Es ist ein Erstling. Doch kein Zweifel: der Erstling einer großen Autorin. Aber ein Erstling. Vor allem auf den ersten dreißig, vierzig Seiten stakst die junge Autorin etwas unsicher in und durch die Geschichte, danach schreibt sie sehr viel selbstgewisser. Die Assia Djebar der achtziger Jahre hätte wohl weniger regelmäßig Substantiven ein Adjektiv beigeordnet. Sie hätte manches gesuchte Bild weggelassen, solche wie: "Die Zeit verstrich träge, ausgebreitet wie ein Laken aus totem Wasser." Sie hätte manche kitschige Phrase gemieden - "Er schaute mir direkt in die Augen. Und in diesem Augenblick entstand zwischen uns eine tiefere Verbindung." oder "Meine Augen ertranken im Himmel." - Sie hätte auch darauf vertraut, dass die Leser ihre Schilderunge
ngen verstehen, sie hätte sie nicht mitunter am Ende eines Absatzes selbst interpretiert.Als sie Durst zu Papier bringt, ist die Autorin 20 Jahre alt, die Studentin schreibt den Roman in sehr kurzer Zeit nieder und bringt ihn dann sofort zu einem Verlag. Selbstbewusstsein hat sie, beachtliches sogar, aber noch nicht die Schreiberfahrung wie bei späteren Romanen. Aber bereits das Gespür für Themen und Tabubrüche, für die spannungsreiche Gestaltung eines Plots.Immer wieder wird der Algerierin nachgesagt, sie sei die "Sprecherin für ihre ans Haus gefesselten Schwestern". So auch von Clarisse Zimra, die sich im Anhang des Buches in Interview und Essay der Autorin nähert. "Schwestern"? Schon "Durst" entlarvt die traditionelle, Verbundenheit und Freundschaft evozierende Chiffre als falsch: Beide, die Heldin Nadia und Jedla, die als ihre Freundin in die Geschichte eingeführt wird, kämpfen gänzlich entfesselt gegeneinander. Mit Hinterlist und vollem Einsatz. Es ist eine sado-masochistische Beziehung, bei der beide quälen und beide gequält werden. Die Frage ist, wer dies geschickter anstellt. Nadia überlebt, während Jedla stirbt, aber trotzdem trägt Jedla den Sieg davon. Um den Preis, dass sie das, was sie sich am meisten wünscht, ein Kind, abtreibt und an den Folgen der Abtreibung stirbt.Dieser Roman über zwei Frauen aus wohlhabendem Haus beschreibt eine Insel der Reichen und Sorglosen - kein Wort über soziales Elend, über die Beziehung Algeriens zu Frankreich, die später ein wichtiges Thema der Autorin wird, die im letzten Jahr für ihr Werk den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhielt.Trotzdem ist der Roman sehr politisch. Indem er darstellt, wie klein das Aktionsfeld ist, das diese Insel der Seligen für ihre Frauen bereithält: Familienbeziehungen. Mehr nicht. Nadias Schwester Mirjam geht auf in Sex mit ihrem farblosen Mann, die ältere Schwester Leila erringt die Herrschaft über die Schwiegermutter. Jedla fürchtet ihren Mann zu verlieren und spielt dabei offensiv das Spiel, ihn selbst einer anderen, Nadia, in die Arme zu treiben und der Konkurrentin damit zumindest den Triumph zu nehmen, ihr den Mann ausgespannt zu haben. Nadia dagegen reizen Machtspiele und Quälereien, Hasseins "beißender, zynischer Spott, der unseren Gesprächen früher einen peitschenden Rhythmus verliehen hatte, der mich erregte: Wir hatten uns mit Worten duelliert."Es sind leere Rollenspiele, die jedoch im Lauf der Geschichte zu blutigem Ernst eskalieren. Während Nadia die Amazone gibt, die sich selbst als kalkulierende, herzlose Menschenjägerin sieht, geht Jedla den Weg der totalen Regression, der Selbstaufgabe. Nadia fühlt sich berührt, wenn die gehassliebte Freundfeindin mit "sadistischem Genuss" sagt: "Ich sehne mich danach, alles zu beobachten und zu kontrollieren, bis er (gemeint ist Jedlas Mann Ali) alles zerstören wird, was ich habe. Ich möchte erleben, wie er schwach wird und nachgibt; vielleicht triumphiere ich dann endlich."Nadia ist die einzige der vier Frauen, die unverheiratet ist und kein eigenes Haus hat, die wechselnd bei den drei anderen zu Besuch ist. Ihr Ort ist ihr Wagen, den sie selbst fährt - eine mobile, reiche und moderne junge Frau im Algerien der fünfziger Jahre. Auch das Meer und der Strand sind ihre Orte, für jeden einsehbare Natur statt des behüteten umbauten häuslichen Raums. Am Strand lässt sich Nadia von Hassein lieben. Sie schwimmt oft mit Hassein - und einmal mit Jedlas Mann Ali. Der zieht sie lange unter Wasser, und sie, die hervorragende Schwimmerin, schluckt bei diesem Kampf "entsetzlich viel Wasser", ihr wird schwindelig, ihr Körper verkrampft, ihr Arm fühlt sich "beinah ein wenig abgestorben an". Sie entkommt, und sagt auf sicherem Sandboden dann die Sätze: "Ich wich seinem Blick aus. Ich liebte ihn."Kaum wahr. Denn Nadia liebt vor allem die Pose des Gefühls und ist sich dessen auch bewusst. Aber der Satz ist wichtig, um ein Spiel zu inszenieren. Die Spielerinnen sind zweifellos die Frauen: Sie agieren wie Herren, strategisch, sie machen die Züge, sie setzen die Figuren. Tröpfe sind dagegen die Männer, die eifersüchtig, verzweifelt oder zynisch gemacht werden, sie sind der Einsatz, mit dem die beiden Frauen ihr Spiel machen. Jedla erhöht schließlich den Einsatz um die eigene Person. Während Nadia sich, als es eng wird, aus dem Spiel verabschiedet, indem sie Hassein - den sie ursprünglich "erforschen, entlarven, besiegen" wollte - einen Antrag macht. Um dann Jahre später als beglückte Ehefrau eines starken Mannes über die Irrungen und Wirrungen ihrer Jugend zu schreiben. "Unterwürfig" ist ein Glitzerwort dieser Geschichte: gehasst und ersehnt.Durst, dieser kurze Roman über einen heißen algerischen Sommer und einen Kampf voll glühender Eifersucht und kalt-präzisem strategischen Denken hat Dichte. Und konfrontiert mit der Beschreibung, wohin es führt, wenn Frauen auf den rein privaten Raum begrenzt werden. Eingeschränkt in ihrem Tatendrang, in ihrem Bedürfnis, sich zu messen, sich einen Raum zu erobern, Macht auszuüben bleibt ihnen nur ein Schlachtfeld: Sie müssen den privaten Raum zum Kriegsschauplatz umfunktionieren.Fatima-Zohra Imalayène schrieb dieses Jugendwerk 1957 als Studentin in Paris und veröffentlichte es - selbst noch nicht volljährig - unter dem Pseudonym Assia Djebar bei Juillard, der drei Jahre zuvor Francoise Sagans Bonjour tristesse gedruckt und zu einem Welterfolg gemacht hatte. Im Frankreich der 50er Jahre schwamm Djebars Roman im mainstream der Literaturszene: zwei junge Frauen, die es ganz selbstverständlich genießen, unmoralisch zu handeln. Djebar verlagerte, was in Frankreich en vogue war, in die Szenerie des Maghreb. In Algerien prallte ihr Text prompt an einer Mauer der Empörung ab. Später machte Djebar die sie ablehnende Kultur, Algerien, zu ihrem Thema.Assia Djebar: Durst. Roman. Aus dem Französischen von Rudolf Kimmig. Mit einem Nachwort von Clarisse Zimra. Unionsverlag. Zürich 2001, 156 S., 28,- DM
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