Typhoon Molave (2020)

Klimawandel Die philippinische Regierung erwägt, den Klimanotstand auszurufen.

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Draussen haben sie schon am frühen Nachmittag damit begonnen, die dünnen Giebeldächer mit Brettern, Stahlketten und Seilen zu befestigen und die Fenster zu verbarrikadieren. Ein Hotelangestellter steigt über eine Holzleiter barfuss auf das steil abfallende Wellblechdach des kleinen, herunter gekommenen Hotelbüros, dass sich vor dem zweistöckigen Flachdachbau mit den Zimmern befindet. Dann zieht er mit beiden Händen ein langes, schweres Holzbrett hoch. Unten stehen ein paar Männer. Einer wirft ihm noch ein Seil hoch. Der Mann oben positioniert das gut 3 Meter lange Brett flink quer zum unteren Ende des Daches hin und bindet es mit dem Seil am Trägerbalken fest. Es regnet bereits stark und heftige Böen zersausen die zahlreichen Bananenstauden und Palmen auf dem Hotelgelände. Auf meinem Smartphone ertönt ein durchdringender Signalton und ein !Notfallhinweis! der Regierung wird angezeigt: In den nächsten 24 Stunden muss mit Sturmwind, starken Böen, Regenfällen und Überflutungen gerechnet werden! Kurz darauf wird in der ganzen Region vorsorglich der Strom abgestellt und die Stadt versinkt im Dunkeln. Nicht selten bleibt er gleich eine ganze Woche lang abgeschaltet und man ist für diese Zeit praktisch vom Rest der Welt abgeschnitten.

Der Sturmwind zehrt ununterbrochen und wild heulend am Hotelbau. Draussen scheppert laut hörbar das notdürftig befestigte Blechdach vom Hotelbüro. Es ist stockdunkel. Die Welt besteht nur noch aus Sturm, etwas anderes ist gar nicht mehr zu hören. Flutartiger Regen prasselt auf den Vorplatz, von starken Böen hin und her gerissen. Vom oberen Stockwerk her ergiessen sich ganze Wasserströme über unsere Balkonbrüstung. Es regnet so stark, dass er, getrieben vom Sturmwind, durch jede Ritze in unser Zimmer dringt. Deshalb ist der Boden innert kürzester Zeit nass. Um vier Uhr morgens ist der Sturm dann endlich vorüber und es kehrt gespenstische Ruhe ein.

Das erste, was bei starken Stürmen fällt, sind die zumeist meterhohen Bananenstauden. Viele hat der Typhoon förmlich aus dem Boden gerissen. Ihre weissen Stümpfe ragen überall aus der Erde. Die Stauden liegen einfach da mit ihren fantastischen, riesengrossen, hellgrünen Wedeln, nebeneinander, übereinander, in alle Richtungen hingebettet. Niedrig wachsendes, farbiges Buschwerk ragt vor allen Häusern zerpflückt und zerrissen aus der Erde. Vielen Bäumen, zumeist grossen, alten Akazien, wurden fast alle Äste bis zum Stamm hin abgerissen. Die Strassen sind übersät mit Grünzeug aller Grössen, Kabel hängen von den Strommasten herunter. Überall haben die Menschen bereits schon bei Sonnenaufgang damit begonnen, ihre zerstörten Gärten aufzuräumen und leicht beschädigte Hütten notdürftig instand zu stellen.

Noch am frühen Morgen des voran gegangenen Tages ging der nationale Wetterdienst PAGASA davon aus, es handle sich beim herannahenden Unwetter über dem südphilippinischen Meer nur um ein ausgedehntes Tiefdruckgebiet. Doch je näher das Unheil nahte, desto klarer zeichnete sich ab, dass sich daraus ein veritabler Typhoon entwickeln würde. Innert weniger als 24 Stunden steigerte sich das Tiefdruckgebiet „Quinta“ zu einem ausgewachsenen Typhoon der Stärke 3 und hinterliess auf dem Festland zum Teil schwere Verwüstungen.

Vor Kurzem hat ein philippinischer Politiker President Rodrigo Duterte dazu angeregt, den Klimanotstand über das Land zu verhängen. Neben Indien, Bangladesch und Indonesien gehören die Philippinen zu den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Ländern der Welt. Sowohl Zahl als auch Intensität der Typhoone haben hierzulande in den vergangenen 30, 40 Jahren dramatisch zugenommen. Die dabei verursachten Schäden gehen alljährlich in die Milliarden und beeinträchtigen mittlerweile nicht nur die gesellschaftliche Entwicklung, sondern ziehen auch die ganze Volkswirtschaft in Mitleidenschaft. Wie soeben bekannt geworden ist, kündigt sich mit „Rolly“ bereits der nächste, schwere Typhoon an. Diesen Sonntag wird er voraussichtlich mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 185 km/h auf Land treffen.

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Reinkarnation

„Das Absurde kann jeden beliebigen Menschen an jeder beliebigen Straßenecke anspringen.“ Albert Camus

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