E wie eklig?

Mobilität Ob Elektro-Autos gut für das Klima sind, ist heftig umstritten
Ausgabe 17/2019
Endlich Frühling: Sonne tanken!
Endlich Frühling: Sonne tanken!

Foto: Visual China Group/Getty Images

Schanghai, April 2019: Zwei junge Frauen in kurzen blauen Röcken enthüllen im Blitzlichtgewitter den frisch gewachsten roten SUV-Riesen „ID Roomzz“. Viel Platz und Komfort soll er chinesischen Mittelstandsfamilien bieten, wirbt der deutsche Hersteller VW für einen seiner fünf Elektro-SUVs, die er auf der Automobilmesse präsentiert. Sie versprechen gutes Klimagewissen und Luxus in einem – für alle, die es sich leisten können: die oberen zehn Prozent der chinesischen Bevölkerung.

Keines dieser Modelle wird je auf den europäischen Markt kommen – der neue Absatzmarkt ist China. Auch VW verdient mit einem Elektro-SUV für aufstrebende chinesische Geschäftsmänner weitaus mehr als mit dem kleinen Mittelklassewagen, mit dem der Konzern vor knapp achtzig Jahren einmal in Europa gestartet war.

Die Automesse in Schanghai hatte eine klare Botschaft: Trotz Klimakrise und mahnender Worte von Greta Thunberg können wir einfach so weitermachen wie bisher! Mit Luxus, Sexismus, Statussymbolen und allem, was dazugehört – auch ein bisschen Klimagewissen. Bei so viel Tartüfferie ist es kein Wunder, dass so manch eine Umweltschützerin und Linke auf die Barrikaden geht. Was Autobauer jahrzehntelang als Nischenprodukt belächelten und als unwürdige Konkurrenz zu Diesel und Benzinern ausmachten, wird nun als Zukunft der Branche gehypt.

Raus aus dem Auto

Autokritiker wie der linke Verkehrsexperte Winfried Wolf haben deshalb eine regelrechte Abneigung gegen das E-Auto entwickelt. Das E-Auto ist für ihn nicht mehr als eine groß angelegte Täuschung, um den Konzernen neue Märkte zu erschließen. In seinem neuen Buch Mit dem Elektroauto in die Sackgasse stellt der Autor die These auf, dass die batteriebetriebenen Autos keinerlei Klimanutzen hätten und – noch schlimmer – sogar für zusätzliche Emissionen sorgten. Weil weltweit immer mehr Autos verkauft würden, bis 2050 rechnet die OECD mit einem Anstieg von heute 900 Millionen auf 2,4 Milliarden Fahrzeuge, steige die CO₂-Belastung des globalen Verkehrs insgesamt. Zusätzlich würden zwar immer mehr E-Autos verkauft, die hätten jedoch nur einen geringen CO₂-Einspareffekt und seien aufgrund der benötigen Rohstoffe für die Batterien das „schmutzige Sahnehäubchen“ dieses Verkehrsdesasters. Außerdem rechnet der Autor vor, dass durch E-Autos auch mehr Stromkapazitäten gebraucht würden. In Ländern wie China befördere das den Bau von Kohle- und Atomkraftwerken. Und: In Deutschland werde das E-Auto als Zweit- oder Drittwagen gekauft und sei dabei schlicht das neue Spielzeug der Reichen und Schönen.

Unterstützung findet diese Kritik ausgerechnet durch eine neue Studie des Ifo-Instituts, wonach der CO₂-Ausstoß batterieelektrischer Autos nur knapp unter dem eines Dieselmotors liege oder sogar darüber. Die Message der Konservativen um Hans-Werner Sinn: weiter Diesel fahren ist okay, die Ökos sind ja auch nicht besser.

Richtig ist: Über die Klimabilanz streiten sich Experten schon seit Jahren. Es gibt keine einfachen Antworten. Dass das E-Auto eine schlechtere Klimabilanz hat, als manche wahrhaben wollen, ist jedoch unbestritten. Betrachtet man die Vorkette der Produktion samt Batterieherstellung, kommen die meisten Studien bei einem Mittelklassewagen nur auf eine CO₂-Einsparung von durchschnittlich 25 Prozent – nach einer Mindestfahrzeit von über 100.000 Kilometern. Das liegt vor allem an der energieintensiven Batterieherstellung in Asien.

Auf Einsparungen von rund 25 Prozent kommt auch die jüngst erschienene Studie des ökologischen Thinktanks Agora Energiewende unter der Leiterin Kerstin Meyer – jedoch könne der Betrag je nach Strommix und Art der Batterieherstellung stark schwanken. „Batterieautos sind in puncto CO₂ schon heute im Vorteil“, sagt Meyer, „doch ohne Zweifel ist ihre Klimabilanz weiter zu verbessern.“ In einem Szenario für 2030 – angenommen wird in der Studie eine höhere Energiedichte durch effizientere Fertigungsprozesse, eine verbesserte Zellchemie der Batterie sowie CO₂-ärmerer Strom bei der Herstellung – könnte die CO₂-Ersparnis nach 150.000 gefahrenen Kilometern pro Auto auf über 40 Prozent steigen. Das Fraunhofer-Institut errechnet schon heute eine Einsparung von bis zu 42 Prozent – angenommen wird der aktuelle deutsche Strommix, bei dem pro Kilowattstunde mehr als 500 Gramm CO₂ in die Luft geblasen werden. Die Studien unterscheiden sich in den Grundlagen ihrer Kalkulation: Wird die Energiewende mit einberechnet, tanken die Autofahrer grünen Strom oder einen Strommix mit hohem Kohleanteil, wird das Recycling der Batterien beachtet, welche Batterie-Laufzeit wird zugrunde gelegt? So kann die Klimabilanz der E-Mobilität groß- oder kleingerechnet werden.

Grundsätzlich gilt jedoch: Je größer das Fahrzeug und seine Reichweite, desto größer und schwerer auch die energieintensive Batterie. „SUVs sind keine Ökomobile“, meint auch Agora-Autorin Meyer. Manche Argumente von Kritikern des E-Autos seien aber schlicht falsch: „Es ist nicht plausibel, dass durch mehr E-Mobilität neue Kohlekraftwerke gebaut werden müssten – schon deshalb nicht, weil erneuerbare Energien immer günstiger werden.“ Mit einem erneuerbaren Energiemix und sogenannten „intelligenten Netzen“ könnte die Elektrifizierung des Verkehrs gestemmt werden.

Bleibt die Rohstofffrage: Zwar muss man für das Elektroauto kein schmutziges Öl in krisengeschüttelten Ländern fördern, aber dafür braucht man für die Batterieherstellung Kobalt, Lithium und Coltan. Diese Rohstoffe müssen tonnenweise aus den abgelegensten Weltregionen in die Werkstätten von Autokonzernen transportiert werden, werden unter oft menschenunwürdigen Bedingungen von Arbeitern in Afrika gefördert und haben teils katastrophale Folgen für die Umwelt.

Rein in den Bus

Wie bei allen Industrieprodukten muss also auch in der E-Mobilitätsbranche für Fairness gekämpft werden. „Die Autogiganten wie VW, BMW, Toyota oder Daimler hätten die nötige Nachfragemacht, um Standards bei der Lithiumproduktion einzufordern“, glaubt der Rohstoff-Experte Matthias Buchert vom Öko-Institut. Immer wichtiger wird auch das Recycling der Batterien. Laut einigen Unternehmen sind bereits heute schon bis zu 90 Prozent der Materialien recycelbar. Allerdings würde die starke Nachfrage das Angebot an wiederverwendbaren Materialien dennoch weit übersteigen, so Buchert.

Heilsbringer ist das E-Auto also keinesfalls. Es wird dann zu einem ökologischen Desaster, wenn die Verbrennerflotten – mit schnell steigendem SUV-Anteil – einfach durch E-Autos ersetzt werden, weder auf Standards bei der Herstellung oder das Recycling geachtet, ein intelligenter Ausbau der Energiewende verschlafen wird und wir weiter dem Privatauto frönen, statt auf Car-Sharing und öffentlichen Nahverkehr umzusteigen. Die Berliner BVG stellte im März bereits die ersten Elektrobusse für den Stadtverkehr vor. Diese Form von Elektromobilität hat auf jeden Fall eine super Umweltbilanz: weniger Diesel-Feinstaub, weniger Energieverbrauch pro Person und weniger Lärmbelastung.

Das Elektroauto ist weder gut noch böse. Sein ökologischer Vorteil entscheidet sich daran, wie wir es bauen und nutzen.

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