Porträt Yuja Wang hat geschafft, was die Tochter der berüchtigten Tiger Mom schaffen sollte: Die 25-Jährige ist Konzertpianistin. Und dabei fröhlich - wenn auch manchmal einsam
Sie hat Glück mit ihrem Kurzbesuch in Berlin: Die Sonne strahlt über dem Gebäude von Universal Music. Ein erster Frühlingstag. Yuja Wang trägt ganz passend dazu knallgelbe enge Jeans – sie hat schließlich Urlaub und die sonst so viel diskutierten Kleider, die die Konzertpianistin auf ihren Konzerten trägt, sind zu Hause in New York im Schrank geblieben. Trotzdem legt Wang einen der Promotion-Tage ein, wie sie auch in der klassischen Musik-Branche üblich sind. 11 Uhr, sie kommt gerade vom Frühstück, grüßt mit einem Lächeln und erstaunlich zartem Händedruck. Sie wirkt zierlich. Ganz anders als die Pianistin hinter ihrem Flügel, deren Hände die eine oder andere Urgewalt auslösen können.
Der Freitag:
Der Freitag: Auf Twitter haben Sie Yuja Wang: Ja, die ist witzig, aber nicht von mir. Eine Freundin hat sie gemacht. Ich mag sie sehr.Auf dem ersten Bild sieht man Sie beim Schlussapplaus nach einem Konzert. Dazu steht: „Was die Gesellschaft denkt, dass ich tue.“ Also Applaus genießen?Das ist sicher einer der magischen Momente eines Konzerts, wenn alles vorbei ist. Ein anderer geschieht während des Konzerts, wenn die Musik Spannung auf-baut und das Publikum ähnlich mit der Musik fühlt wie ich. Das genieße ich auch sehr.Wie kam es, dass Sie Konzertpianistin werden wollten, für gewöhnlich finden junge Mädchen doch eher eine Zukunft als Popstar aufregend?Ich wollte auch nicht wirklich Konzertpianistin werden. Klavier war erstmal ein Hobby. Meine Mutter ist Tänzerin und wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte ich auch Tänzerin werden sollen. Aber ich war faul und spielte lieber Klavier. Popmusik höre ich sehr gerne zwischendurch, Rihanna oder Lady Gaga. Aber diese Musik entspricht mir nicht so wie die klassische. Die ist vielschichtiger, manchmal humorvoll, manchmal auch anzüglich, sie erzählt mehr über mein Leben. Über die Balance zwischen Verstand und Spiritualität. Obwohl es auch immer ein kleiner Krieg mit sich selbst ist, sie zu spielen, die Repertoires zu lernen.Yuja Wang lacht plötzlich laut los. Sehr ansteckend. Und deutet auf ein anderes Bild der Montage: Es zeigt eine Mädchen-Figur, die mit zwei Koffern Treppen herabmarschiert – und einem sehr schlecht gelaunten Gesichtsausdruck. Der Text dazu: „Was ich wirklich mache."Hier, ein geradezu perfektes Bild für ein ausbalanciertes Leben, nicht wahr? Naja, ich sage immer, das bin ich „on the road“.Sieht nicht so aus, als mache Ihnen das Leben auf Tournee Spaß.Die Konzerte mag ich sehr. Aber ich hasse das Reisen. Seit ich mit Tourneen begonnen habe, bin ich jeden Tag unterwegs. Mit meinem großen Koffer. Als ich dieses Foto in einem Restaurant sah, sagte ich sofort: „Das bin ich auf Reisen!“ Schlecht gelaunt, mit einem schweren Koffer, wie diese Figur, die so aussieht, als sei sie gerade bestraft worden und wolle nun weglaufen. Eigentlich traurig.Von Ihrem neuen Album kann man das nicht sagen, Sie haben die Musik des Disney-Films Fantasia für Klavier arrangiert – weil Sie als Kind mit diesem Film Ihre Liebe zu klassischer Musik entdeckt haben, wie Sie einmal erzählt haben?Ja, das stimmt. Bevor ich allerdings Fantasia sah, habe ich meine Mutter immer zu den Übungsstunden der Tänzer begleitet, und dieses Bild der Choreografie, der Storyline hat sich bei mir früh zu abstrakten Hörerlebnissen eingeprägt.Ist Disney in China beliebt?Ja, sehr. Wie alle Zeichentrickfilme, auch Tom und Jerry. Aber Chinesen lieben auch europäische klassische Musik.Die Kulturrevolution hat keine Spuren hinterlassen?Naja, ich bin ja erst 25. Aber seit ich geboren bin, merkt man davon immer weniger. Mein erster Kinofilm war Titanic. Und mein Vater hörte immer Michael Jackson. Ich glaube, nach dem Ende der Kulturrevolution entdeckte man die westliche Populärkultur schnell wieder.Und der Westen entdeckt seit Längerem die chinesische Kultur und schwärmt von Konfuzius.Ja, das ist wirklich lustig. In Amerika sagen alle immerzu, wie weise dieser Konfuzius doch sei – für uns ist das total selbstverständlich. Ich meine, ich war neun, als ich das zum ersten Mal gelesen habe. Und die sind so beeindruckt! Aber klar, das Gras ist ja immer grüner auf der anderen Seite.Wie oft sind Sie noch in China?Ich spiele dort öfter Konzerte. Und für zwei Wochen im Jahr besuche ich meine Eltern, die noch in Peking leben. Ich ging von dort mit 14 weg, nach Calgary.War es nicht schwer?Ich denke, für meine Eltern war es schwieriger. Ich fand es total aufregend und schön.Wirklich?Ja, es war großartig! Probleme machte mir nur, dass ich kein Englisch konnte. Und ich habe das Essen gehasst. Niemand hat meine Wäsche gemacht. So Kleinigkeiten waren doof. Aber all das Neue war sehr motivierend für mich. Ich war so neugierig! In China war Schule sehr repressiv. Als mir niemand mehr gesagt hat, dass ich es muss, wollte ich alles lernen.Wieso haben Ihre Eltern Sie denn gehen lassen?Es gab einen großen Sponsor, der Klassik liebt und junge Talente unterstützt. Er hat die Philosophie, dass Künstler eigenständig sein sollten, und das möglichst früh, in jungem Alter. Wenn ich das erzähle, sind die Leute immer irritiert, weil chinesische Eltern sich normalerweise überhaupt nicht so verhalten.Sondern so wie Tiger Mom Amy Chua, eine US-Chinesin, die in einem Bestseller beschrieben hat, wie sie ihre Töchter gedrillt hat?Genau. Die meisten Eltern sind sehr repressiv. Meine waren aber schon immer entspannt, was das angeht. Meine Mutter ist selbst mit zwölf Jahren von zu Hause weggegangen, sie wusste also genau, wie das ist. Allerdings hatten sie nicht damit gerechnet, dass ich in den USA bleibe.Wie haben Sie Klavierspielen gelernt? Was Tiger Mom da von ihrer Tochter geschrieben hat, nächtelang ohne Pause am Piano, das klingt sehr brutal.Meine Mutter hat mich nie zu etwas gezwungen, das war alles sehr unbeschwert, ich mochte es. Ich glaube, diese Form von Mutter-Tochter-Beziehung, die Tiger Mom in ihrem Buch beschreibt, ist auch nicht exklusiv chinesisch. Man findet das in allen Kulturkreisen.Amy Chua betont das.Nun ja, wenn überhaupt, ist das Verhalten typisch für chinesische Eltern, nicht nur Mütter. Diese Generation hat die Kulturrevolution erlebt, sie kam nicht mal in Kontakt mit westlicher Musik. Alles, was sie gemacht hat, war, Mao zu preisen. Innerlich hatten aber alle eine Neugier, ein Bestreben, anderes kennenzulernen. Deshalb haben sie all diese Hoffnung auf ihre Kinder übertragen. Und da kommt hinzu, dass in dieser Generation alle Familien nur ein Kind haben, sprich: die eine große Hoffnung. Ich glaube, unsere Generation wird da ganz anders sein, wir sind unabhängiger.Haben Sie Geschwister?Nein, auch nicht.Hätten Sie gerne welche?Ein Bruder wäre toll!Besuchen Ihre Eltern Sie auch in den USA?Ja, sie waren letztes Jahr in New York. Und ja, sie mögen das. Auch meine Musik. Allerdings eher die populären Stücke, besonders mein Vater, vielleicht weil er Schlagzeuger ist. Ich mag zeitgenössische Musik aber auch sehr.Sie spielen viel Rachmaninow.Er ist sehr populär, beim Publikum und bei den Veranstaltern. Aber auch mein Vater liebt seine Musik, Tschaikowsky, Rachmaninow, all diese schöne romantische russische Musik. Immer wenn ich es spiele, werden sie sehr emotional. Wahrscheinlich ist es immer noch diese kommunistische Prägung.Die ist noch stark?Ach ja, meine Eltern sind so brainwashed. Sie sind sehr loyal der Partei gegenüber, aber hey, sie sind so aufgewachsen. Es ist so, als gäbe es eben keinen anderen Weg.Könnten Sie sich vorstellen, nach China zurückzugehen?Ich könnte es, ja. Aber die Beziehung zu meinem Heimatland ist schwierig geworden. Es verändert sich so rasant, ist viel kommerzieller geworden. Jedes Mal, wenn ich zu Besuch bin, habe ich das Gefühl, ein anderes Land zu sehen. Für mich hat das etwas Trauriges, weil es das Zuhause, wie ich es in meiner Erinnerung habe, nicht mehr gibt. Jetzt ist New York mein Zuhause, auch weil es sich nicht so schnell und ständig verändert. Dort stehen mein Klavier und mein Kleiderschrank und mein Bett. Wenn ich dort bin, will ich mich meistens einfach ausruhen.Würden Sie sagen, dass einige kommunistische Ideen Sie beeinflusst haben?Nicht sehr stark. Wenn überhaupt, dann habe ich die Disziplin, das harte Arbeiten antizipiert. Aber ich glaube, heutzutage braucht man weniger die hart arbeitenden Leute als kreative Arbeiter. Das kam in meiner Kindheit zu kurz. Für die Schule standen wir um sieben Uhr auf, dann machten wir alle diese Gymnastikübungen, und der Unterricht startete dann um acht Uhr. Sehr diszipliniert. Aber ich habe auch immer das Gefühl, dass mein Blick auf China ein sehr naiver ist. Es ist so ein großes Land, sehr komplex, sich sehr verändernd. Ein Reich für sich selbst.Wieso glauben Sie, dass Ihr Blick naiv ist?Ganz einfach: Wenn ich eines nicht bin, dann in Kontakt mit der Welt. Ich lese Nachrichten, aber an der politischen Welt bin ich nicht sonderlich interessiert, es schluckt viel Zeit, wenn man in der musikalischen Welt erfolgreich ist. Sie ist eine sehr eigene große Welt.Ist das nicht einsam?Manchmal. Am Anfang liebte ich es, dass ich für mich sein konnte. Später dann, vor allem, nachdem meine Freunde und ich unsere Abschlüsse gemacht hatten und ich nach New York gezogen bin, wo ich niemanden kannte, war ich sehr einsam. Ich bin ja immer noch jung und auf der Suche nach Lebensratschlägen, da ist es hart, wenn man niemanden fragen kann. Das sind große Momente von Einsamkeit. Aber klar, man muss sich dann selber helfen. Zuvor hatte ich immerhin Lehrer und Freunde.Und jetzt?Jetzt bin ich plötzlich überall auf der Welt unterwegs und spiele Konzerte, mit 25. Manchmal wünschte ich, ich wäre immer noch 18. Aber jeder muss für sich selbst herausfinden, wohin er gehen will. Die Konzentration auf die musikalische, künstlerische, philosophische Welt hilft mir dabei.Bliebe noch ein großes Thema Ihrer Karriere: die Kleider. Ein Bild der Fotomontage auf Twitter zeigt, wie Ihre Kritiker Sie sehen: unpassend gekleidet. Stört es Sie, dass alle Ihr „sexy“ Outfit thematisieren?Es nervt total. Ich liebe es, diese Kleider zu tragen, nicht nur bei Konzerten. Vielleicht bin ich naiv, aber ich dachte immer, die Leute kämen, um meine Musik zu hören. Ich habe die Bedeutung des Visuellen unterschätzt. Dabei hey, es ist nur ein Kleid, kein Big Deal!
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