"Sie glauben gar nicht, wie viele Alten- und Pflegeheime ich in den letzten Monaten von innen gesehen habe", staunte Wilhelm von Boddien über sich selbst, als er im Sommer auf einer Pressekonferenz vor Journalisten sein groß angelegtes Spendenprogramm vorstellte. Der hanseatische Kaufmann von Boddien ist leidenschaftlicher Vorsitzender des Fördervereins Berliner Schloss e.V., der sich verpflichtet hat, insgesamt 80 Millionen Euro Spenden zusammenzutrommeln. Und zwar ab sofort, möglichst flink und so lange, bis die Summe erreicht ist. Mit dem Geld soll dann der Bau der Barockfassaden bezahlt werden, die irgendwann einmal - frühestens im Jahre 2010 - jenes Gebäude umhüllen sollen, das in der Kubatur des ehemaligen Hohenzollernschlosses in Berlins Mitte erri
rrichtet wird. Ein schöner Batzen Geld allein für die historische Umverpackung. Also leistet von Boddien Überzeugungsarbeit. Unter anderem bei kinderlosen Witwen und Witwern, um deren Erbschaft zu "retten".Im Falle Stadtschloss stehen die Initiativen des Fördervereins, private Gelder zu akquirieren, professionellem Kulturmarketing in nichts nach. Mitglieder verschicken "in bestimmten Abständen im Schneeballsystem" Briefe mit Spendenaufruf an Freunde und Bekannte, die wiederum andere Freunde und Bekannte als weitere Spender empfehlen sollen. Im Internet können Fans und Liebhaber virtuelle Bausteine der Fassade erwerben. Und für besonders großzügige Geber prägt die Staatliche Münze Berlin extra edle Schloss-Jahresmünzen in Feinsilber als Dankeschön.Angesichts einer solchen Kampagne, die sich für das Projekt Berliner Schlossplatz stark macht und sich damit auf kulturelle Identität in nationaler und internationaler Dimension für die Bundesrepublik bezieht, muss die Frage erlaubt sein, wofür in Deutschland mit welchen Beträgen gespendet wird. Es lohnt dabei ein vergleichender Blick auf das Denkmal für die ermordeten Juden Europas, das ebenfalls in Berlins Mitte als Erinnerungsort kultureller Identität errichtet wird. Beide Vorhaben - Schloss und Denkmal - entstanden aus bürgerschaftlichen Engagements, die schließlich nach mehr als einer Dekade kontroverser Debatten in beiden Fällen über Bundestagsentscheide in die Verantwortung der Regierung übergegangen sind. Die Initiatorin des Denkmalprojekts Lea Rosh beziehungsweise der Förderkreis Denkmal hat in insgesamt zehn Jahren knapp 600.000 Euro gesammelt. Das ist verglichen mit der angestrebten Summe für die Schlüterfassaden am Schloss ein relativ geringer Betrag, der sich - mal erbsenzählerisch umgerechnet - noch bescheidender darstellt, wenn man die Gelder auf die Gesamtkosten der Projekte bezieht. Demnach haben die Fassadenspenden einen Anteil von 13,8 Prozent an den veranschlagten 580 Millionen Euro für den Kernbau des Schlosses. Die Denkmalspenden hingegen haben an den vom Bund zur Verfügung gestellten 27 Millionen Euro zur Grundfinanzierung des Mahnmals einen Anteil von lediglich 2,2 Prozent. Wieviel von der veranschlagten Summe für die Stadtschlossfassade tatsächlich schon gespendet ist, bleibt vorerst Boddins Geheimnis. "So lange nicht mehr als 10 Millionen zusammen sind, nenn ich keine Summe," sagt er, verrät aber, dass "die erste Million doch schon zusammen" sei. Seiner Meinung nach wird der "Löwenanteil" der Spenden sowieso erst unmittelbar nach Baubeginn kommen.Mit Rechenspielchen wie diesen sollte man nun keine vorschnellen Schlüsse ziehen, die den Deutschen per se mangelnde Spendenbereitschaft für die Opfer des Holocausts unterstellen. Auch wäre neidendes einander Aufrechnen komplett fehl am Platz, da man beiden parlamentarisch beschlossenen Vorhaben die beste finanzielle Zuwendung aus verschiedensten Töpfen gönnen sollte. Festzuhalten ist statt dessen, dass die Wege zum guten Zweck äußerst unterschiedlich aussehen. Von Boddien orientiert sich unter anderem mit dem geplanten Verkauf von Schlossuhren und weiteren Artikeln à la Museumsshop am Erfolg der Akteure für den Wiederaufbau der Dresdener Frauenkirche, wo in den vergangenen Jahren - unmittelbar nach der Wiedervereinigung - über 100 Millionen Euro eingeworben wurden. Beim Förderkreis Denkmal hingegen wäre solches Merchandising unvorstellbar. Es widerspräche der Pietät gegenüber den Opfern und den Angehörigen und damit der eigenen Sache. Der Streit über das Alpenmotiv-Plakat mit der Aufschrift "Den Holocaust hat es nie gegeben" vor zwei Jahren hatte gezeigt, dass ein Spendenaufruf für das Mahnmal anscheinend nicht die ansonsten stets selbstverständlichen und gängigen Register der Werbebranche ziehen kann. Beim Stadtschloss wiederum wird man vermutlich umso kräftiger auf die Werbepauke hauen können. Dieser Zusammenhang erklärt sowohl den derzeitigen Spendenstand bei Lea Rosh als auch den Optimismus des Schlossherrn. Da tun sich strukturelle Abhängigkeiten zwischen bürgerschaftlicher Zustimmung und ihrer (ach ja) kommerziellen Verwertung auf. Diese Abhängigkeiten bestehen trotz Zuwendungen von öffentlicher Hand.Durch den Bund ist die Grundfinanzierung des Holocaust-Mahnmals gesichert. Diese Tatsache verleitet häufig zu der Annahme, alles Geld sei zusammen. Für die inhaltliche Arbeit jedoch - die Dokumentation der Lebensläufe der Ermordeten - muss der Förderkreis nach wie vor Spenden sammeln. Und genau das ist in wirtschaftlichen Zeiten wie diesen nicht mehr so einfach.Beim Schloss wird der Bund auf absehbare Zeit kein Geld bereit stellen können, da beim maroden Haushalt erst einmal die Museumsinsel Vorrang hat. Wie Antje Vollmer, kulturpolitische Sprecherin von Bündnis90/Die Grünen, die Lage sieht, ist aber der Bundestagsbeschluss unumstößlich. Das Schloss wird kommen und irgendwann wird der Bund seinen Anteil zahlen müssen, wobei das Finanzierungskonzept schon heute mit der Spendenselbstverpflichtung des Fördervereins kalkuliert. Während im Staatshaushalt dann die Summen vermutlich kompliziert hin- und hergeschoben werden, gelten bis dahin bei der Spendenaktion relativ einfache Milchmädchen- und Milchbubi-Rechnungen: Jeder Einwohner Deutschlands gibt einen Euro oder jeder zweite gibt zwei oder jeder vierhundertste gibt vierhundert. Spende gut, alles gut?