Vor lauter Machtkalkül

Polizei Schön, dass die Grünen ihren Frieden mit den Sicherheitsbehörden gemacht haben. In Hessen aber geht das viel zu weit
Ausgabe 30/2020
Nicht nur die Grünen machen mit der Polizei ihren Frieden, auch die Polizei mit dem Grünen
Nicht nur die Grünen machen mit der Polizei ihren Frieden, auch die Polizei mit dem Grünen

Foto: Michael Gottschalk/Getty Images

Für die Frauen und Männer, die vor 40 Jahren die grüne Partei ins Leben riefen, wäre das wohl nicht vorstellbar gewesen: ein Verein, der laut seiner Selbstdarstellung den Gremien der Grünen „Beratung und Unterstützung auf fachlicher Basis“ bietet – und dem ausschließlich Polizistinnen und Polizisten angehören. 2013 ist dieser Verein, „Polizeigrün e.V.“, gegründet worden. Für die Gründerinnen und Gründer der Grünen verband sich „Grün“ und „Polizei“ mit der damals noch grün uniformierten Ordnungsmacht, der sie in herzlicher Gegnerschaft gegenüberstanden, bis der Gefangenentransporter kam. Der hieß im Übrigen „Grüne Minna“ und war damit weit und breit das einzige weibliche Element aufseiten der Polizei.

Heute fällt es kaum noch jemandem auf, dass die innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen, Irene Mihalic, jahrelang als Polizistin gearbeitet hat. Niemand empört sich, wenn sie sagt: „Wir Grüne mussten erst lernen, dass die Polizei ein positiver Faktor ist.“ Auch den Verfassungsschutz abschaffen will kaum noch jemand in der Partei, von der Bundeswehr ganz zu schweigen.

Die Grünen, so scheint es, haben grundsätzlich ihren Frieden mit den Sicherheitsorganen gemacht. Nicht auf die billige Art eines Horst Seehofer, der zwar die Angriffe auf Polizistinnen und Polizisten in einer Studie untersuchen lassen will, nicht aber die Zustände in den Behörden selbst. Aber die Existenz der Sicherheitsorgane ist inzwischen doch allseits akzeptiert. Das gilt weitgehend für das ganze Spektrum, das einst als „rot-rot-grünes Lager“ gelten durfte – auch wenn in der Linkspartei der Ruf nach Abschaffung der Geheimdienste meistens erst dann verstummt, wenn sie irgendwo mitregiert.

Der Studie zu den Angriffen auf Beamte können Grüne und Linke ruhig zustimmen, wenn sie zugleich auf der Untersuchung rassistischer Tendenzen in der Polizei bestehen. Es gehört ja auch links der CDU längst zum guten Ton, Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten eindeutig zu verurteilen. Das ist nach den Vorfällen von Stuttgart ebenso geschehen wie jetzt nach der Randale auf dem Opernplatz in Frankfurt am Main. Mit Recht: Nur eine klare Positionierung gegen diese Formen der Gewalt lässt dann auch eine glaubwürdige Beschäftigung mit den möglichen sozialen Ursachen zu.

Ein rational-kritisches Verhältnis zur Polizei, gegründet auf der schlichten Erkenntnis ihrer grundsätzlichen Notwendigkeit, ist sicher besser als das Verharren in nostalgischer „Bullen“-Aversion. Und es öffnet politische Räume: Plötzlich erscheint es möglich, sich gemeinsam mit eher konservativen Sozialdemokraten wie dem niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius auf eine grundlegende Analyse rassistischer Strömungen in der Polizei zu einigen. Pistorius’ Vorstoß, die Studie zum Racial Profiling auf Länderebene auch ohne Seehofer durchzuführen, weist in diese Richtung.

Sicher ist es bei der Bundeswehr und den Geheimdiensten nicht ganz so einfach, denn ihre Notwendigkeit liegt nicht so klar auf der Hand. Da täte es Grünen und Linken vielleicht sogar ganz gut, sich an ihre früheren Ideen eines Landes ohne Armee und Geheimdienste zu erinnern. Das könnte eine kritische Wahrnehmung schärfen, die die Gefahr rechtsstaatswidriger Spitzeleien hier und das in männerbündischen Strukturen gedeihende Gift autoritärer, sexistischer und rassistischer Verhaltensmuster dort nie aus den Augen verliert.

Diese Aufmerksamkeit sollte jedoch keine selektive sein. Es erstaunt schon, wie schnell aus dem Spektrum der ehemaligen Kritiker der Ruf nach geheimdienstlicher Beobachtung ertönt, wenn es um die extreme Rechte geht. So berechtigt der Ruf nach einem entschiedeneren Kampf gegen rechts ist: dass der Rechtsstaat den Sicherheitsbehörden Grenzen setzen muss, sollte auch dann ein Kernbestandteil fortschrittlichen Denkens sein, wenn einmal „die Falschen“ davon profitieren.

Wie notwendig kritische Aufmerksamkeit in Sicherheitsfragen ist, lässt sich am hessischen Polizeiskandal gut beobachten. Die privaten Daten der politisch aktiven Frauen, die übelste Drohbriefe erhielten, stammen bekanntlich aus Polizeicomputern. Was würden Grüne in der Opposition sagen, wenn ein Innenminister wie der hessische CDU-Mann Peter Beuth auf so etwas erst verspätet reagiert und dann absolut stümperhaft mit irgendwelchen Personalrochaden? Klare Worte wären garantiert. Nun aber, da sie mit der CDU regieren, legen die Grünen eine beschämende Schweigsamkeit an den Tag und überlassen die Kritik der Partei im Bund.

Ein Zeitungskollege kommentierte kürzlich, dieses gespaltene Vorgehen sei „ebenso kurios wie zwangsläufig“. Schließlich seien die Grünen so erfolgreich, dass sie inzwischen öfter auch mit der CDU regierten. Das führe nun mal dazu, dass die Partei „zunehmend Entwicklungen hinnehmen muss, die mit der Berliner Grünen-Rhetorik unvereinbar sind“.

Zwangsläufig? Muss? In welchem Gesetz steht geschrieben, dass man „zwangsläufig“ mit einer Partei regieren „muss“, für die jede Kritik an den Sicherheitsbehörden so etwas wie Landesverrat darstellt? Nichts gegen einen versöhnlichen Umgang mit der Polizei. Aber wer dabei vor lauter Machtkalkül seine kritische Einstellung vergisst, hat die Versöhnung grundlegend missverstanden.

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