Berlin, Kurfürstenstraße, Stadtteil Schöneberg: Hier residiert der X-Filme-Verleih. Die Wände innen sind mit Holz vertäfelt. Eine Mitarbeiterin telefoniert am Empfangstisch. Es ist einer jener Pressearbeitstage, an dem einer der Stars eines neuen Films Interviews in streng getimter Taktung gibt. Karoline Herfurth wartet im überglasten Foyer, grüßt ebenso freundlich wie zurückgenommen. In Berlin 36 spielt sie die Rolle der jüdischen Hochspringerin Gretel Bergmann, die von den Nationalsozialisten nicht zu den Olympischen Spielen 1936 zugelassen wurde, weil sie als Favoritin galt. Es ist die erste Hauptrolle in einem Spielfilm für Herfurth nach ihrer Auszeichnung mit dem Bayerischen Filmpreis für die beste Nachwuchsschauspielerin im Februar für die Rolle der Lilly in „Im Winter ein Jahr“.
Herfurth trägt einen weit geschnitteneen weißen Sommermantel, eine modische Anleihe aus den 60er Jahren. Zuletzt modelte sie für das Modeheft des SZ-Magazins, Devise: "Keine unnötigen Verrenkungen". Cover: Herfurth, die sich hinterrücks biegt, der Kopf ist fast am Boden. Wenn sie nicht gerade für Film oder Modestrecken arbeitet, studiert die 25-Jährige Politik in Berlin. Vor den Fotoaufnahmen zu diesem Interview will sie in die Maske – die im Raum nebenan bereit steht, ebenso wie Kaffee, Tee, Kekse. Herfurth schenkt Kaffee für Presse- und Pressebetreuerinnen ein, eine Tasse Tee für sich selbst.
Der Freitag: Frau Herfurth, die Nationalsozialisten hatten die emigrierte Gretel Bergmann gezwungen, nach Deutschland zurückzukehren, um einen Boykott der Spiele zu verhindern. Dann haben sie ihren Start mit aller Macht verhindert. Eigentlich unfassbar, oder?
Karoline Herfurth: Über die Rolle wurde mir bewusst, dass man sich die Vergangenheit in der Rückschau kaum vorstellen kann. Wir wissen heute, was in den darauf folgenden Jahren geschehen ist. Aber damals hat wohl kaum jemand mit diesem unfassbaren Verlauf der Geschichte gerechnet.
Sie haben Bergmanns Biografie zur Vorbereitung gelesen?
Ja, sie ist spannend und die beste Vorlage, die ich mir denken kann, um die historische Figur Gretel Bergmann zu spielen. Bergmann beschreibt zum einen ihre eigenen Gefühle und Wahrnehmungen, zum anderen erschließt sich in der Art und Weise, wie sie schreibt, was für ein Mensch sie ist.
Wie würden Sie Bergmann beschreiben?
Sie hatte Angst, weil sie wusste, dass ihr alles erdenkliche passieren könnte, als sie nach Deutschland zurückgekehrt und im Trainingslager war. Andererseits sie ist ein unglaublich kämpferischer Mensch, der die Angst nicht zeigt. Die permanente Anspannung und Unsicherheit spitzt sich zu. Mir war wichtig, die Spannung wachsen zu lassen, einen brodelnden Deckel zu spielen, der manchmal aufgeht - etwa wenn sie den Bescheid erhält, nicht bei den Spielen starten zu dürfen. Da zertrümmert sie ihr Zimmer.
Ist Ihnen Gretel Bergmann persönlich näher als Ihre letzte Rolle der vom Suizid ihres Bruders traumatisierten Lilly?
Bei Lilly musste ich sehr kämpfen. Sie hat mich überwältigt, lange bevor wir gedreht haben. Ich musste mir immer wieder sagen: Das ist nicht meine Angst, das sind nicht meine Depressionen. Bei Bergmann war es eher eine empirische Arbeit. Aber ob es was mit mir zu tun hat? Ich denke, dass ich beide Seiten, die kämpferische und die introvertierte, auch an mir habe. Ich weiß aber nicht, ob ich dem Druck hätte Stand halten können.
Die Nazis haben damals einen Mann bei den Frauen ins Rennen geschickt, Marie Ketteler, um ihre Qualifikation zu verhindern. Im Film freunden sich die beiden an. Ist das eine Interpretation?
In Wirklichkeit haben sie davon erst später erfahren als im Film. Aber sie waren auf jeden Fall Kumpane, die miteinander trainierten und das Zimmer teilten.
Einmal sagt sie, dass sie es wohl als Kompliment nehmen müsse, dass sie gegen einen Kerl kämpfe.
Da ist was dran. Im Prinzip ist es ein Kompliment, eine unglaubliche Motivation, dass die Nazis eine solche Angst vor ihr haben. Diese arischen Frauen mit den blauen Augen und den blonden Haaren stellen etwas dar, was sie niemals sein kann. Daraus resultiert eine unglaubliche Bitterkeit, aber dagegen kämpft sie auch an. Im Grunde ist es der Sieg über dieses Bild der Frau: Sie müssen einen Mann einsetzen, um ihr überlegen zu sein.
Heute sehen sich viele Frauen auf einer zum Glück nicht mehr rassenideologischem Druck ausgesetzt. Dafür Schönheits- und Leistungsidealen. Sie selbst werden als „erfolgreiche, sexy Glamourfrau“ des deutschen Films gehandelt, mit der man auch Modestrecken macht. Nehmen Sie das auch als Kompliment?
Das kommt darauf an. Wenn es in der schauspielerischen Leistung begründet liegt, dann nehme ich es als Kompliment, aber immer mit innerlicher Distanziertheit. Es ist toll, wenn meine Arbeit eine Wirkung hat, wenn ich Leute begeistern kann, das wünsche ich mir ja. Grundsätzlich bin ich immer skeptisch gegenüber allen Superlativen. Wir leben eine Gesellschaft von Superlativen, ich dagegen bin jemand, der sich erst freut, wenn er den Vertrag unterschrieben hat. Devise: Mal abwarten. Das Bild von mir, das in der Öffentlichkeit geschaffen wird, hat zum Glück nichts damit zu tun, wie ich mich zu Hause als Privatperson verhalte.
Wie wichtig ist Ihnen die Kontrolle über Ihr Bild in der Öffentlichkeit?
Meinen Einfluss auf die Medien halte ich für eher gering, die haben bisher immer die Geschichte gemacht, die sie machen wollten. Bei manchen Sachen, wie dem Fototermin heute zu diesem Interview, ist es schlicht so, dass ich mich in der Situation nicht wohlfühle. Entweder ich gebe Interviews oder ich habe ein Fotoshooting. Dazwischen zu wechseln fällt mir schwer. Mit Kontrolle hat das aber nichts zu tun. Wenn man ist wie man ist, dann sehen das die Leute hoffentlich auch so.
Im Internet wirken Sie selbst an Ihrem öffentlichen Bild mit: Sie haben einen Blog ...
… ach, den habe ich gestern verabschiedet.
Tatsächlich? Bis vor kurzem konnte man darin noch lesen.
Die Seite gibt es noch, aber ich schreibe keine Einträge mehr. Momentan arbeite ich so viel, dass ich kaum Zeit dafür habe. Zum anderen bin ich auch nicht der Typ für einen Blog oder für Twittern. Wenn man das betreibt, dann muss es spannend, lustig und schön sein, aber ich erzähle nicht gerne von mir.
Der Blog war klassisch als Tagebuch konzipiert, aus dem Leben der Schauspielerin...
Ja, Roter Teppich, Flugangst, Party nach der Preisverleihung, Filmpremieren-Event – war alles erzählt.
Man könnte den Blog mit anderen Inhalten füllen, Ihrer Meinung zu gesellschaftlichen Debatten zum Beispiel - Sie studieren ja auch Politik?
… aber das studiere ich deshalb, weil ich mich noch nicht dazu befähigt fühle, öffentliche Meinungen zu einem Thema zu haben. Die sind heute sehr komplex. Am Ende des Studiums, nach sechs Jahren, bin ich dann vielleicht so kompetent. Auf polemische Aussagen meinerseits habe ich jedenfalls keine Lust.
In welchem Semester sind Sie?
Im zweiten. Das nächste setze ich komplett aus. Mal gucken, wann ich dann fertig bin.
Haben Sie sich an den jüngsten Bildunsgstreiks beteiligt?
An der Berliner Demo konnte ich wegen der Pressearbeit für diesen Film nicht teilnehmen. Grundsätzlich halte ich diese Art Streiks auch für schwierig, sie in ihrer Wirkung einzuschätzen. Widerstand ist wichtig, die Frage ist, wie er effektiv sein kann. Es gibt z.B. eine in diesem Zusammenhang interessante Theorie von Hobbes, derzufolge ein gemeinschaftlicher Souverän einen Gesellschaftsvertrag schafft. Wer nicht mit dieser Meinung übereinstimmt, fällt in den Urzustand zurück, was Krieg bedeutet. Wer sich den allgemeinen Regeln nicht unterwirft, der befindet sich im Kriegszustand und darf bekämpft werden – und umgebracht werden. Genau auf Grundlage dieses Mechanismus, den Hobbes im 16. Jahrhundert beschreibt, ist es z.B.interessant, den Konflikt zwischen RAF und Staat mal zu betrachten.
Davon sind streikende Studierende aber doch weit entfernt?
Ich bin wirklich keine Fachfrau auf diesem Gebiet. So wie es mir kürzlich erklärt wurde haben Streikende immer das Problem, dass sie nicht mit den sogenannten extremen Linken in den Topf geworfen werden wollen. Diese Kategorien hat der Staat geschaffen, extrem links, extrem rechts, um zu signalisieren, dass jemand aus dem Gesellschaftsvertrag ausgestiegen ist und als Gegner betrachtet werden kann. Die Frage ist nun: Was wäre der Weg, um wirklich ein Verhandlungspartner zu sein, mit einer Regierung oder einer Gesellschaft, um Reformen in dem Sinne erzwingen zu können. Wann hat man Handlungsmacht auf seiner Seite?
Sie haben mal gesagt, Sie studieren, um ein politischer Mensch zu werden. Was ist ein politischer Mensch in Ihren Augen?
Ich glaube, dass es heutzutage zu viele Menschen im Land gibt, die sich über die Lebensbedingungen beklagen, aber eigentlich nichts wissen wollen über die eigene Macht oder Verantwortung, die sie haben. Wir leben in einer Demokratie und da ist das Volk der Souverän. Das heißt: Ich als Volk bestimme theoretisch gesehen mit über dieses Land innerhalb einer Gemeinschaft. Das ist eine Verantwortung. Wenn ich sie nicht übernehmen will, dann übergebe ich meine Stimme und Macht an die Mehrheit – aber auch das Recht, sich ständig zu beklagen. Mal dahingestellt, ob unsere Demokratie eine stimmige ist, im Prinzip garantiert sie die Möglichkeit, die eigenen Lebensbedingungen mitzugestalten.
Karoline Herfurth, geb. am 22. Mai 1984 in Berlin, wurde von einem Talentscout während einer Probe ihrer Tanztheatergruppe entdeckt. Ihre erste Kinorolle spielte sie im Film Crazy
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ParfumDer VorleserBerlin 36 läuft seit heute in den Kinos.
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