämpferisch

Foto: Peter Macdiarmid/ AFP/ Getty Images

Zwei, drei Mal laufen die Worte über die Leinwand: „I … care?“ – „Es macht mir Sorgen.“ Bradley Manning, der als Datenanalytiker der US-Army Bescheid wusste über Folterprotokolle, Mordvideos und wohl auch über vieles, was in Guantánamo geschah, soll diese Wörter 2010 geschrieben haben, im Chat mit dem Sicherheitsberater und Hacker Adrian Lamo. Mannings Mitleid und sein Gewissen, die er hier als Motiv für die Weitergabe dieser geheimen Inhalte nannte, wurden ihm zum Verhängnis. Seit 2009 stand er in Kontakt zu einem „crazy white haired Aussie“ – Julian Assange also – und dessen Enthüllungsplattform Wikileaks, doch es war Lamo, der ihn an die Behörden verriet.

Text, Code, Dokumente, Depeschen: Das sind die Inhalte, um die der Dokumentarfilmer Alex Gibney für We Steal Secrets eine Erzählung zu bauen hatte – eine Erzählung, die durch Edward Snowdens Enthüllungen um das Schnüffelsystem der NSA aktuell und anachronistisch zugleich scheint. In abgeschottete hierarchische Strukturen einzudringen, ist eine von Gibneys Lieblingsbeschäftigungen; sein Film Taxi to the Dark Side über die Folterpraktiken der US-Streitkräfte im „War on Terror“ gewann 2008 den Oscar für die beste Dokumentation. Aber ein Experimentalfilmer, dem etwas Besonderes einfiele, zur Abstraktion des schriftlichen Zeichens etwa, ist er nicht. Gibney will involvieren, teilhaben lassen, empören, bewegen. Deshalb entstehen Chats wie getippt auf der Leinwand, um Bewegung in Zeit und Raum zu simulieren. Deshalb fährt die Kamera bedeutungsschwanger auf Satzfetzen in weitgehend geschwärzten Dokumenten zu. Deshalb spielt Gibney Musik von Midnight Oil bis Lady Gaga ein, wenn es in seiner Geschichte um Midnight Oil oder Lady Gaga geht.

Bild gegen Wort

Insofern arbeitet Gibney nicht nur konventionell, sondern konservativ. Er giert so nach starken Bildern, dass er in exzessiven Nahaufnahme des „Collateral Murder“-Videos schwelgt: Aus einem Helikopter heraus erschossen Soldaten 2007 in Bagdad mehr als zwölf Menschen, in der Schusslinie befanden sich Journalisten und Kinder. Dieses Gemetzel, unterlegt mit zynischen Kommentaren der Täter, gehörte zu Mannings wirkungsvollsten Enthüllungen. Wikileaks, Manning und Alex Gibney – zu diesem Komplex gehört ein Machtkampf zwischen Bild und Wort.

Daher sitzt der Film, so sorgfältig er gearbeitet sein mag, einem Missverständnis auf. Sicher ist es für einen Autor dankbar, wenn sich die Entwicklung eines schwierig in Bildern wiederzugebenden Phänomens so sehr an den Lebensläufen von schillernden Einzelpersonen orientieren kann wie diese. Viel Zeit widmet Gibney dem Sturz von Julian Assange, dem Narziss, Freiheitskämpfer und Dickkopf. Bradley Manning, ein sensibler junger Mann, zweifelsohne angewidert von den machistischen Ritualen des militärischen Mikrokosmos um ihn herum, soll, behauptet der Film, eine Geschlechtsidentitätsstörung haben und depressiv sein. An den abwesend scheinenden Adrian Lamo, bei dem das Asperger-Syndrom diagnostiziert wurde, klebt sich die Kamera, bis jedes Zögern, jedes Zucken von Wange, Lippe, Nasenspitze registriert ist. Wenn sich eine These finden lässt in Gibneys Dokumentation, dann die: Die Geschichte von Wikileaks ist die Geschichte widersprüchlicher Charaktere, fehlbarer einzelner.

Wertvolle Beobachtungen sind das, aber ob man damit dem Phänomen erschöpfend gerecht wird, darf bezweifelt werden. An der Schnitzeljagd rund um Edward Snowdens Asylsuche lässt sich beobachten, wie ein abstrakt zu beschreibender Skandal von einer menschelnden Story in den Hintergrund gedrängt wird. Mitarbeiter von Wikileaks jedenfalls haben einen materialreichen Kommentar zu We Steal Secrets ins Internet gestellt, der zugleich Assange und seine Handlungsweise verteidigt und nichts Gutes an Gibneys Arbeit lässt.

Verdichtung ist Dichtung?

Die Kritik reicht vom angeblich irreführenden Filmtitel – „Wir stehlen Geheimnisse“ – über Gibneys rhetorische Strategien, durch die etwa Manning als nicht zurechnungsfähig denunziert werde, bis zu einer Auseinandersetzung über die Frage, warum Assange dem Regisseur kein Interview gab. Laut Gibney habe Assange eine Million Dollar verlangt; Wikileaks bestreitet das. Für den Prozess der Verdichtung, den jede Dokumentation durchläuft, zeigen die Aktivisten an vielen Stellen kein Verständnis, sodass sie die vielen Zwischentöne in Gibneys Film schlicht übersehen.

We Steal Secrets ist eine Arbeit über Kommunikation und Schweigen, die unfreiwillig vorführt, wie zwei Gesprächspartner nicht zueinanderkommen. Der Film steht da als monolithisches Einzelstück, entstanden in kreativer Hierarchie, ermöglicht durch eine Menge Geld, so wie das immer ist – allein das schon muss die Kollektivarbeiter misstrauisch machen. Im diskursiven Feld um den Film prallen zwei unterschiedliche Produktions- und Distributionsstrukturen aufeinander – wodurch aber womöglich verdeckt wird, dass man eigentlich von derselben Sache überzeugt ist. Derselben Sache, nicht demselben Mann.

We Steal Secrets kommt am 11. Juli ins Kino.

Tim Slagman schrieb im Freitag zuletzt über eine Videospielreihe beim Filmfest München

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