EITLER KITSCH UND FESSELNDER POETISCHER REALISMUS Zwei Zeitromane aus Afrika von Nuruddin Farah und Anouar Benmalek, die unterschiedlicher nicht sein könnten
Nuruddin Farah erhielt für seinen Roman Geheimnisse, den dritten Band seiner Blood and Sun-Trilogie, einen renommierten internationalen Preis. Eine Art "patchwork-Technik" - das Anhäufen von Geschichten, Debatten, Parallelhandlungen, moralischen, historischen, politischen Exkursen - gilt als Stärke seines Stils, dessen Unverwechselbarkeit hoch gelobt wird und schon zur Auszeichnung früherer Werke führte. Der weltanschauliche Tenor seiner Werke machte ihn dem Militärregime unter Siyad Barre missliebig, sodass er ab 1974 über zwanzig Jahre lang nicht mehr nach Somalia zurückkehren konnte.
In einer Rezension der englischen Ausgabe der Geheimnisse wurde in der New York Review behauptet, der Titel Die letzten Tage von Mogadischu wäre der Geschichte, d
en Tage von Mogadischu wäre der Geschichte, die in der Woche vor Ausbruch des Bürgerkriegs spiele, angemessen gewesen. Unter all diesen positiven Vorzeichen ist die Lektüre der Geheimnisse umso enttäuschender. Ein paar prägnant hingeworfene Bilder gehen in einem Wust abstruser Dogmen, verquaster (Alb)Träume und aufgeblasener, scheinbar intellektueller Phrasen unter. Darüber hinaus erzielt der Autor mit seiner verschwommenen und afrika-tümelnden Gefühligkeit eine extrem antiaufklärerische Wirkung, und überdies herrscht ein absolut frauenfeindlicher Grundton. Die Protagonisten (die jeweils als Ich-Erzähler auftreten, und zwar so eingeführt, dass der Leser möglichst lange nicht kapiert, wer jetzt erzählt) stehen allesamt unter dem Bann der hoch erotischen Sholoongo. Um der eigenen Geilheit (oder Eifersucht) anständigeren? intellektuelleren? unschuldigeren? Anstrich zu verleihen, dichten sie ihr hexenhafte Kräfte an, denen zu widerstehen dem normal Sterblichen unmöglich ist. Dabei dürften manche Aufklärungsbücher aus den fünfziger Jahren lustvollere Assoziationen auslösen als die vorliegenden Schilderungen. Nur ein Beispiel: "Das Liebesspiel stellt auf seinem Höhepunkt Anforderungen an die Körperfunktionen der Beteiligten. Nonno war ein inaktiver Unbeteiligter, der sich auf meine Schmeicheleien hin halb erhob, aber sogleich wieder schlaff wurde, wenn ich nachließ." Abgesehen davon, dass ein aktiver Unbeteiligter nur schwer vorstellbar ist, dürfte sich die Schlaffheit nicht des ganzen Mannes bemächtigt haben, sondern allein seines Penisses, und an diesen Körperteil werden nicht nur auf dem Höhepunkt, sondern während des ganzen Geschlechtsverkehrs "Funktions-Anforderungen" gestellt.Aber wie immer Nonnos Penis funktioniert, in seinen Augen - so stellt die Erzählerin und aktiv Beteiligte fest - hätte sie "den Stahl seiner gentlemanhaften Entschlossenheit" gesehen, ja, hätte, denn leider hielt Nonno die Augen während des ganzen Akts geschlossen... Solch unsägliche Stilblüten, Dialoge, die in ihrem hanebüchenen, leblosen Duktus Touristenführern verstaatlichter Reisebüros ähneln und aus dem Mund zweier geborener Somalier unglaubwürdig und lächerlich wirken, wären selbst bei ansonsten einigermaßen gelungener Darstellung schwer erträglich, doch zu allem Überfluss werden weder die familiären Geheimnisse, noch die gesellschaftlichen Konstellationen - und auf abstruse Art werden sie in Verbindung gebracht - je nachvollziehbar. Sie werden ja auch nicht wirklich erzählt, sie werden nur ununterbrochen behauptet und beschworen und dem Leser immer wieder mal mit einem Versatzstück - einem Apportierholz ähnlich - in Erinnerung gebracht. Aber Bürgerkrieg ist nicht, weil ein mythisch raunender Protagonist alle fünfzig Seiten in eine Straßensperre gerät.Was ein Bürgerkrieg tatsächlich bedeutet, welch mörderische, das Leben bis in die kleinste Nebensächlichkeit beherrschenden Konsequenzen ein Militärregime und seine gegnerischen Miliztruppen für die Bevölkerung nach sich zieht, lässt sich an Anouar Benmaleks Roman Die Liebenden von Algier verfolgen. Gerade durch die scheinbar ungerührte, präzise Schilderung der Ereignisse auf Ebene der Gegenwart - des Bürgerkriegs - und die klar strukturierten Rückblenden in die Zeit des Zweiten Weltkriegs und des Unabhängigkeitskrieges entsteht ohne Pathos, dafür mit großer Eindringlichkeit das Porträt einer zerrissenen Gesellschaft, in deren kriegerische Auseinandersetzungen die in ihr lebenden Menschen ganz zwangsläufig verwickelt werden. Hier breitet sich anhand einiger glaubwürdiger, in ihren Stärken, Schwächen und Ambivalenzen realistisch und berührend dargestellten Protagonisten das Panorama der algerischen Geschichte im 20. Jahrhundert aus. Gerade unter diesem Gesichtspunkt wirkt der Satz (aus den Geheimnissen): "Unser Volk hat die Zeichen, die die nahenden Katastrophen ankündigten, nicht beachtet" nicht mehr nur hohl, sondern ignorant und arrogant. Das "Volk" kann die "Zeichen" beachten, es kann sie sogar richtig deuten, aber zwischen den Interessenskonflikten der Mächtigen wird es zermalmt werden. Dass es auch in solch scheinbar ausweglosen Situationen immer noch Menschen gibt, die unspektakuläre Akte des Widerstands leisten, ist eine andere Sache, die in Benmaleks Werk breiten, aber unpathetischen Eingang findet. Was sich darin nie findet, ist ein so beschönigendes Wort wie "Katastrophen", wenn es sich in Wirklichkeit um Machtkämpfe handelt.Anouar Benmalek, der mit anderen zusammen 1988 das Algerische Komitee gegen die Folter begründete, lebt seit 1991 als Privatdozent für Mathematik in Rennes. Wie er in einem Interview sagte, empfindet er das nicht als Exil, hält sich auch immer wieder - zwar unter Vorsichtsmaßnahmen, da mehrere Komiteemitglieder mittlerweile ermordet wurden - in Algerien auf. In der Bekämpfung des Fundamentalismus sieht der überzeugte Demokrat die wichtigste Aufgabe, da der Terrorismus mitsamt den im Roman geschilderten Massakern eine Folgeerscheinung darstellt. Wer Die Liebenden von Algier gelesen hat, wird viel von Algerien und seiner Entwicklung begreifen und dem Express zustimmen, der konstatierte: "Anouar Benmalek - merken Sie sich diesen Namen!" Von diesem Autor sind zweifellos noch weitere große Werke zu erwarten. Denn neben der perfekten Dramaturgie einer stimmigen, mehrschichtigen Handlung verfügt er über eine gleichermaßen unprätentiöse wie poetische Sprache.Anouar Benmalek: Die Liebenden von Algier. Roman, Luchterhand-Literaturverlag, München 2000, 412 S., 44,- DM Nuruddin Farah: Geheimnisse. Roman. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main 2000, 398 S., 49,80 DM
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