Auf Posten für den Heimatschutz

Ideologie- und Blutsbande Die rechtsradikale Fraktion im Europäischen Parlament gibt den Verteidiger von Abendland und Wertegemeinschaft

In unserer Reihe über Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in der EU standen vor einer Woche Frankreich, Belgien und die Niederlande im Blickpunkt. Diesmal geht es um die erst in diesem Jahr entstandene rechtsextreme Fraktion im Europaparlament.

Was Jean-Marie Le Pen in der Pariser Nationalversammlung bislang verwehrt blieb, ist ihm seit Anfang des Jahres in Straßburg vergönnt. Seit Januar gehört sein Front National (FN) nicht mehr zu einer Gruppe von Abgeordneten in einem überregionalen Parlament, sondern einer Fraktion rechtsextremer Parteien an. Nach dem EU-Beitritt Bulgariens und Rumäniens übertreffen 23 ultrarechte Abgeordnete aus sechs Ländern im Europäischen Parlament das für eine Fraktion nötige Quorum von 19 Mandaten. Identität, Tradition, Souveränität (ITS) nennt sich der sinistre Bund, dessen Mitgliederliste sich liest wie ein "Who is Who" der extremen Rechten in Europa: Neben dem FN sind die österreichische FPÖ und der separatistische Vlaams Belang aus Belgien mit von der Partie, ebenso die Alternativa Sociale um die Mussolini-Enkelin Alessandra und die Neofaschisten der Fiamma Tricolore. Dazu gesellen sich noch Ataka aus Bulgarien und die Groß-Rumänien-Partei, die beide bevorzugt gegen Juden und Roma hetzen.

Als Antreiber diente die FPÖ, deren Freiheitliche Akademie 2005 etliche Vertreter der späteren ITS-Fraktion nach Wien geladen hatte, um ein Papier aus der Feder des Österreichers Andreas Mölzer zu verabschieden. Die so genannte "Wiener Erklärung" firmierte als vorweggenommenes Minimalprogramm der späteren Allianz. Mit viel Pathos verlangten die Unterzeichner einen "effektiven Schutz" gegen "Terrorismus, aggressiven Islamismus, Supermacht-Imperialismus und wirtschaftliche Aggression durch Niedriglohnländer". Man polemisierte mit Blick auf die Türkei gegen eine "schrankenlose Ausweitung der europäischen Integration auf ... nicht-europäische Gebiete Asiens und Afrikas" und beschwor einen "Staatenbund souveräner Nationalstaaten".

Das klingt sattsam bekannt und ist in Teilen kompatibel mit rechtskonservativen Vorstellungen, auch wenn Identität, Tradition, Souveränität (ITS) keinerlei Zweifel lässt, eine eigenständige Kraft am rechten Rand zu sein. Denn für Zweckbündnisse rechts von der Mitte bot das Europaparlament bisher bereits Möglichkeiten: Die Abgeordneten der italienischen Parteien Alleanza Nazionale (AN) und Lega Nord sowie der extrem konservativen Liga Polnischer Familien (LPR) sind Sitznachbarn bei der Union für ein Europa der Nationen. Selbst die Europäische Volkspartei (EVP) - die kontinentale Fusion der Christdemokraten - duldet mit Berlusconis Forza Italia und der ungarischen FIDESZ zwei rechtspopulistische Formationen, die Kontakte zur extremen Rechten pflegen. Im Vergleich dazu vereint ITS freilich Hardliner in Reinformat, den Vorsitz führt mit Bruno Gollnisch (FN) wenig überraschend ein verurteilter Holocaust-Leugner.

Für das laufende Jahr können die 23 Rechtsextremen dank ihres Fraktionsstatus etwa eine Million Euro an EU-Mitteln beanspruchen, auch erweiterte Antrags- und Rederechte stehen ihnen zu. Warum legen teils fanatische Ultranationalisten in einem supranationalen Parlament Wert auf derartige Begünstigungen? Gesteigerte Aufmerksamkeit der Medien und willkommene Finanzspritzen aus Brüssel allein können das kaum erklären.

Wenn Fraktionschef Gollnisch sagt: "Wir sehen uns als weiterführende Kraft der Werte Europas", darf man das getrost als Propagandafloskel abtun. Ganz gewiss sind die Mölzers und Le Pens alles andere als Europäer in einem kosmopolitischen Sinne. Mit Abscheu blicken sie auf die schwachen Schatten, den eine mögliche europäische Gesellschaft voraus wirft. Ein starres, im Kern völkisches Verständnis von Kultur und ein ebenso grundierter Nationenbegriff verengen ihren Horizont. Die Vorbeter von "nationaler Identität" und "rassischer Differenz" geben sich immer dann als Europäer, wenn es gilt, die Überlegenheit des christlichen Abendlandes zu verteidigen. Folglich stehen die Türken draußen vor der Tür und haben draußen zu bleiben.

Le Pen und seine Gefolgschaft sind gewissermaßen Europäer aus Not, die sich zur Rettung eines gefährdeten Okzidents berufen glauben und die europäischen Werte "durch Globalisierung, Masseneinwanderung und die Realitätsverweigerung durch die Vertreter der ›Political Correctness‹ " bedroht sehen (wie es in der zitierten "Wiener Erklärung" heißt).

Ein aggressives Verhalten der EU gegenüber anderen Weltgegenden wird gewiss nicht am Widerspruch der ITS scheitern. FPÖ-Mann Mölzer glaubt unbeirrt, dass "alte Kerngebiete deutscher Kultur wie das Elsass, Schlesien, Ostpreußen, Siebenbürgen oder der Banat Teile des deutschen Kulturkreises sind". Das muss er nicht erst auf einer Fraktionsklausur wiederholen, um bei seinen Kollegen aus Frankreich und Rumänien für hochrote Köpfe zu sorgen. Schon einmal ist im Europaparlament eine rechtsextreme Fraktion im Streit zerbrochen. Über die Frage, ob Südtirol deutsch werden oder italienisch bleiben solle, begruben Anfang der neunziger Jahre die Republikaner Franz Schönhubers und die römischen Neofaschisten des damaligen MSI ihr gerade erst geschlossenes Bündnis. Wie viel diplomatisches Geschick Alessandra Mussolini und Andreas Mölzer diesmal aufbringen können, um einander gewogen zu bleiben, bleibt abzuwarten.


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