In Die Wolken von Sils Maria, dem letzten Film von Olivier Assayas, hat Kristen Stewart eine Figur gespielt, die plötzlich verschwindet, ohne dass jemals geklärt würde, warum und wohin. In dem neuen, Personal Shopper, spielt Kristen Stewart eine Figur, die mit dem Verschwinden einer anderen klarkommen muss und auf ein Zeichen aus dem Jenseits wartet, ohne zu wissen, warum eigentlich oder wie das Zeichen aussehen sollte.
Das Kreuz an der Wand im Treppenaufgang ist nicht ausreichend. Das Wasser, das ohne Zutun aus einem Hahn sprudelt, auch nicht, ebenso wenig das Knacken, das bei Nacht im Haus zu hören ist. Und selbst wenn das Haus von einer geisterhaften Präsenz heimgesucht wird, heißt das nicht, dass es sich dabei um die richtige handelt. „Du bist nicht mein Bruder“, sagt Stewarts Maureen drei Mal. Aber einmal stellt sie auch die Frage, ob er es sei, nennt seinen Namen und scheint davon überzeugt, dass eine Begegnung mit ihm, der Monate zuvor verstarb, unmittelbar bevorsteht.
Da sitzt sie im Eurostar, die Kopfhörer noch um den Hals und in der Hand das iPhone, auf dem, eine nach der anderen, die Nachrichten eines unbekannten Absenders eingehen. „Spiritisten standen der technischen Avantgarde immer sehr nahe“, heißt es in einem Interview, das Maureen kurz zuvor ansieht, und tatsächlich ist Personal Shopper ein Film, der die historische Allianz zwischen personalen und technischen Instanzen der Geisterkommunikation für das 21. Jahrhundert adaptiert. „Ich bin ein Medium“, erklärt Maureen einem Mann, dem sie gerade begegnet ist. Zugleich entspricht sie den Klischees des Digital Natives: Google-Reflexe, routinierte Gesten des SIM-Karten-Wechsels, symbiotische Beziehung zu mobilen Endgeräten.
Ballast loswerden
Im Paris der Gegenwart ist das Medium mit dem iPhone viel mit dem Moped unterwegs. Zwischen Cartier und Chanel, zwischen den Ateliers von Schuhdesignern und solchen mit teurem Vintage, zwischen der Wohnung, in der sie ihre Einkäufe abliefert, und ihrer eigenen. Für einen Film, der vom Warten handelt, ist Personal Shopper auffallend bewegt. Und unruhig nicht nur in den Mopedfahrten durch eine herbstliche Stadtkulisse, sondern auch in der Mise-en-scène von Unterhaltungen, in denen die Figuren selten zusammen in einem Bild zu sehen sind, auch wenn immer wieder von Kontakten und Beziehungen die Rede sein wird.
Das Warten ist eine einsame Angelegenheit in den Erzählungen des Kino wie anderswo. Aber selten ist eine Wartende im Kino so vorsätzlich einsam gewesen wie Maureen, die Assayas mit einem Paar Kopfhörern ausgestattet und unter eine Glasglocke gesetzt hat, um sie durch den Film zu bewegen, als wäre sie nur in der Welt, um ihr nicht anzugehören.
Oder als könnte sie sich in der Welt, die für die Dauer einiger Monate Paris heißt, nur aufhalten, indem sie sich von ihr absondert und Kontakte strikt pragmatisch (Shoppen) oder aber okkultistisch (Geisterbeschwörung) organisiert. Mit dem Model, für das sie ihre Einkäufe tätigt, kommuniziert sie über handgeschriebene Nachrichten, mit ihrem Freund, wenn sie ihn nicht gerade ignoriert, über Skype. Gespräche gelten der Erwartung jenes Zeichens, das der tote Bruder senden wird, der Sex ist autoerotisch, und wenn man Paris in Richtung eines lichteren Orts verlässt, ist das Warten nicht unbedingt zu Ende. Die trockene Kälte ist das Milieu der Filme von Olivier Assayas, das Verkennen und das Verfehlen der Modus ihrer Figurenbewegung und das Interesse an elektronischen Medien und deren Verwendung seit Demonlover (2002) unübersehbar. Was in den Filmen passiert, ist nicht darauf angelegt, die Figuren zu entwickeln, sondern sie zu erlösen. Aber was Erlösung verspricht, kann ebenso Verstrickung und Verdammnis bedeuten, gerade weil Beziehungen nicht nach dem Prinzip der Ergänzung konstruiert werden, sondern nach dem der Doublierung und der Auslassung.
In allen Filmen von Assayas gibt es eine Figur, die fehlt, und zwar so, dass sie nicht ersetzt werden kann. (Ausnahme vielleicht: Clean, 2004, worin Maggie Cheung nach einem Entzug versucht, das Sorgerecht für ihren Sohn zurückzukriegen.) Und in allen Filmen gibt es eine Figur, die zu viel ist, einer anderen zu ähnlich, zu nahe gerückt oder mit zu vielen Affinitäten ausgestattet, als dass beide im Raum derselben Erzählung koexistieren könnten. Figuren sterben oder verschwinden zu lassen, ist eine Form, mit solchen Konstellationen zu arbeiten. Sie umzubringen, eine andere, von der in Personal Shopper Gebrauch gemacht wird, wobei in keinem Film von Assayas so deutlich wurde, dass die Dezimation von Ähnlichkeiten, Affinitäten, Doppelungen nicht notwendig dazu führt, diejenigen, die übrig bleiben, freizusetzen.
Nichts mitzunehmen ist die Ansage, die die letzte Episode in Personal Shopper einleitet – zum Ende eines Plots, dessen Entwicklung mit dem Transport von Taschen und Einkaufstüten verknüpft war. Aber die Figur, die dann mit leichtem Gepäck aufbricht, wird sich aus der Verstrickung nicht gelöst haben, nicht aus der Heimsuchung, die in alten Häusern und neuen Medien wohnt, in den Kleidern der anderen und an allen Orten, an welche die Unerlösten von ihrem Regisseur geführt werden.
Info
Personal Shopper Olivier Assayas Frankreich/Deutschland 2016, 105 Minuten
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