„Es fehlen die Strafen“

Interview In der VW-Abgasaffäre zeigt sich ein grundlegendes Staatsversagen, sagt der Umweltexperte Axel Friedrich
Ausgabe 05/2016

Kaum einer kennt sich im Verkehrssektor so gut aus wie Axel Friedrich. Er arbeitete jahrelang als Abteilungsleiter im Umweltbundesamt, wurde für seinen kritischen Blick auf die Automobilwirtschaft gefürchtet. Im Jahr 2005 gründete er zusammen mit anderen die NGO International Council on Clean Transportation. Er war maßgeblich am Aufdecken des VW-Skandals in den USA beteiligt.

der Freitag: Herr Friedrich, die USA haben VW wegen der Abgasmanipulationen nun auf eine Milliarden-Entschädigung verklagt. Warum passiert das hierzulande nicht?

Axel Friedrich: Wir haben kein Unternehmensstrafrecht in Deutschland. Im Koalitionsvertrag ist ein solches Vorhaben zwar enthalten, aber die Umsetzung lässt weiter auf sich warten. Die EU hat für Pkw schon 2007 eine Richtlinie erlassen. Demnach muss im nationalen Recht geregelt werden, dass Maßnahmen zur Umgehung der Abgasreinigung bestraft werden. Eigentlich hätten die EU-Staaten das bis Februar 2009 umsetzen müssen.

Jetzt hat das Europaparlament beschlossen, dass in Zukunft die Abgase auf der Straße gemessen werden. Dafür werden jedoch auch die Grenzwerte angehoben. Ist die deutsche Regierung gerade froh, dass es bislang noch keine Mittel gibt, VW ans Leder zu gehen?

Ja. Der Einfluss der Autoindustrie ist in Deutschland sehr groß. Diese Lobby lässt solche Sachen nicht einfach so zu.

Aber in den USA geht es doch auch.

Der Unterschied zu den USA ist, dass dort die Zuständigkeiten bei den Umweltbehörden liegen. Dort hat das Verkehrsministerium überhaupt nichts mitzureden, wenn es um Abgaswerte geht. Wir haben hier in Deutschland einfach ein Strukturproblem.

Zur Person

Axel Friedrich hat Technische Chemie studiert und arbeitete fast 28 Jahre lang für das Umweltbundesamt. Heute ist er weltweit als freier Berater zu Verkehrsthemen gefragt, war unter anderem für die Weltbank und die Asian Development Bank tätig

Foto: Star-Media/Imago

Die EU-Kommission will die nationalen Zulassungsbehörden wie das Kraftfahrt-Bundesamt entmachten und Strafen einführen …

Die EU-Kommission macht mit diesen Ankündigungen einen Befreiungsschlag, um von ihrem eigenen Versagen abzulenken. Der erste Zeuge, der vor den Untersuchungsausschuss des Europaparlaments vorgeladen wird, ist wahrscheinlich ein ehemaliger EU-Kommissar! Das wird interessant.

Aber der Schritt der EU-Kommission an sich ist richtig?

Nein. Mit einer Kontrolle aus Brüssel haben Sie weder mehr Transparenz noch eine wirkungsvolle Kontrolle. Das muss auf nationaler oder regionaler Ebene geregelt werden. Die Umweltverbände verlangen seit Jahren, dass die Messungen auf der Straße gemacht werden und die Daten sofort veröffentlicht werden.

Hat Sie die VW-Abgasaffäre überrascht?

Nein, die grundlegenden Fakten sind unter Fachleuten schon seit Jahren bekannt. Es war reiner Zufall, dass die Sache nun hochgekocht ist. In den Städten werden seit langem viel zu hohe Stickstoffdioxidwerte gemessen, vor kurzem hat das Umweltbundesamt erneut davor gewarnt. Dass die Belastung von den Dieselfahrzeugen kommt, ist auch bekannt. Der eigentliche Skandal ist, dass bisher niemand auf diese Informationen reagiert hat.

Ist „Dieselgate“ also auch ein Staatsversagen?

Ja. Die Politik tut, als ob sie jetzt das erste Mal von alldem hört. Das ist ungeheuerlich. Und die Dieselabgase sind ja längst nicht der einzige Fall. Nehmen Sie Holzheizungen: Dort liegen die Emissionen ebenfalls um ein Vielfaches höher als in den Labortests. Aber auch acht der zwölf von uns getesteten Kettensägen überschreiten den Grenzwert. Das alles ist bekannt – es kümmert aber anscheinend niemanden.

Was müssen Gesetzgeber und Behörden anders machen?

Wir haben eine unzureichende Kontrolle. Nehmen Sie ein Bundesland wie Mecklenburg-Vorpommern: Wenn dort die eben angesprochenen Kettensägen mit zu hohem Schadstoffausstoß verkauft werden, wird das von den Behörden gar nicht bemerkt. Die Regierung hat erklärt, dass sie keinen einzigen Beamten für die Marktüberwachung stellen kann.

Man kann den Betrug also gar nicht verhindern?

Entscheidend ist, dass wir keine Strafen haben. Das gilt für die Kettensägen, aber auch für den Abgasbetrug. Wenn Sie hohe Strafen hätten, dann bräuchten Sie keine hohe Kontrolldichte.

Welches Ziel hat VW mit den Manipulationen verfolgt: Ging es darum, den Konzern zur Nummer eins in der Welt zu machen?

VW hat einfach Geld gespart – zulasten der Menschen und der Umwelt. Eine bessere Abgasanlage hätte etwas mehr Geld gekostet. Bei der Suche nach den Ursachen muss man zur Frage zurück, wer eigentlich von diesen Manipulationen betroffen ist. Es sind die Menschen, die an Hauptverkehrsstraßen wohnen. In der Regel sind das die sozial benachteiligten Menschen, die hier massiv belastet werden. Das ist der eigentliche Skandal, der allerdings in der Diskussion viel zu wenig beachtet wird.

Abgasbelastung klingt erst mal harmlos. Sind Menschen durch die Manipulationen ernsthaft zu Schaden gekommen?

Wir wissen, dass die Luftbelastung nicht nur krank macht, sondern die Stadtbewohner auch früher sterben lässt. In der Europäischen Union sterben jedes Jahr ungefähr 430.000 Menschen vorzeitig an Luftverschmutzung – 60.000 davon allein in Deutschland. Diese Zahlen sind so erschreckend, dass man schon längst etwas hätte unternehmen müssen. Das Problem ist: Es werden immer die anderen belastet. Die, die nicht im Auto sitzen. Ich produziere die Abgase, die anderen bekommen sie ab.

Hat nur VW manipuliert oder haben das auch andere Dieselfahrzeug-Hersteller getan?

Praktisch alle Hersteller tun das. Wenn die Schadstoffwerte in allen Städten viel zu hoch sind, dann kann das nicht nur von einem Autohersteller kommen. Der Bundesverkehrsminister hat eine Überprüfung angekündigt. Wenn das richtig gemacht wird, dann werden sicher noch weitere Hersteller auffliegen. Allerdings liegen die Ergebnisse seit November in der Schublade von Alexander Dobrindt. Warum rückt er sie nicht raus?

Glauben Sie, dass es zu weiteren Aufdeckungen kommen wird?

Die Umweltverbände bemühen sich juristisch darum. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden