Der Ansporn

RICHARD VON WEIZSÄCKER Der frühere Bundespräsident wird 80

Klar war: Die Fakten mussten stimmen, und wehe, ein Detail war falsch. Noch klarer war: Wenn ein Fehler gemacht wurde, durfte man auf gar keinen Fall auf einen anderen weisen, selbst wenn der Verursacher ein anderer war, sondern man musste die nicht genau adressierte Kritik an- oder hinnehmen, denn Feigheit war noch schlimmer als Schludrigkeit. Zwei spürbare, aber nie ausgesprochene Regeln, die ein hartes Regiment schufen. Darunter aber herrschten Meinungsfreiheit und Respekt vor Andersdenkenden, unabhängig von der Stellung innerhalb der Hierarchie. Er selbst förderte diese Kultur immer wieder gegen den Staatssekretär, Diplomaten und Ministerialbeamte. Das war ein Grund, weshalb im Bundespräsidialamt - unterhalb von A 16 - fast alle von ihm nur als "Richie" sprachen. Ein anderer: Er hört zu, ist neugierig auf Menschen - und verblüfft sie immer wieder damit, dass er den Inhalt der Gespräche sehr genau behält. Menschen sind ihm nicht Kulisse für sein eigenes Tun, sondern er nimmt sie ernst.

Richard von Weizsäcker war 71, als ich ihn kennen lernte, ich 31. Zunächst war er für mich der Präsident der beeindruckenden Reden, bald jedoch faszinierte mich noch mehr, wie viel Freiheit er anderen zugestand. Einmal stand neben Sätzen des Bundespräsidenten mit blauem Referentenkuli: "Ich finde das ganz falsch", daneben in Staatssekretärsrot : "d.h. Sie meinen, es könnten evtl. Bedenken dagegen erhoben werden". Kein zurechtweisender Kommentar in Präsidentengrün. Stattdessen hakte er sich abends auf einer Feier bei der Referentin ein und erklärte ganz locker: "Es ist richtig, dass sie mir so vehement widersprochen haben, aber Sie müssen den Gedanken dann auch verbessern." Er wollte, dass sich alle frei äußerten, und das war ein enormer Ansporn, sich wirklich selbst Gedanken zu machen und sich ins Zeug zu legen. Dieser Vorschuss an Vertrauen gab das Gefühl, man könne Teile der Welt verändern und habe endlich einen Politiker gefunden, dem es damit ernst sei.

Seine Reden schrieb er selbst, aber vorher ließ er sich anregen, auch provozieren. Ein Anruf: "Schreiben Sie nicht, was Sie meinen, was ich sagen würde, sondern schreiben Sie, was Sie wollen, das ich sagen sollte!" Welcher Politiker verhält sich so? Was für ein Ansporn, eine begründete Position zu entwickeln! Das breite Spektrum, in dem diskutiert wurde, wäre im Hause Kohl unmöglich gewesen. Weizsäcker jedoch ermutigte Wettstreit um verantwortungsbewusste Orientierungsvorhaben, wozu der von ihm kritisierte Parteienstaat kaum mehr in der Lage ist.

Was als Job begonnen hatte, entpuppte sich bald als Privatstunde in politischem Engagement. Unvergesslich sind die weißen Knöchel seiner leicht gebräunten geballten Faust, als er über die Dummheit der CDU zürnte, die das Asylrecht radikal beschneiden wollte, womit sie absehbar Rechtsextremisten erst recht zu rassistischen Verbrechen ermutigte. Der "Asylkompromiss" stand schon im Dezember 1992, die Schlacht war geschlagen, trotzdem kämpfte von Weizsäcker noch bis zur Grundgesetzänderung am 26. Mai 1993 mit unbeirrbaren Warnungen weiter dagegen an. Plötzlich wurde konkret spürbar, wie ernst ihm der zentrale Gedanke seiner Rede zum 40-jährigen Bestehen des Grundgesetzes (24. 5. 1989) ist, dass nicht die Verfassung der Garant der Freiheits- und Grundrechte, der demokratischen Ordnung ist, sondern dass wir die Verfassung garantieren müssen.

Auch wenn er nun 80 Jahre alt wird und damit kokettiert, er könnte nicht mehr im Himalaya wandern: Seine politische Sprache - jüngst zum "Ehrenwort" Kohls - ist so unerschrocken-souverän und klar wie eh und je. Das ist wichtig, denn die Politikerbequemlichkeit, sich im Zug der Mächtigen bloß einzureihen, hat unter Rot-Grün noch zugenommen.

Unsere Autorin war von 1991 bis Juni 1994 Referentin im Planungsstab des Bundespräsidialamtes

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