Fatum der Mauer

Ideologiekritik Die Bundeszentrale für politische Bildung will über Demokratie nach der Wende reden. Die Architektur Berlins dient als Spiegel – doch die Veranstaltung verfehlt ihr Ziel

Die stärkste Forderung an diesem Abend ist die nach einer sozialen Stadt. Berlin als Modell für die Zukunft, in der Menschen mit wenig Geld nicht an den Rand gedrängt werden. In der die junge Generation bestimmt, wie sie weiter wohnen will. Aus dem historischen Schicksal der Teilung soll eine Utopie entstehen: die des Zusammenlebens in einer gemeinsamen Mitte der Gesellschaft. Diese Vision entwickelt vor allem einer: Thomas Krüger, der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Doch er entwickelt sie im falschen Format. Denn gerade die junge Generation, die sich ihrer eigenen Stimme bemächtigen muss, wird seine Plädoyers kaum hören. Die wenigen jungen Menschen, die ins Panorama am Checkpoint Charlie kommen und seine Aussagen im Fernsehen auf Phoenix schauen, werden nicht ausreichen, um über ihre Stadt auch als Bauplatz nachzudenken – als zu gestaltender Raum, der über ihr Leben als Gemeinschaft bestimmt.

Krüger sitzt vor der Mauer in der Sebastianstraße, Kreuzberg. Vor einem Bauwerk, das einst Ost und West trennte und noch heute in der Struktur Berlins spürbar ist. Nicht zuletzt, da es Orte gibt wie diesen. Denn Krüger sitzt natürlich nicht vor der echten Mauer, sondern vor einer bildlichen Reproduktion: im Panorama des Künstlers und Architekten Yadegar Asisi am Checkpoint Charlie, das die 1980er Jahre suggerieren soll. Und er sitzt auf seiner eigenen Veranstaltung. Die bpb will mit einer Reihe von Diskussionen zum 25. Jahrestag des Mauerfalls im kommenden Jahr ein „Forum Demokratie“ schaffen. Dazu hat sie den Fernsehsender Phoenix als Partner, der die Diskussion aufzeichnet. Neben Thomas Krüger, der vor dem Mauerfall der Volkskammer der DDR angehörte und 1991 kommissarischer Oberbürgermeister von Ost-Berlin war, sitzen der Künstler Asisi selbst, der ehemalige West-Berliner Bürgermeister Eberhard Diepgen und Christoph Langhof, der in der Runde als Berliner Architekturprofessor die Verteidigung des Neuen und Modernen übernimmt.

Der Rand in der Mitte

Beim Auftakt an diesem Oktobertag soll es um Architektur als Spiegel von Ideologie gehen. In dem siloartigen Rondell am Checkpoint Charlie, dessen Innenwand den Blick vom Westen in den Osten Berlins über die Mauer hinweg zeigt, sind Stühle für Zuschauer aufgestellt. Drei Blöcke hofften die Veranstalter besetzen zu können, doch noch kurz vor Beginn der Auszeichnung werden aus der Mitte Besucher in den linken Block versetzt. Damit es dort für die Kameras nicht zu leer aussieht. Von denen, die gekommen sind, sind die meisten über 50, junge Menschen sind kaum da.

„Das Zusammenwachsen zu einer Einheit hat mit Menschen zu tun, mit der Jugendkultur und Gentrifizierung“, sagt Krüger auf der Bühne. In der Mitte der Stadt verlief die Teilung der Stadt, an der Mauer kam jeder Teil an sein Ende. Als die Mauer fiel, kamen die zwei Stadtgrenzen zusammen. Und damit auch die Menschen, die an den jeweiligen Peripherien gelebt hatten. So zumindest argumentiert Krüger. In anderen Städten werden die Ärmeren in die Außenbereiche verdrängt. In Berlin aber wohnten die Menschen dem bpb-Präsidenten zufolge durch die Einigung zusammen. „Aus diesem Fatum der Mauer können wir eine Utopie entwickeln.“

Diese Aussage klingt interessant und mag als Aufruf Potential haben. Doch ob es im heutigen Berlin der Realität entspricht, dass seine Bevölkerung gemischt wohnen kann, ist zu bezweifeln angesichts der Kämpfe um das große Investorenprojekt Mediaspree, das von seinen Gegnern als neoliberale Stadtentwicklungspolitik kritisiert wird. Mit seinem Plädoyer für eine soziale Stadt aber schließt sich Krüger dem Künstler Asisi an, der in Berlin ein Modell für die Stadt der Zukunft sieht. Und ein historisches Modell dafür, wie politische Verhältnisse die Menschen beeinflussen.

Er, der viele Jahre in der DDR lebte und später auf die Westseite der Mauer zog, eben an die Sebastianstraße, habe das Leben mit der Mauer als normal empfunden. "Und diese Normalität unter schrecklichen Umständen hat mich so erschreckt, dass ich den Menschen meine frühere Umgebung zeigen wollte." Sich zu arrangieren – das hat Asisi nicht nur in der DDR, sondern auch bei Besuchen im Iran, dem Ursprungsland seiner Eltern, als Symptom erkannt. Er beschreibt die Anpassung als Reaktion auf ein System, das Druck auf die Gesellschaft ausübt. „Nur so geht es wieder für eine Weile weiter“, erklärt Asisi. Dass sich eine Mehrheit arrangiert, hält die Systeme am Laufen. „Bis es zu bunt wird.“

Buntheit und Grau – diese Opposition muss während der Diskussion für zwei gegenläufige Diagnosen herhalten. Zum einen beschreibt sie die Stufen von Vielfalt und Lebendigkeit in Architektur und Stadtleben. Zum anderen ist sie Ausdruck für den Zustand eines politischen Regimes. Werde es zu bunt, breche nämlich das Arrangement, sagt Asisi, und das bedeutet: Die Menschen lassen sich den grauen Alltag, die Unfreiheit, nicht mehr gefallen. Dass das aber auch auf der Westseite passieren könnte, wird zumindest angedeutet. Denn die lebendige Vielfalt – und die farbigen Graffiti - auf der Westseite der Mauer übertünchten nur spärlich das Grau, das auch dort herrschte. In der Architektur und im System.

Schauplatz von Ideologie

Die Infrastruktur Berlins und ihre Größe, ihre Vielfalt nimmt Asisi heute indes als Exemplum für eine Metropole. Und er sieht in Jetzt die Chance, innezuhalten und zu fragen: „Was wollen wir?“

Es dringt durch in der Diskussion, dass es um die jungen Menschen geht, die das Bauen selbst in die Hand nehmen müssen, indem sie ihre eigenen Vorstellungen vom Wohnen und Leben umsetzt. Eine Handreichung aus dieser Fernsehdebatte zwischen Zeitzeugen der deutsch-deutschen Teilung jedenfalls können die künftigen Stadtentwickler nicht erwarten. Denn konkret werden die Herren auf der Bühne nicht. Die Formen für ihren Einsatz müssen künftige Generationen wohl selbst finden.

Einen pauschalen Appell aber gibt es noch zum Ende hin. „Wir müssen wieder mehr Pioniergeist zeigen, für weitere Generationen“, reiht sich der Architekt Langhof ein. Letztlich ist es gar der CDU-Politiker, Ex-Bürgermeister Diepgen, der den Sprung in Gegenwart schafft – allerdings mit einem reichlich ambivalenten Satz. In der Stadt müssten, so Diepgen, auch Arbeitsplätze geschaffen werden, die im Kapitalismus nicht unbedingt wettbewerbsfähig sind. Und zwar, um Immigranten zu integrieren.

Zweifellos ist die Frage, wie diese Menschen in Berlin oder anderen Städten wohnen und arbeiten können, ein drängender Faktor in der Stadtentwicklung. Welche Arbeitsplätze diese sehr unterschiedlichen Menschen jedoch brauchen, muss deutlicher und differenzierter diskutiert werden. In Zeiten, in denen Asylbewerber in Berlin Mitte vor dem Brandenburger Tor in Hungerstreik treten, ist die Beantwortung dieser Frage jedenfalls besonders wichtig. Auch heute ist die Architektur nicht nur ein Spiegel, sondern Schauplatz von Ideologie – und von Menschen, die gegen die nationalstaatlich konservativen Normen antreten. Auch diese Menschen sind junge Menschen, die versuchen, ihre Stimme zu erheben.

Wer nun eine Zivilgesellschaft für urbane Entwicklungspolitik begeistern will, muss andere Wege finden als eine solche TV-Fernsehdiskussion. Die Einbindung der Generationen, die in Zukunft in Städten leben werden, ist unerlässlich.

Sophie Rohrmeier ist freie Journalistin

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