Den "Geißeln der Tyrannen" will Tariq Ali in der globalisierten Welt nachspüren. Auf dem Cover seines neuen Buches steuern historische Dreimaster auf die nächtliche Skyline einer westlichen Großstadt zu. Darüber prangen ein bei Disney entlehnter Titel - Piraten der Karibik - und eine Trias linker Staatschefs: Boliviens Evo Morales, Venezuelas Hugo Chávez und Kubas Fidel Castro, letzterer mit einem leuchtenden Seligenschein versehen. "Pirat" symbolisiert für Ali "Freiheitskämpfer".
Die Selbstironie des Titel gebenden Films wird der Leser hier nicht finden. Tariq Ali meint es ernst, Humor verbannt er meist in die Fußnoten. Das vorliegende Buch will eine Streitschrift sein, und muss daher ohne den Nuancenreichtum seiner Romane auskommen.
Besonders angetan haben es Ali die Freibeuter Venezuelas. Auf dem Land ruhen derzeit mit gutem Grund die Blicke der interessierten Öffentlichkeit. Wohl zum ersten Mal seit der Unidad Popular Salvador Allendes glückt es einer linken Bewegung auf dem Kontinent, konsequent staatliche Spielräume für engagierte Sozialreformen auszuloten. Über eine Million Erwachsene lernten lesen und schreiben, allein bis Ende 2003 wurden rund zwei Millionen Hektar Land an mehr als hunderttausend Familien verteilt, das Gesundheitsbudget wurde verdreifacht.
Venezuelas gegenwärtiger Kurs verleitet manche, die komplexe Wirklichkeit des Landes auf Schlagworte zu reduzieren. Oft erscheint seine Politik als One-Man-Show eines telegenen Präsidenten - was sie zu einem gewissen Grad auch sein mag. Zugleich bestanden wohl noch nie zuvor so große Spielräume für Formen partizipatorischer Demokratie und Selbstorganisation. Gerade die lange von politischer Teilhabe ausgeschlossenen städtischen Armen nutzen dies weidlich. Raul Zelik beschrieb die venezolanische Linkswende in der Zeitschrift Prokla jüngst als "subjektlos": Wandel entsteht aus dem zeitgleichen Handeln verschiedener Kräfte, darunter Stadtteilbewegungen, linke Militärs und natürlich Hugo Chávez.
Im medialen Mainstream hingegen gilt Chávez als Caudillo, der die Not der Bevölkerung ausnutzt und das Land auf einen verhängnisvollen Pfad führt. Beinahe reflexartig wird alles abgewiesen, was dem neoliberalen Einheitsdenken zuwider läuft. Und offenbar irritiert viele Beobachter die Vorstellung, die unteren Schichten könnten sich politisch selbstbewusst artikulieren. So schießt man sich auf Chávez ein. Diesen Fehler begeht Ali mit umgekehrten Vorzeichen. Auch bei ihm bestimmen die großen Männer Venezuelas Geschichte. Selbstverwaltete Fabriken oder freie Radios sind ihm nicht der Rede wert.
Stark ist Ali immer dann, wenn er Geschichte über Anekdoten erzählt. 1967 wäre ihm beinahe die Einreise nach Bolivien verweigert worden, weil die Grenzbeamten seinen damaligen pakistanischen Pass für eine Fälschung hielten. Von einem solchen Staat hatten sie noch nie gehört. Während seines weiteren Aufenthaltes sei er aber kaum aufgefallen, ob seiner dunkleren Hautfarbe galt er der kreolischen Oberschicht bloß als weiterer verachtenswerter "Indio".
Auf Venezuela verwendet Ali mehr Emphase, auf Bolivien größere Sorgfalt. Präzise benennt er, wer handelt, sei es während der Revolution von 1952, sei es beim "führerlosen Aymara-Aufstand" von 2003. In dessen Folge musste Präsident Sanchez de Lozada demissionieren. Die indigenen Bewegungen ebneten den Weg für Evo Morales´ Wahltriumph zwei Jahre später. Bolivien bildet bei Ali mit Venezuela eine "Achse der Hoffnung", zu der auch Kuba zählt.
Der "Tropen-Sozialismus" hat Generationen lateinamerikanischer Linker beeindruckt, auch jene, die wie Allende einen anderen Weg gehen wollten. Morales und Chávez weilen häufig in Havanna, um, wie Ali schreibt, bei Castro Nachhilfe in Machtfragen zu nehmen. Seine Beziehung zu Kuba beschreibt der Schriftsteller in Anspielung auf García Márquez: "Meine Generation hat sich in die kubanische Revolution verliebt ... Dann habt ihr uns betrogen, indem ihr mit einem fetten, hässlichen Bürokraten namens Breschnew ins Bett gegangen seid und den Einmarsch des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei verteidigt habt... Jetzt ... sind wir beide alt. Wir brauchen einander. Es ist die Liebe in den Zeiten der Cholera."
Als verlogen geißelt Ali den westlichen Diskurs um Menschenrechte. Er spricht lieber von "Bedürfnissen", und fügt - in einer Fußnote, aber immerhin - hinzu: Dazu zähle neben Nahrung, Wohnung und Bildung die öffentliche Meinungsäußerung. Havanna hält Ali zugute, nicht wie Peking und Moskau den Weg zum Kapitalismus gegangen zu sein; und bei aller Kritik - eine lebenswertere Zukunft könnten Miami und Washington den Kubanern nicht bieten.
Gerade wenn er auf Kuba zu sprechen kommt, klammert Ali seine Person und seine Geschichte in der Neuen Linken der Siebziger nicht von seinen politischen Betrachtungen aus. Dieses Kapitel darf daher als vergleichsweise gelungen gelten, es ist mit leichter Hand geschrieben und doch tiefgründig. Dieser reflexive Zugang zeichnet das Buch aber leider nicht durchgängig aus. Oft dominiert ein selbstgerecht vorgetragener Wahrheitsanspruch. Eingangs verschwendet Ali fast zwei Kapitel auf eine ausgedehnte und oft redundante Polemik. Unter Verzicht auf analytische Tiefe, dafür aber mit schwerem Geschütz rückt er "dem Imperium" und seinen echten oder vermeintlichen Höflingen zu Leibe. Damit soll Venezuelas solitäre Rolle in der neuen Weltordnung betont werden, doch spiegeln diese Auslassungen eher die Verbitterung und Wut eines alten Kämpen.
Lang und breit rechnet Ali mit dem Medienmainstream ab, vor allem mit den Venezuela-Korrespondenten des Economist und der Financial Times: "Dieses feine Paar suchte sich einen guten Platz im Hintern der venezolanischen Oligarchie ... und betrachtete von dieser vorteilhaften Warte aus die Geschehnisse, wodurch diese beiden kriechtierhaften Journalisten zu den wichtigsten Herolden der oligarchischen Sache ... wurden." Tatsächlich haben besagte Korrespondenten 2002 unverhohlen den Putsch gegen Chávez begrüßt. Ali suggeriert aber, jegliche tendenziöse Berichterstattung über Venezuela werde aus Washington gesteuert.
Allzu komplex scheint der Autor es ohnehin nicht zu mögen. Statt die Politik Venezuelas und Boliviens genauer zu beschreiben und zu fragen, welche Impulse diese Piraten-Staaten einer neuen Linken geben könnten, bietet Ali holzschnittartigen Anti-Imperialismus. Ausgerechnet islamischen Führern wie Irans Präsidenten Ahmadinedschad und dem irakischen Untergrundkämpfer Muktada al-Sadr kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Zwar unterliege deren Radikalismus Beschränkungen, doch hätten sie die städtischen Armen zu organisieren vermocht. Lateinamerika und der Nahe Osten - das seien "zwei Fronten", die sich gegen das Imperium vereinen könnten. Bleibt zu wünschen, derart fauliger Wind möge die Segel dieser Freibeuter nur in Alis Phantasie blähen.
Tariq Ali: Piraten der Karibik. Castro, Chávez, Morales. Die Achse der Hoffnung. Aus dem Englischen von Michael Bayer, Ursula Pesch und Karin Schuler, Diederichs, München: 2007, 304 S., 22 EUR
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