Weshalb ist es so relevant, ob die Parteien erschöpft sind oder nicht? Oder ob sie durch Machtgeilheit politisch untauglich wurden? Im Grundgesetz heißt es über die Parteien nur, dass sie an der politischen Meinungsbildung mitwirken. Eine eher marginale Rolle. Aber de facto sind sie Hauptfiguren. Ohne sie geht nichts mehr. Sie blockieren die Demokratie. Seit Jahren sind sie, erst schwarz-gelb, nun rot-grün, verantwortlich für den Stillstand der Politik. Bevor man untersucht, ob die Parteien noch fähig sind zu zukunftsfähiger Gestaltung, müsste man fragen, wie sie in ihre Machtposition gelangt sind und ob es möglich wäre, sie von dort zu vertreiben, sie wieder zu Nebenfiguren zu machen, die ruhig mal erschöpft sein können.
Wolfgang
Wolfgang Michal (Freitag 43/99) geht fehl, wenn er schreibt, "Parlamente, Medien und Hochschulen" müssten "ihren Verfassungsauftrag erfüllen", dann käme alles wieder in Fluß. Eine Zusammenstellung, die ohnehin ziemlich willkürlich anmutet und fern der politischen Praxis. Das Problem liegt woanders: Das Grundgesetz hat einen Konstruktionsfehler, den sich die Parteizentralen zunutze gemacht haben. Die Furcht des Parlamentarischen Rates vor Plebisziten war größer als der Wunsch nach Gewaltenteilung. Deshalb wird der Kanzler von der Parlamentsmehrheit gewählt. Der größte Teil der Legislative, die eigentlich die Exekutive kontrollieren soll, sitzt bis zu den nächsten Wahlen mit der Regierung in einem Boot. Die Kontrolle wird, höchst unwirksam, der Parlamentsminderheit anheimgestellt.Sobald die Parteifreunde der Exekutive und des größeren Teils der Legislative auf einem Ticket fahren, stellen die jeweiligen Parteispitzen (teilweise in Personalunion mit der Spitze der Exekutive) die Weichen: Sie wählen kleine Etappen bis zu den nächsten Wahlen, bestimmen den Ausschnitt, innerhalb dessen gedacht werden darf und betreiben so die Erziehung zu eindimensionalen BürgerInnen. Daher die Kurzatmigkeit der Politik und die Unfähigkeit, ökologischen Überlebensrisiken entgegenzutreten. Hinzu kommt die Verführung des allpräsenten Medienzeitalters zur Personifikation. Die Konsequenz: Die Selbstherrschaft des Volks, das Kennzeichen der Demokratie, wird ad absurdum geführt durch die immer umfassender werdende Identifikation der Menschen mit denen, die sie regieren. Interessanterweise war die Zustimmung zu Scharping, Schröder und Fischer während des militärischen Überfalls auf Jugoslawien besonders hoch, obwohl diese drei zu jener Zeit besonders repressiv agierten, indem sie Andersdenkende als Parteischädiger darstellten und auszugrenzen suchten.Zurück zu den Konsequenzen der fehlenden Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative: Die Machtverbindung von Mehrheitsfraktion(en) und Regierung führt außerdem dazu, dass sie und ihre Parteispitze auch über die Besetzung der anderen demokratischen Institutionen entscheiden, also über die Wahl des Bundespräsidenten, des Bundestagspräsidenten, des Bundesverfassungsgerichts. Die Krakenarme der Parteispitzen reichen bis in die Medien, Hochschulen, Zentralen zur Politischen Bildung. Die Parteien sind inhaltlich erschöpft, aber sehr agil und fähig, Positionen zu besetzen.Einher geht diese Machtübernahme innerhalb der demokratischen Institutionen mit einer Machtkonzentration innerhalb der Parteien. Der Begriff Partei ist in doppeltem Sinne unbrauchbar geworden, einerseits weil sich die Parteien immer weniger voneinander unterscheiden, kaum noch inhaltlich definierter pars (Teil) des politischen Diskurses sind; andererseits, weil sie fälschlicherweise suggerieren, in diesen Organisationen würden viele Menschen demokratisch über politische Plattformen entscheiden. De facto gibt es in jeder Partei einen kleinen Kreis von vier bis fünf Männerköpfen, die alles entscheiden. Der Parteibauch ist - mehr oder weniger erfolgreich - manipulierte Masse, Scheinlegitimation, und er verfügt über dienstbare Hände, wenn Wahlbroschüren verteilt werden sollen. Parteitage offenbaren, auch bei der SPD und den Grünen, dass alle Entscheidungen, auch die Redelisten, vorgebliche Auslosungen verspottend, abgekartet sind. Besonders üble "Zufälle" der jüngsten Vergangenheit: Auf den Kriegsparteitagen von Grünen und SPD waren die pro-Krieg-Appelle von Staatsminister Ludger Volmer beziehungsweise Erhard Eppler die letzten Redebeiträge. Der Umgang des Parteikopfs mit dem Parteibauch ist zunehmend demagogisch: Statt Sachfragen werden immer öfter Vertrauensfragen gestellt. Ein bisschen Kritik ist selbstverständlich erlaubt, das gehört zur Inszenierung, die für Medienpräsenz sorgt. Selbst die KritikerInnen werden insofern dienstbar gemacht, missbraucht.Zwei Konstruktionen der Verfassung garantieren, dass die Macht der Parteispitzen fortbestehen oder eher noch zunehmen wird. Erstens die Wahl des Kanzlers durch das Parlament - statt durch das Volk: Muss der Kanzler sich seine Mehrheiten suchen, sinkt der Einfluss der Parteien. Der zweite Aspekt, auf den sich die Parteienmacht begründet, ist die Fünf-Prozent-Hürde, die ihren Sinn verlöre, sobald der Kanzler vom Volk gewählt würde. Ohne Fünf-Prozent-Hürde könnten kleine Interessenparteien wie "Die Grauen" oder "Die feministische Partei DIE FRAUEN", könnten Listen von NGO-Vertretern, unabhängigen Wissenschaftlern und engagierten Bürgern in erheblicher Zahl Abgeordnete ins Parlament bringen, die aus der Legislative heraus radikalere Politik machen, Diskussionen über Alternativen initiieren könnten.Hans-Herbert von Arnim hat Anfang der 90er Jahre solche Vorschläge für die Länder ebene gemacht. Bezeichnenderweise sprachen sich damals die Grünen Daniel Cohn-Bendit und Antje Vollmer gegen die Abschaffung der Fünf-Prozent-Klausel aus. Kein Wunder, denn ihr verdanken die Grünen ihre Präsenz im Parlament. Gäbe es diese Hürde nicht mehr, würden ihre heutigen und ihre enttäuschten WählerInnen sofort VertreterInnen von Nichtregierungsorganisationen ins Parlament wählen statt Grüne.Weshalb gehen von den Parteien keine zukunftsfähigen Impulse mehr aus? Es gab und gibt zwar auch Andersdenkende in den Parteien. Sie treten teilweise im Vorfeld von Abstimmungen sehr kritisch vor die Öffentlichkeit, aber in den Abstimmungen fügen sich dann die meisten doch masochistisch der Fraktionsdisziplin, die eigentlich Parteidisziplin heißen müsste. Denn die Parteispitze gibt die Tagesparole aus, und die Fraktionsgeschäftsführung setzt sie durch. Die Verfassung sieht dieses entwürdigende Domestizierungsinstrument "Fraktionsdisziplin" nicht vor, aber es ist das entscheidende Machtmittel der Parteispitze und führt dazu, dass man - außerhalb des Militärs - wahrscheinlich nirgendwo eine so große Zahl ängstlich gehorchender Menschen findet wie im Bundestag. Pardon. Im "Hohen Haus", wie Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer so gern zu sagen beliebt.Hermann Scheer hat Recht, wenn er schreibt (Freitag 42/99), dass die Parlamentarier die eigenen Institutionen schleifen würden. Aber weshalb verschweigt er in seinem Debattenbeitrag das Druckmittel "Frak tionsdisziplin"? Auch Hermann Scheer, der engagierteste Kriegsgegner der SPD, stimmte nicht in allen Kosovo-Abstimmungen mit "Nein". Weshalb fügen sich auch kritische linke Politiker wie Hermann Scheer, Detlev von Larcher, Michael Müller, Heidi Wieczorek-Zeul, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Christian Ströbele, Annelie Buntenbach häufiger als nur manchmal der Fraktionsdisziplin, stimmen wider besseres Wissen zu oder enthalten sich statt mit "Nein" Farbe zu bekennen? Statt eine öffentliche Debatte zur Volksabstimmung über eine Verfassungsänderung zu initiieren und voranzutreiben? Die gleiche Frage ist an die Frauenverbände der Parteien zu richten, denn allen Quotierungen zum Trotz sind auch bei Grünen und PDS in den kleinen Machtzirkeln der Parteispitzen keine Frauen. Ist die bloße Teilhabe an der Macht so befriedigend, dass es lohnt, sich immer wieder zu unterwerfen?Von den Parteien ist für die Demokratie, für die Abwendung des Ökozids, für eine Bildungsreform zugunsten realitätsnaher Widerständigkeit nichts zu erhoffen. Die Wahrscheinlichkeit, die Parteien von innen zu beleben, geht gegen Null, denn sie sind inzwischen weniger Mittel zur kollektiven, als vielmehr zur individuellen Zukunftsgestaltung. Karriereleiter für kaum links politisierte Smarties wie Matthias Berninger oder Carsten Schneider. Staatssektretärsjobs, wie sie kürzlich Hans Martin Bury oder ehemals Cornelia Yzer bekamen, sind die glänzenden Möhren, die die Parteispitze den Jährlingen in der Herde mit Abstand vor die Nüstern hält, um sie in die eigene Richtung zu locken. Eine Partei mit guten Wahlchancen - oder eine Partei in der Regierung - bekommt neue Mitglieder, die, um möglichst schnell nach oben zu kommen, sich opportunistisch dem kleinen Machtzirkel an der Spitze fügen. Die Jusos und das grüne Jugendbündnis sind insofern herzerfrischende Altertümchen aus politischeren Zeiten.Wenn es nur um Macht geht, wird der Erfolg nicht an der Realisierung von politischen Programmen gemessen, sondern am Erfolg des nach Meinungsumfragen erstellten Images, der inszenierten Show. Wichtig für die Parteien werden deshalb immer weniger Idealisten oder politisch originelle Köpfe als vielmehr Technokraten, die studiert haben, wie man die Erwartungen der Mediengesellschaft optimal befriedigt. Die Parteien sind selbstbezogene Systeme geworden. Und wenn die gewählten Repräsentanten des Volks ihr Hauptinteresse auf die Erringung und Verteidigung der Beute Wahlerfolg verwenden, sich wie hungrige Löwen auf den Kadaver konzentrieren, kann das Kapital auf der Steppe der Politik leicht Beute machen.Das Ergebnis ist die offensichtliche Unfähigkeit unserer Demokratie, eine im weiteren Sinne ökologisch verantwortbare und zukunftsfähige Politik zu gestalten. Deshalb die Parteiendemokratie mit einem über ein Veto-Recht verfügenden Rat von Weisen (Jens Reich, Reinhard Loske), einer Ökodiktatur, auszuhebeln oder ihr aus Nichtregierungsorganisationen rekrutierte Dritte Kammern beizugesellen (Mohssen Massarat) oder ein effizientes Klagerecht zu installieren (Jugendstiftung), kann nicht die Lösung sein. Alles sind End-of-Pipe-Maßnahmen. Manche böten nur eine neue Angriffsfläche für Lobbyisten, würden also rasch stumpfe Instrumente.Dem Missstand, dass die Parteien weitgehend untauglich zur politischen Gestaltung geworden sind, könnte man aber dadurch begegnen, dass man den Parteien Konkurrenz um die begrenzte Zahl der Parlamentssitze schüfe, Widerständigen den Weg in die Legislative bahnte und die Legislative zu 100 Prozent zur Kontrolle der Exekutive ermächtigte, indem man diese beiden Gewalten entkoppelte. Dies wiederum ist möglich, wenn man mit dem Volk für ein Plebiszit zur Verfassungsänderung kämpft, für eine Verfassung, die der Gewaltenteilung Priorität vor dem Misstrauen gegen das Volk einräumt.Die "Spät"-Geborenen Fischer und Schröder, die in mehrerlei Hinsicht alles tun, um einen Schlussstrich unter die Nachkriegsgeschichte zu ziehen, handeln in diesem Punkt anders: Seit sie den Kadaver der Demokratie unter ihren Pranken haben, fehlt ihnen jegliches historisches Bewusstsein für eine Diskussion über eine Ermächtigung des Souveräns.Bisherige Beiträge:Ausgabe 43: ParlamentarierAusgabe 43: Schön, wenn Kapitalparteien "erschöpft" wärenAusgabe 44: Locker bleiben!
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