Jude sein ist jetzt total angesagt

Im Gespräch Oliver Polak spielt als Standup-Comedian mit jüdischen Stereotypen - im Quiz „Judenspiel“ zum Beispiel. Viele finden das provokativ. Er hält es für längst überfällig

Der Freitag: Herr Polak, Sie sind über 30, aufgewachsen im Emsland und stellen in Ihrem neusten Programm fest: „Ich darf das, ich bin Jude“. Wann wurde Ihnen klar, dass sie etwas besonderes dürfen?

Oliver Polak: Als ich anfing, auf Bühnen aufzutreten, konfrontierten mich die Leute nach der Show immer damit. Das Programm sei ja super witzig und so intelligent – aber ich dürfe das ja. Und sie dürften das ja nie. Hm. Klar dürfen sie, aber warum sollten sie sagen, dass sie Oliver Polak aus Papenburg im Emsland und Jude sind? Ich führe auf dem Cover meines Buches auch einen Schäferhund an der Leine – mein Verleger meinte, das komme immer gut an: Tiere und Juden.

Was dürfen Sie denn noch so?

Am Büffet vordrängeln und bestimmt sagen „Lassen Sie mich durch!“ – niemand könnte mich daran hindern, denn ich würde entgegnen: „Aber meine Großeltern sind von Euch umgebracht worden.“

Ob Deutsche da lachen dürfen?

Ehrlich gesagt nehme ich mich nicht so ernst, zu glauben, dass ich das bestimmen könnte. Aber viele ungeschriebene Gesetze der politischen Korrektheit müssen hinterfragbar sein. Trotzdem ist der Titel meines Buches selbstverständlich ironisch gemeint. Gewisse Grenzen habe ich für mich persönlich schon gesetzt.

Welche sind das?

Ich würde mein Programm jederzeit „Beschnitten oder am Stück nennen“ oder „Jud Süßsauer“. In keinem Fall aber „Oliver Polak, ein Jude gibt Vollgas!“.

Der Holocaust bleibt Tabu, aber sie spielen mit Stereotypen – in der deutschen Öffentlichkeit ist auch das heikel. Sind die Grenzen hier zu eng?

Absolut! Ich lasse mich trotzdem nicht von meinen Auftritten abhalten. Manche Leute wie die Holocaust-Mahnmal-Vorkämpferin Lea Rosh haben eben nichts anderes zu tun als sich über all diese vermeintlichen Verstöße zu Wort zu melden. Aber da kann ich auch nicht helfen.

Die Schuldfrage existiert hier doch nicht grundlos. Wollen Sie provozieren?

Nein, Provokation ist nicht mein Genre. Ich habe eher das Gefühl, dass das Wissen über die jüdische Kultur von Stereotypen überlagert ist. Vielen Leuten muss man sie erst nahe bringen. Komiker in den Vereinigten Staaten können sich viel stärker auf jüdische Traditionen und Tics beziehen, da sie in der Gesellschaft präsenter sind. An Weihnachten gibt es neben jedem Weihnachtsbaum als Deko auch Chanukka-Leuchter. In Deutschland leider nicht.

Sie leisten Aufklärung?

Ich möchte die Leute zum Nachdenken anregen, auch mit dem Buch, aber ich führe keine endgültige Auseinandersetzung mit dem Thema „Leben nach dem Holocaust“. Schon gar nicht handelt es sich um eine investigative Schulduntersuchung, was wiederum auch nicht heißt, dass ich ein Anhänger der „Gras-drüber-wachsen“-Theorie wäre. Ich bin ganz einfach Standup-Comedian.

Ihr Traum?

Eigentlich war ich eher ein Zirkusnarr, habe dann aber für Comedy-Shows gearbeitet. Irgendwann war es mir zu doof, nur Gags zu schreiben, ich wollte selbst auf die Bühne. Und zwar als Standup-Comedian in der Tradition von Bill Murray oder Steve Martin, die ihre Figur authentisch aus ihrem Leben ableiten. Mein Name ist eben Oliver Polak, ich komme aus Papenburg im Emsland und ich bin ja Jude. Mein Programm resultiert aus meinen Gedanken und Erlebnissen, die teilweise lustig, teilweise weniger komisch waren.

Hat sich Ihre Jugend in der deutschen Provinz von anderen unterschieden?

Das Jüdische ist ein Teil meiner Identität, den ich nicht ausklammern kann und will – auch wenn mich meine Eltern nicht mit der Peitsche erzogen haben. Einmal jüdisch, immer jüdisch. Diese Prägung ist kein Mantel, den man wieder ablegen kann. Im Christentum ist das einfacher. Die Geselligkeit des Judentums und die tiefe Verbundenheit schätze ich sehr. Aber ich bin genauso Deutscher, Komiker, Musikmanager und Fan der Band Motorpsycho.

Auf der Bühne kokettieren Sie mit dem Gefühl des Ausgeschlossenseins in der Jugend – authentisch?

Wenn man in Papenburg aufwächst, dann ist so einiges anders. Aber wenn du zusätzlich in der einzigen jüdischen Familie groß wirst, dann ist das alles andere als normal. Mein Vater war wirklich der einzige, der aus dem Zweiten Weltkrieg zurück gekommen ist, das wusste jeder. Und dann kam auch noch ich. Die Leute löcherten mich ständig mit doofen Fragen.

Welche Fragen?

Sie sagten zum Beispiel: ‚Bist Du nicht der Polak? Ja, also, wir haben ja damals eure Familie bei uns im Keller versteckt...“ Wenn ich nach all den Leuten gehe, die so auf mich zukamen, dann müssten an die 100.000 Juden in Papenburger Kellern überlebt haben. Das sind absurde Situationen, als wollten sich die Leute mit ihrem Schuldkomplex an mir therapieren. Als Kind ist man da besonders ratlos. Aber ich komme nicht, um mich zu beschweren – naja, auch keine neue Haltung seit Tocotronic.

Sie gehen erstaunlich offen mit ihrer Lebensgeschichte um, schreiben über Dinge, die andere Männer in Ihrem Alter mal schön verschweigen würden: Beschneidung, Hodenkrebs, Angst vor Impotenz...

Ich empfinde diese Offenheit als normal. Das Programm resultiert aus der Figur, die ich auf der Bühne bin und die wiederum resultiert aus mir. Die auf der Bühne ist schon sehr offen und mit meinem Humor greift sie die eigene Geschichte auf, die Fettnäpfchen und Defizite. Darin liegt ja die Komik. Klar, man kann mir den Vorwurf machen, ich sei zu exhibitionistisch ...

Sind Sie es denn?

Ich spiele mit der Wahrheit. Viele Sachen sind passiert, aber manchmal macht meine Phantasie auch einen Ausflug. Von einem Hodentumor würde ich aber nicht erzählen, wenn ich ihn nicht gehabt hätte. Warum auch? Und wie bei allem gilt ja auch hier: Ich darf das! So langsam ahne ich, weshalb Jude sein auf einmal total in ist.

Jude sein ist angesagt?

Oh ja, wir sind eine nette Gesellschaft: Alf, die anderen TV-Juden und ich.

Sie beschreiben im Buch eine Art Seelen- und Schicksalsverwandtschaft mit Alf, dem behaarten TV-Serien-Außerirdischen...

Genau, seine Nase, sein Hang zur Wehleidigkeit, seine dominante Mutter, sein Teilzeitverbündeter in Gestalt des überforderten Familienoberhaupts, der auch Willy hieß – und die Familienkatze!

Und wer sind die anderen TV-Juden?

Im Gegensatz zu Alf, der ja als Jude im Verborgenen blieb, gibt es ein Paar TV-Stars, die nur den Eindruck erwecken, sie seien Juden. Pinocchio, der Lügner mit der langen Nase. Oder Iris Berben, die sich nach dem ersten Glas Prosecco für die Wiedergeburt von Oskar Schindler hält. Und nach dem zweiten Glas für Bertolt Brecht. Was glauben Sie, wie oft ein Typ vor mir steht und erklärt: „Du ich bin ja jetzt auch Jude! Ach nee, Quatsch, warte ich … ach richtig: ich habe mich jetzt auch tätowieren lassen – das verwechsle ich immer!“

Ärgert Sie das?

Mich stört, dass Leute wie eben Iris Berben meinen für die Juden sprechen zu müssen. Ich kann prima für mich selbst sprechen. So langsam frage ich mich ja nur noch, wer Jude ist und wer nicht. Deshalb habe ich mir ein Spiel überlegt: „Das Judenspiel“. Ich nenne auf der Bühne einen Prominenten und das Publikum entscheidet: Jude oder normal.

Überschreiten Sie damit nicht Ihre eigenen Grenzen?

Einmal kam ein Neunjähriger nach der Show an und sagte immer wieder ‚Jude‘, ‚Jude‘ zu mir. Ehrlich gesagt, das hat sich schon komisch angefühlt. Ich arbeite bei dem Spiel mit verschiedenen Ebenen, nicht nur der humoristischen. Trotzdem kommen mir dabei manchmal auch traurige Gedanken, die ich nur mit Humor ertragen kann.

Sie sprechen etwa von Ihren Großeltern, die im KZ umgebracht wurden?

Zum Beispiel. Aber auch von der Geschichte meines Vaters, der das KZ überlebt hat. Wenn ich mit ihm in einem Restaurant in England bin und dann kommt der Kellner und fragt, ob wir das Wasser „with or without gas“ haben wollen, fühle ich mich unwohl.

Was sind die anderen Ebenen bei Ihrem Spiel, außer der humoristischen?

Mir geht es darum, das Wort Jude von seiner negativen Behaftung zu befreien und positiv zu besetzen. Das Gelingen hängt aber von den Leuten ab, vor einem Publikum in Sachsen-Anhalt würde ich mir gut überlegen, was ich auf der Bühne mache.

Wo wir bei einem sehr unkomischen Punkt wären: dem Rechtsextremismus in Deutschland. Verschließen Sie davor ein wenig die Augen?

In erster Linie verstehe ich mich als Komiker, ich schneide Politisches zwar an, aber ich habe gerade nicht das Bedürfnis, mich politisch zu engagieren. Das kann ­ruhig Michel Friedman machen.

Haben Sie nie den Wunsch, dass sich diese Gesellschaft verändert?

Doch klar, aber das hat nun mit Judentum nichts zu tun. Ich fand das ziemlich Angst einflößend, als Sönke Wortmann während der Fußball-WM 2006 die Westentaschen-Leni-Riefenstahl gab und alle gejubelt haben, dass sie endlich die Fahne wieder hochhalten könnten. Dieser Nationalismus macht mir Angst, weil etwas vermischt wird, das nichts miteinander zu tun hat: Fußball und Fahnen hissen. Ich mag auch türkische oder amerikanische Fans nicht, die aus diesem Grund die Fahne hochhalten. Diese Aufteilung in „Wir“ und „Ihr“ führt nicht weiter. Daher gehe ich einen anderen Weg.

Aber Sie sind als Fan für die deutsche Mannschaft?

Ich mag Fußball und möchte auch, dass Deutschland gewinnt. Aber dafür muss ich mir noch nicht mal ein Goleo-WM-Maskottchenkostüm anziehen – obwohl, das wäre eigentlich schon wieder ganz cool. Ich glaube, ich bin der einzige, der Goleo immer gut fand.

Geht auf jeden Fall in die Alf-Richtung.

Stimmt. Hm, gestern Abend habe ich mich gefragt, wie das wohl gewesen wäre, wenn E.T. Türke gewesen wäre: „Isch will nach Hause telefonieren, Ascheloch“? Naja, nur so ein Gedanke.

Ihr bester Kumpel aus Papenburg ist türkisch-stämmig. Ein guter Verbündeter im Außenseitertum?

Ja, der ist genau so wie ich.

Auch so selbstironisch, vor allem wenn es um Männlichkeit geht?

Das ist eine andere Baustelle. Viele sind mit einem klassischen Doppelmoralproblem konfrontiert: Sie sind in Deutschland geboren und aufgewachsen, ihre Eltern vermitteln ihnen aber Werte, die überholt sind. Einmal war ich mit einem Bekannten in einem türkischen Imbiss und Leute fingen zu pöbeln an, von wegen ich sei ‚voll schwul und so‘. Da habe ich ihnen geantwortet, sie seien voll schwul und ihre Mutter auch. Mein Bekannter war total schockiert, er meinte, ich könne doch nicht so provozieren! Ich warte mal auf das Buch: Ich darf das, ich bin Türke.

Bisher ist jüdische Standup-Comedy auch eher eine Nische.

Stimmt, es gibt nur zwei andere: Marcel Reich-Ranicki und Michel Friedman.

Junge jüdische Kultur in den USA

Buch: Schlepping in den Alpen

Der amerikanisch-jüdische Journalist Sam Apple hat seinen ganz eigenen Weg gefunden, sich mit der jüdischen Identität zu beschäftigen: Er begleitete einige Monate lang Hans Breuer, den letzten Wanderschäfer Österreichs, der mit seinen 625 Schafen durch Wien, Niederösterreich und die Steiermark zieht und dabei jiddische Lieder singt in seiner Jugend linksradikalen Gruppen angehörte.Diese Reise eines Neurotikers ins Land der Täter beschreibt er in seinem RomanSchlepping durch die Alpen. Ein etwas anderes Reisebuch, Sam Apple, Atrium Verlag Magazin: Heeb

Das erfolgreichste Medium der Generation jüngerer Juden erscheint seit 2001 in New York: Heeb The New Jewish Review (heebmagazine.com). Schon der Titel ist eine Provokation, Heeb war vor allem in den 30er Jahren ein Schimpfwort für Juden. Genau darum geht es den Machern. Sie wollen sich selbstbewusst, selbstironisch und popkulturell von jüdischem Selbsthass, Folkloretum oder der Holocaustkultur absetzen Und so sieht das aus: Auf dem Cover beißt Eva in einen Apfel. Titel: Oops, I did it again.

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Susanne Lang

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