„Was war das für eine Reise!“

Porträt Kim Wilde sang mit 20 "Kids in America" und war plötzlich berühmt. Andere wären abgestürzt, die Britin wurde Gärtnerin und feierte dann mit 50 ihr Comeback. Ist das Pop?

Klar kennt man „Kids in America“, diesen Ohrwurm aus dem Besten-Funk der Achtziger! Klar sind die meisten ein wenig ergriffen und dann ein wenig peinlich berührt, wenn sie ihn hören – wie so oft bei diesen Hitmaschinensongs. Kim Wilde, das war immer die Sexy-Nette, die selten auf dem Boulevard verhandelt wurde. Wilde war der Ohne-Allüren-Star, der sich mit 30 zurückzog, um Kinder zu kriegen. Jetzt, mit 50, ist Wilde zurück im Popbusiness und gibt wie so oft schon Interviews für ein neues Album; Snapshots heißt es diesmal. Sie trägt dezentes Make-up, die Haare wasserstoffblond gefärbt und pflegt britisches Understatement: Sie hoffe, sie könne auch dieses Gespräch interessant halten.

Der Freitag: Kim Wilde, andere Stars schreiben Autobiografien, Sie haben nun ein neues Genre erfunden: das Coveralbum von Songs, die in Ihrem Leben wichtig waren ...

Kim Wilde

: Ja, ich konnte so all die grausamen Details weglassen.

Gibt es die denn?

Nicht sehr viele. Aber die sollten wirklich privat bleiben. Meine Songs haben schon immer viel über mein Leben erzählt, aber nicht in einem vertratschten Stil. Ich gebe lieber Hinweise. Ein Buch mache ich vielleicht später.

Worüber würden Sie schreiben?

Dass ich 50 geworden und ins Popbusiness zurückgekehrt bin, darüber ließe sich schon etwas sagen.

Das haben nicht viele geschafft?

Nein. Aber es macht enorm viel Spaß! Ich genieße meine Bühnenauftritte, liebe die Interaktion mit dem Publikum.

Ist die anders als bei der 20-jährigen Kim Wilde?

Es macht mehr Spaß. Meine Stimme ist sehr viel stärker. Mit Sicherheit wächst im Laufe der Jahre auch das Selbstbewusstsein. ­ Aber die Stimme reift in den Mittdreißigern – bei mir also genau zu dem Zeitpunkt, als ich mich aus dem Musikgeschäft zurückzog.

Sie haben zum falschen Zeitpunkt aufgehört?

Es war genau der richtige! Ich war nur noch gelangweilt, von mir und meiner Stimme, von der Musik, vom Popstar-Sein. Mich hat nicht überrascht, dass keiner mehr meine Platten gekauft hat. Ich hatte mein Funkeln verloren. Es war sehr befreiend, eines Tages als Kim Fowler aufzuwachen.

Sie erzählen das so, als wäre es keine große Sache gewesen, einfach mal sein Leben als Popstar zu beenden, der den Ruhm ja genossen hat.

Das war auch keine schöne Erfahrung. Ich brauchte ein paar Jahre, um diese Entscheidung zu treffen, am Ende bot sich eine Gelegenheit, auszusteigen: Ich ging ans Theater, lernte dort meinen Mann kennen und bekam Kinder. Musik war immer wichtig, aber der Druck, Kim Wilde zu sein, war weg.

War der denn groß? Sie wirkten jedenfalls nicht so, als würden Sie sehr darunter leiden ...

Ich war sehr gut darin, Dinge zu verbergen.

Andere Stars wie Amy Winehouse waren nicht so gut im Verbergen?

Ich glaube, Amy konnte wie viele andere nicht damit umgehen, wie erstaunlich außergewöhnlich sie war. Sie fand keinen Frieden mit ihrem Talent. Die Suchtprobleme waren eher ein Symptom der Schwierigkeit, sich selbst zu akzeptieren. Und das ist sehr traurig. Aber ich hatte diese Probleme offensichtlich nicht.

Sie lachen – erleichtert oder kokett?

Ich konnte meine Begabung immer ganz realistisch einschätzen. Der Druck bestand eher darin, ein glamouröser Star sein zu müssen. Aber meine Familie gab mir immer Rückhalt. Nicht nur mein Bruder, auch mein Vater und meine Mutter haben mich sehr unterstützt. Manchmal hat mich das davon abgehalten durchzudrehen.

Sie standen kurz davor?

Naja, eigentlich war die Gefahr nie sehr groß. Ich war immer ein ziemlich vernünftiges Kind, selbst auf dem College war mein schlimmstes Vergehen, Zigaretten zu rauchen. Ich war auch nie eine Exzess- trinkerin. Die Familie war immer eine große Kraftquelle.

Auf andere Stars würde eher das Gegenteil zutreffen: Die Familie war ein Problem, bei Michael Jackson etwa, mit dem Sie ja auch getourt sind.

Das stimmt, der Druck innerhalb dieser Familie war groß, die Probleme waren es auch.

Wie war Ihre Familie?

Naja, nicht wie die Jacksons, aber auch nicht wie die Waltons, diese amerikanische Fernseh-Familie, die keine internen Konflikte kennt. Ich würde sagen, es war eine unermesslich positive Erfahrung für uns alle, aber die Behauptung wäre nicht wahr, dass es keine Probleme gegeben hätte – ich würde Ihnen trotzdem nicht erzählen, welche das waren.

Hm, selbstverständlich nicht ...

Sicher, es wäre sehr einfach zu behaupten, dass ich seit 15 Jahren glücklich verheiratet bin und alles easy war. Mein Mann und ich lieben uns auch wie verrückt, aber, meine Güte, was war das für eine Reise! Es wäre nicht sehr hilfreich, so zu tun, als sei alles perfekt.

Im Pop geht es meistens doch um verrückte Liebe und perfekte Oberfläche – Sie sind das Rollenmodell „vernünftiger Star“?

Ob ich ein Rollenmodell bin, weiß ich nicht. Ich versuche nur, so ehrlich zu sein, wie ich kann.

Ihre Mutter jedenfalls war eines, als Mitglied der ersten britischen Girlband – weswegen sich auf Snapshots eine Coverversion der Sugarbabes findet. Was ist so toll an einer Mädchencombo?

Da taten sich zum ersten Mal ein paar Mädels zusammen und haben als Vokal-Ensemble Platten aufgenommen!

Warum lachen Sie?

Na, ich bin ein bisschen stolz, ich dachte immer, wie cool ist das denn!

Warum wurden Sie nicht Mitglied in einer Girlband?

Das war eine schöne Vorstellung, aber eigentlich wollte ich Sängerin ohne feste Band werden und lieber mit verschiedenen Künstlern arbeiten. Dann fand ich mich plötzlich in einem Studio wieder und sang „Kids in America“ ...

... den Hit, mit dem Sie über Nacht berühmt wurden ...

... ja, das hat alles verändert.

Enttäuscht, dass es so lief?

Nein, damals war ich von dem Erfolg so überwältigt, dass ich gar keine Zeit hatte, darüber nach­zudenken. Die Idee, mit einer Frauenband Musik zu machen, finde ich unabhängig davon immer noch charmant.

Weswegen?

Es gibt eine gewisse Kraft, die Frauen haben, wenn sie unter sich sind: Eine Gruppe Mädels kann sehr sexy sein, aber auch die Welt verändern.

Oder sich gegenseitig fertigmachen.

Oder sich bekämpfen, ja.

Sie lachen, haben Sie das schon erlebt?

Nein, ich hatte immer nur gute Beziehungen zu Frauen.

Gesellschaftspolitisch betrachtet: Glauben Sie, dass Frauen zu wenig solidarisch sind?

Ich bin mir sicher, dass viele Frauen ihren Anteil daran haben, dass sich die Welt verändert. Auf kommunaler Ebene organisieren Frauen alles Mögliche, von Chören bis hin zu Nachbarschaftshilfen. Sie gehen es nur anders an als Männer – die schreien ihre Projekte laut heraus, Frauen machen keine große Sache daraus.

In Deutschland wird darauf gerne geantwortet: Schön und gut, aber deshalb haben sie auch keine Macht. Debattiert Großbritannien auch die Frauen-in-Führungs­positionen-Forderung?

Die gab es auch, ja. Als Labour an die Macht kam, wurden viele Frauen ins Kabinett geholt, aber alle haben nacheinander den Männerbund wieder verlassen. Ich fühle mich immer ein bisschen erleichtert, wenn ich eine Politikerin im Fernsehen sehe, auch Angela Merkel. Sie kann sich durchsetzen und trifft harte Entscheidungen. Finde ich gut.

Das wäre der Weltveränderungspart, was hat es mit der Sexyness auf sich? Bei den Slutwalk-Demos zuletzt war sexy Kleidung ja ein kontroverses Thema ...

Jede soll sich so sexy anziehen dürfen, wie es ihr gefällt! Ich persönlich habe damit eher ein Geschmacksproblem, denn oftmals sieht das eher vulgär aus.

Welche Kleidung wäre vulgär?

Ich glaube nicht, dass die Kleidung per se vulgär sein kann, es hat eher mit Verhalten und Attitüde zu tun.

Fühlen Sie sich unter Druck, sexy sein zu müssen?

Ein kleines bisschen, ja, aber nicht so, dass ich wirklich darunter leiden würde. Die Vorstellung von Schönheit ist heute sehr viel weiter gefasst.

Sie sagten einmal, dass Sie es nach Ihrem Ausstieg toll fanden, sich nicht mehr schminken zu müssen, essen zu können, was sie wollten?

Ich war erleichtert, ja, aber das rührte nicht so sehr von den Äußerlichkeiten, sondern von meinen Lebensumständen her. Als 20-Jährige einen Superhit zu landen, bedeutete neben allem Spaß auch, ein wenig abgeschottet von der Realität zu sein. Ich lebte überall, nur nicht in meiner eigenen Welt. In der Öffentlichkeit er­wachsen zu werden, ist ziemlich hart. Da kann man schon mal die Bodenhaftung verlieren.

Ihr Rückzug ins Private führte auch auf eine andere Art down to earth – Sie haben die Gärtnerei für sich entdeckt.

Eigentlich waren unsere Kinder die Auslöser. Ich wollte ihnen die Erfahrung ermöglichen, mit einem Garten aufzuwachsen, denn ich glaube, alle Kinder haben eine starke Beziehung zur Natur, sie spielen mit Würmern, rupfen Blätter von Blumen ab, ich war genauso. Aber ich kann Ihnen sagen, es war schnell frustrierend, aus dem Stück Brachland einen kultivierten Garten zu machen. Ich verstand ja kaum etwas davon.

Deshalb haben Sie Landschaftsgärtnerei studiert?

Ja, und es war bezaubernd, wieder in einem Klassenzimmer zu sitzen. All meine Kreativität und Leidenschaft manifestiert sich nun im Garten: Wir haben Gemüse, einen richtigen Wald und viele Eulen!

Unser Kolumnist, der Freitag-Gärtner würde nun sagen: Das ist aber alles Kulturraum, kein natürlicher Raum ...

Das empfinde ich ganz anders: Ich habe so viel Zeit ohne Bezug zur Natur verbracht, dass ich instinktiv das Bedürfnis nach Natur hatte. Es fühlt sich wunderbar an, draußen zu sein! Und hoffentlich leiste ich so auch einen Beitrag zu nachhaltiger Lebensführung. Viele Leute gärtnern wieder, das ist gut.

Was macht einen Garten schön?

Er sollte so viele Pflanzen als irgend möglich haben, und es ist großartig, wenn die Leute Gemüse anbauen, nicht zuletzt ist das ja gesunde Nahrung.

Haben Sie eine Lieblingspflanze?

Alle Arten von Samen sind wundervoll, erst so winzig, und dann wachsen daraus riesige Pflanzen! Und ich mag alles, was gut riecht. Und Rosen, weil sie so stark und wunderschön sind. Deshalb habe ich meine Tochter Rose genannt.

Was wollen Ihre Kinder denn einmal werden?

Meine Tochter hat neulich bei einer Schulversammlung verkündet, sie wolle Popstar werden, und ich dachte nur, oh Gott! Jetzt denken alle: Die Mutter will das so. Aber ich habe ihr das nicht eingeredet! Meine Kinder wussten lange gar nicht, dass ich Musik mache. Sie sollten in einer Umgebung aufwachsen, in der ein Garten wichtiger ist. Aber ich fiebere trotzdem ein wenig mit meiner Tochter mit. Ich denke, sie hat Talent. Mein Sohn Harry ist ein passionierter Gitarrenspieler, vielleicht wird er ein Rockgott in einer coolen Band, und wenn er 30 ist, ruft er mich an und fragt um Rat wegen seiner Karotten im Garten.

Keep me hangin on: Die Karriere von Kim Wilde

Eigentlich heißt sie Kimberly Kim Smith, geboren wurde sie am 18. November 1960 in London als ältestes Kind des Rock-n-Roll-Sängers Marty Wilde. Ihre Mutter Joice Baker war ebenfalls Sängerin. Ebenso wie ihr Bruder Ricky, ihre Schwester Roxanne und ihre Nichte Scarlett benutzt sie bis heute den Künstlernamen ihres Vaters: Wilde.

Wilde studierte am St. Albans College of Art and Design, ihr musikalischer Durchbruch gelang ihr 1981 mit dem Charterfolg Kids in America (komponiert und getextet von ihrem Vater). 1983 wurde sie von der britischen Plattenindustrie als Best Female Vocalist ausgezeichnet. Während sie in Großbritannien an Popularität verlor, füllte sie in Deutschland weiterhin die Hallen. Sie ersang sich den Titel Bardot der Popmusik und erhielt vier Bravo- Ottos in Folge als beste Sängerin.

Mitte der Neunziger beschloss sie, sich aus dem Musikgeschäft zurückzuziehen. Sie wechselte ins Musiktheater und wirkte in einer Produktion des Musicals Tommy am Londoner West End mit. Dort lernte sie ihren heutigen Mann, Hal Fowler, kennen. 1998 wurde ihr Sohn Harry, 2000 ihre Tochter Rose geboren. Während ihrer ersten Schwangerschaft begann Wilde, sich für die Gärtnerei zu interessieren, sie studierte Landschaftsgärtnerei und moderierte Gartensendungen im britischen Fernsehen sowie Radio. 2005 erschien ihr Buch Gardening with Children.

2003 gelang ihr mit einem Duett mit Nena, Anyplace, Anywhere, Anytime, ein Comeback-Erfolg, der den beiden in Deutschland wochenlang Platz 3 in den Charts einbrachte. 2006 schließlich erschien ihr Comeback-Album Never say never. Ihr neuestes Coveralbum Snapshots ist vergangene Woche erschienen, im Frühjahr 2012 wird Kim Wilde durch Deutschland touren. SL


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Geschrieben von

Susanne Lang

Freie Redakteurin und Autorin.Zuvor Besondere Aufgaben/Ressortleitung Alltag beim Freitag

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