Aggro

Linksbündig Wer disst Wolfgang Schäuble?

Angenommen, Prince Charles würde in der britischen Thronfolge übergangen und seine Mutter Elisabeth gäbe das Zepter an William weiter. Dann wäre William gut beraten, seinen Vater in die Verbannung zu entsenden, fernab von Mikrophonen und Macht, vielleicht auf die Insel St. Helena, dort hat man Erfahrung mit Herrschern, die nicht das wurden, was sie gern geworden wären. Würde William diesen Rat nicht beherzigen, sondern etwa seinen Vater zum obersten Landschaftsgärtner des Vereinigten Königreichs ernennen - nicht auszudenken! Charles würde seinen dicken grünen Daumen fahren lassen über das Land, die M25, so etwas wie der Berliner Ring, nur für London, würde in einen Trampelpfad rückgebaut, der Tower moosüberzogen und dort, wo heute Manchester ist, entstünde ein grandioses Feuchtbiotop.

Übertrieben? Nein, nein! So radikalisieren sich verschmähte Kronprinzen, zumindest wenn Wolfgang Schäuble, Nachfolger von Helmut Kohl als Bundeskanzler a.D., ein Maßstab sein darf. Der lässt in der Innenpolitik nun seinen Daumen fahren, der leider nicht grün, sondern einfach nur dick ist: Er macht Politik mit der Angst, macht den deutschen Bush oder vielleicht auch den Bushido - ein Gangsta-Rapper der Terrorabwehr, dessen Tabubrüche nicht mehr als Denkanstöße durchgehen können. Immer weiter dreht er das Rad, will Flugzeuge abschießen, Terroristen töten, die komplette Kommunikation überwachen. Ein Aggro aus Berlin. Es rächt sich - oder: er rächt sich? -, dass Angela Merkel nicht gründlicher in der CDU aufgeräumt hatte, als sie ihn vom Parteivorsitz verdrängte und ins Kanzleramt einzog. Aber was passierte nach Schäubles jüngsten Ausfällen?

Wenn Charles, der bekannteste Kronprinz der Welt, etwas Eigenartiges macht, zum Beispiel seiner Camilla offenbart, dass er gern ihr Tampon wäre, dann entrüstet sich die Yellow Press und Bild-Kolumnist Franz J. Wagner wringt sich einen Brief ab ("Lieber Charles Mountbatten-Windsor!"). Wenn Wolfgang Schäuble etwas Eigenartiges macht, zum Beispiel vorschlägt, den Rechtsstaat auszuhöhlen, dann ... ja, dann entrüsten sich auch Leute. Wolfgang Neskovic etwa, der Vorzeigejurist der Linken, und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die letzte Bürgerrechtsliberale der FDP, üben Kritik, aber das sind Politiker, die Schäuble vermutlich ohnehin am liebsten in Vorbeugehaft nehmen ließe. Die SPD lässt sich gehörig Zeit, denn mit Schäuble koaliert man ja. Lieber steigbügelt man "Stasi 2.0", wie Schäubles Überwachungsphantasien im Internet genannt werden, als der Stasi a.D.

Zum Glück gibt es in Deutschland einen Gralshüter der politischen Kultur, das ist Horst Köhler, der Bundespräsident. Der darf keinen Nebenjob haben, weshalb er Zeit hat, auch all das zu erledigen, was eigentlich die Parlamentarier tun sollten. Zum Beispiel: Schäuble dissen, wie die Rapper sagen, wenn sie jemandem den Respekt absprechen. Ein unbequemer Präsident. Heidewitzka! Der Köhler, der traut sich was ... Er hielt Schäuble das "Stakkato" seiner Vorschläge vor mit dem volkstümelnden Vorwurf: "Wie sollen das die Leute verkraften?" Richtig, richtig ... erst der Schock, dass das ZDF die Lustigen Musikanten absetzen will, und jetzt auch noch jeden Tag etwas Neues vom Schäuble. Wer kommt da noch mit? Gut, so wird Köhler gedacht haben, dass wenigstens die Tour de France in diesem Jahr etwas auf Sparflamme fährt. Ach, Horst, wie hätte ein Richard von Weizsäcker das brillant auf den Punkt gebracht! Aber immerhin: Der Bundespräsident hatte das Fass geöffnet, und danach trank sich auch die SPD genug Mut an, um diesen Ritter Wolfgang von der traurigen Gestalt in Frage zu stellen. Doch die Diskussion ist längst weiter, jetzt geht es um Köhler und um Fehlinterpretationen und um die verharmlosende Frage, ob Schäuble nicht einfach ein geschickter Provokateur ist. So ein Bushido eben. Das Gemeine ist, dass "die Leute" nicht immer erkennen, dass es doch nur darum geht zu posen oder sich taktisch zu positionieren. Die nehmen das für bare Münze, was die Gangsta sagen! Und so gibt es Bushido-Fans, die Frauen nur noch "Nutten" nennen, und es gibt die Schäuble-Fans, die Bosbachs etwa, die Menschen nur noch Sicherheitsrisiken nennen. Und plötzlich wird eine "Nutte" vergewaltigt und plötzlich passiert ein Gesetz den Bundestag, in dem der Abschuss von Passagierflugzeugen erlaubt wird. Das sind die Momente, in denen man sich wünscht, dass verschmähte Kronprinzen auf St. Helena sind. Oder wenigstens nur gerne gärtnern.


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