Ein Instrument, das uns erlaubt, in 50 Sekunden die Persönlichkeit unseres Gegenübers zu analysieren – seine Gefühle, seine psychischen Eigenschaften: „Stellt euch die Bedeutung für Bewerbungsgespräche vor!“, ruft Yuri van Geest. In irre schnellen Sätzen beschreibt der niederländische Futurologe dem kleinen Publikum auf der MaketechX-Konferenz, was künftig wohl möglich sein wird. Menschen und ihre „tech things that matter“ – Technologien, auf die es ankommt – sollten sich auf der Konferenz treffen. Der Zweck: die Welt zu verbessern. Diese kleine, informelle Konferenz, die kürzlich in Berlin stattfand, propagierte Open-Source-Technologien. Eine andere, Falling Walls, versuchte mit etablierten Strukturen die große Forschung voranzubringen. Beiden mangelt es nicht an hehren Zielen. Die Ethik für den Weg dahin fehlt aber, hier wie dort.
Und das, obwohl der Impetus gerade ein moralischer ist. „Wir möchten, dass wir alle wieder mehr Macher sind, weniger das Produkt“, erklärt René Herzer, der mit seiner Frau Lizzy das MaketechX-Projekt für soziale Innovationen in der Technologie initiiert hat. Konzerne passten heute die Konsumenten an ihre Waren an statt das Produkt an die Nutzer. Der Großteil der User akzeptiere mächtige Algorithmen, ohne zu wissen, wie sie funktionieren. „Wir sollten selbst programmieren, statt uns programmieren zu lassen“, fordert Herzer deshalb vor der Platoon Kunsthalle während der Konferenz.
Nicht neu, aber besser
Wieder lernen, Technik selbst zu machen, lautet die Devise. Und zwar zusammen, im Open-Source-Format. Für die Freiheit – das schwingt mit in den Sätzen Herzers – und für die künftigen Generationen, zum Beispiel seine drei Kinder, sagt er. Entsprechend sind die Gäste auf seiner Konferenz junge „Maker“, Bastler, die sich selbst der Technik bemächtigen, um etwas anders zu machen als bisher – besser und sozialer. Ohne Lizenzen auf ihren Produkten, mit denen Konzerne (von denen drei nebenbei aber doch als Sponsoren auftraten) Geld verdienen könnten. Das war eine der Bedingungen, um teilnehmen zu können an MaketechX.
Wirklich neu sind die meisten Dinge auf der Konferenz nicht, zum Beispiel die 3D-Drucker, von denen in der Platoon Kunsthalle viele zu sehen sind. Aber bei den Menschen, die sich um die Tische aus schwarzen Limo-Kästen versammeln, geht es darum, wie vorhandene Technologien anders genutzt oder weiterentwickelt werden können – und zwar selbst.
Da ist die aus Plastik gedruckte Robohand, die der südafrikanische Dachdecker Richard van As für Menschen mit einer Handbehinderung entwickelt hat – viel billiger als herkömmliche Prothesen. Und da ist Josiah Kavuma, der mit Matibabu eine Smartphone-App zur Malaria-Diagnose entwickelt hat – ebenfalls viel billiger für Krankenhäuser und Privatpersonen als bisherige Testmethoden, und eben Open Source. Oder da ist das „Creator Kit“, eine Box mit Hardware, Schaltern, Leuchtdioden und einer Art Bastelbuch. Das Set das verspricht, alles zu sein, was man für den eigenen Start in der Welt der interaktiven Elektronik braucht, unabhängig von großen Unternehmen. Dahinter steckt tatsächlich der Wunsch, den Großen etwas aus der Hand zu nehmen, mehr Eigenständigkeit zu gewinnen – und Benachteiligten ohne großen Profit zu helfen.
Gewinn oder Spenden
Stefan Hermann, der das "Creator Kit" für 95 Euro verkauft, will natürlich sein Unternehmen am Laufen halten und auch Gewinn machen. Firmen wie die seine rechnen einerseits damit, dass die Leute eben selbst lernen, wie Technologie funktioniert und Produkte entstehen können – und dann eben nicht mehr auf Firmen angewiesen sind. Andererseits spekulieren diese auch auf die Community der Maker, und auf das Bedürfnis der Menschen, immer wieder neue Dinge selbst zu machen. Das Robohand-Projekt jedenfalls basiert bisher auf Spenden. Ob daraus ein auf Gewinn ausgelegtes Unternehmen wird, bleibt abzuwarten. Der Antrieb der Konferenz allerdings ist eine solche Entwicklung eher nicht: „It’s high time to put humanity back in control of technology“, heißt es auf der Website von MaketechX.
Wenn Futurologe Yuri van Geest allerdings, als Anhänger der Quantified-Self-Bewegung, die eigene Datensammlung und individuelle Gesundheit maximieren will, dann arbeitet er damit auch an einer Ideologie, die uns verwundbar macht. Ein quantified self zeichnet unterschiedliche persönliche Werte langfristig auf, um sie mit Symptomen oder alltäglichen Tätigkeiten in Beziehung zu setzen. In den Datenreihen suchen sie nach Mustern, um ihr Leben anzupassen.
Das ganze Bild
Mit dem schnellen, automatischen Messinstrument für Persönlichkeitstypen gibt er eine Vorschau auf das Mögliche. Bereits Realität ist, wofür er anschließend wirbt. „Analysiere die DNA deiner eigenen Mikroben, aus deiner Nase, deinem Darm, deinen Genitalien! Dann hast du das ganze Bild deiner selbst!“ Er hält ein käufliches Kästchen mit Abstrichinstrumenten hoch.
Damit kann man seine Mikroben aufnehmen und sie an das Labor der Firma schicken, um sie dort auswerten zu lassen. Ziel ist, herauszufinden, wie die Mikroben Gesundheit oder Krankheit beeinflussen. Die Nutzer können selbst Experimente entwerfen, und die Firma verspricht Antworten zu finden mit Hilfe der Daten.
Van Geest, auch Botschafter der amerikanischen Singularity University (wo ein zehnwöchiger Kurs 30.0000 Dollar kostet), ist enthusiastisch, ja euphorisch. Das Publikum nicht. Aber skeptisch sehen die Mienen der Besucher der MaketechX-Konferenz auch nicht aus. Unbewegt hören sie zu. In der Diskussion mit ihm versucht der Moderator Harald Neidhardt wiederholt die Frage nach der Ethik zu stellen.
Der Kick des Schocks
Wie wollen wir leben, welche Verantwortung tragen wir für die Folgen neuer Technologien? Yuri van Geest nickt immer fleißig – aber er geht nicht auf die Frage ein. „Shocking“ nennt er selbst zwar einige seiner Prophezeiungen – wo der Mensch von Maschine kaum mehr zu unterscheiden ist. Aber vor allem scheint ihn das, was da Angst macht, einen Kick zu geben. Auf eine Antwort jedenfalls lässt er sich nicht ein. Dabei werden die Erwartungen an den menschlichen Körper wesentlich – und möglicherweise grundlegend – anders sein, sobald die Normen für funktionierende und zu ersetzende Maschinen für Menschen gelten.
Cyborgs, Mischwesen aus Mensch und Maschine, stellen die Gesellschaft unter anderem vor die Frage, wie ein menschliches Wesen funktionieren muss, welche Existenzrechte es hat – und wer Zugriff auf seine Daten hat. Im Programm fehlt die Diskussion darüber, die dezidiert zur moralischen Reflexion zwingt. Die Motive von Lizzy und René Herzer sind anspruchsvoll – und ganz im Sinne derer, die ethische Zweifel hegen an der Macht heutiger Technologien. Aber die implizite Anregung reicht nicht.
Genau das wurde auch auf der Falling-Walls-Konferenz deutlich, die am Jahrestag des Mauerfalls stattfand und als internationales Treffen für führende Wissenschaftler, Politiker und Künstler wesentlich unterstützt wird vom deutschen Bildungs- und Forschungsministerium. Die „Mauern“, die diese Konferenz einreißen soll, sind die der Menschenrechtsverletzungen, des Hungers, der Krankheiten, der extremen Armut. In Kurzvorträgen stellten renommierte Forscher ihre Lösungsansätze vor. Vielversprechend ist etwa die neue Methode von Sophia Vinogradov aus San Francisco, um Schizophrenie zu behandeln: nämlich schlicht durch Gehirntraining, bei dem computerbasierte kognitive Übungen, wie etwa Erinnerungsaufgaben, die verbalen und sozialen Fähigkeiten von Patienten verbessern.
Aber ein Zugang wie der des Wirtschaftswissenschaftlers Jagdish N. Baghwati zeigt dann doch, wie wenig Klarheit eigentlich darüber herrscht, wer die Armen sind, über die man redet. Baghwati argumentierte dafür, das Wirtschaftswachstum in Entwicklungsländern auszubauen, am Beispiel von Indien – und zwar Wachstum auf Seiten der Elite. Die Ausbeutung von Menschen und Ressourcen als Einwände lehnte er ab – und vertrat stattdessen die Ansicht, dass Slumbewohner sich ohnehin nicht mit den Reichen vergleichen würden. Schließlich bestünde zwischen diesen Gruppen kein Kontakt.
Die Aggressionen, die aber unter anderem die USA als Kapitalismusmacht aus islamischen Ländern auf sich ziehen, zeigen ausreichend, dass das Bild des Reichtums durchaus zu den Ärmeren hinreicht. Und gerade der Fortschritt der mobiler Technologien wird irgendwann auch die Slums erreichen. Ob sich dann Baghwatis These der getrennten Sphären aufrechterhalten lässt, ist zu bezweifeln.
Ohne Grundlegendes zu klären – seien es die endlichen Ressourcen oder die originäre Stimme des extrem armen Teils der Weltbevölkerung –, ist ein Durchbruch zu einer besseren Welt nicht möglich. Auch die Kunst stieß bei Falling Walls auf diese Grenze: Der chinesische Künstler Ai Wei Wei wurde zugeschaltet – und hat zusammen mit dem Berliner Künstler Olafur Eliasson ein Kunstwerk gestartet: um die Mauer der Taubheit, der Duldungsstarre zu durchbrechen. Das interaktive Werk „Moon“ funktioniert über eine Website, auf der jeder Besucher ein Zeichen hinterlassen kann. Ein Mond-Abbild ist dort der neutrale Ort für den Austausch jenseits politischer oder anderer Grenzen. Jeder mit Internetzugang kann hier mit-unter-zeichnen. Wer keinen hat, kann das natürlich nicht.
Open-Source in der Ethik
Die wirkliche Innovation – und die fehlte bei beiden Konferenzen – wäre eine Ethik, die den Umgang mit Daten und Technologien hinterfragt. Und zwar so, dass allen Bürgern die Vor- und Nachteile eingängig, und demokratisch verhandelte Regeln implementiert werden. Was sich in der Open-Source-Mentalität abzeichnet, ist ein anderes Denken, das nicht mehr auf Konkurrenz basiert, sondern auf gemeinsamer Entwicklung. Das können wir nutzen – für die Diskussion der Ethik neuer Technologien.
Einen Hinweis, was es dabei zu berücksichtigen gilt, gab die Technik bei MaketechX übrigens selbst. Die Kopfhörer, über die alle Reden und Gespräche auf der Bühne per Funk übertragen wurden, streikten in kurzen Abständen, dann erfüllte nur großes Rauschen die Ohren. Das nährte die Hoffnung etwas, dass auch den Allesmessern und Automatenmenschen die Übertragungsleistung gelang: Technik ist fehlbar.
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