der Freitag: Frau Höf, wie heißt Ihr Beruf eigentlich korrekt? Cutterin, Editorin, Schnittmeisterin?
Ursula Höf: Ich bevorzuge Filmeditorin. In der DDR wurde der Begriff Schnittmeisterin verwendet. Das war im Westen eine Zeit lang auch üblich, dann hießen wir Cutter. Das klingt aber eher nach Teppichmesser. Im Vor- und Abspann habe ich es am liebsten, wenn da Montage steht. Bei dem Begriff Schnitt entsteht die Vorstellung, dass jemand etwas wegschneidet, aber meine Arbeit besteht ja eher darin, etwas zusammenzusetzen.
Zur Person
Ursula Höf ist seit 1970 als Filmeditorin tätig, kennt also noch die Zeit der großen Tische für das analoge Material. Arbeit mit Filmemachern wie Helke Sander, Rolf Schübel, Markus Imboden, Matti Geschonneck an Filmen wie Redupers (1977) oder Gloomy Sunday (1999)
Sie sind gerade auf dem Kölner Filmplus-Festival für Schnitt und Montagekunst mit dem „Geißendörfer Ehrenpreis“ ausgezeichnet worden. Kann man die Montage eines Films bewerten, wenn man nicht das ganze Material kennt?
Das ist schwer. Man kann den Rhythmus beurteilen, die Dramaturgie; beim Dokumentarfilm deutlicher als beim Spielfilm, weil die Dramaturgie da stärker unsere Arbeit ist. Die Feinheiten beim Spielfilm liegen woanders – wo wir den Akzent setzen in einem Dialog, wie wir auswählen, wer redet, wer zuhört, ob man sieht, wer spricht, wer reagiert. Ich hatte mal eine Szene, da sollte ein Paar miteinander reden, aber man das Gefühl haben, dass es eigentlich keine Kommunikation zwischen beiden gibt. Ich musste also Blicke finden, in denen einer wegguckt, wenn der andere redet. Das erzählt etwas anderes, als wenn ich die Szene klassisch geschnitten hätte.
Würden Sie sagen, Sie haben eine Handschrift, oder stellen Sie sich in den Dienst des Materials?
Beides. Die Vorgabe kommt aus dem Material, aber ich glaube schon, dass ich eine Art von Handschrift habe. Die nehme ich wahrscheinlich nur selber wahr, die ist schwer zu erklären. Es geht letztlich nicht um Originalität, sondern darum, was erzählt werden soll.
Sind Schnitte denn immer inhaltlich motiviert oder werden sie auch aus rhythmischen Erwägungen gemacht?
Beim Fernsehen auch aus taktischen Erwägungen. Da schneidet man gegen die Fernbedienung. Es gibt bestimmte Vorgaben: dass bei einem Krimi innerhalb der ersten drei Minuten der Mord passiert – sonst bleiben die Leute angeblich nicht dran. Im Kino kann ich eine langsame Exposition machen, eine Szene nur auf dem Gesicht einer Protagonistin erzählen. Im Fernsehen sagen sie dann, jetzt muss mal ein Rhythmuswechsel kommen.
Es ist fast ein Klischee zu sagen, der Schnitt würde immer schneller. Stimmt das überhaupt?
Nur bedingt. Es gibt immer Gegenbewegungen. Das finde ich so spannend: Montage ist der Umgang mit der Zeit. Filmzeit und Realzeit sind manchmal identisch, meist ist die Filmzeit schneller. Damit arbeiten wir. Wenn ich mir Filme angucke, die ich 1979/80 gemacht habe, dann sind die oft viel langsamer erzählt. Das hat mit den Sehgewohnheiten zu tun. Wenn jemand den Raum verlässt, muss ich heute nicht mehr zeigen, wie er unten aus der Haustür kommt und irgendwo hingeht. Man kann viel elliptischer erzählen. Insofern wirken die Filme heute schneller.
Sie haben einmal gesagt, es gebe einen weiblichen Blick.
Immer wenn man darüber redet, verallgemeinert man in einer Form, die vielleicht nicht mehr richtig ist. Aber ich glaube, dass der weibliche Blick eher auf Menschen zielt und mehr die Handlungsweisen von Figuren im Kopf hat, während der männliche Blick stärker auf die Aktion gerichtet ist. Ich hatte mal eine wunderbare Auseinandersetzung mit Adolf Winkelmann über eine Actionszene. Mein Gefühl war, das ist Dumme-Jungen-Zeugs, das man kurz halten kann. Adolf meinte: Du musst das richtig ausführen, das muss richtig knallen. Oder: Bei Gloomy Sunday gab es eine Vergewaltigungsszene. Wir haben sie so geschnitten, dass man nur sieht, wie der Mann die Frau aufs Bett legt, und als Nächstes wird ihr verfluchender Blick gezeigt, während er sich wieder anzieht. Regisseur Rolf Schübel hatte auch Bilder von der Vergewaltigung gedreht. Ich habe aber schnell gesagt: Wenn man zeigt, wie die Frau das erleidet, dann ist das falsch. Ich möchte diese Figur nicht beschädigen. Ich möchte, dass diese Frau als Siegerin aus dieser Situation herauskommt. Da habe ich einen weiblicheren Blick auf die Figuren.
Martin Scorsese arbeitet seit Jahren mit Thelma Schoonmaker, Woody Allen mit Susan E. Morse. Da ergänzen sich beide Blicke.
Das finde ich gut. Man sollte nicht glauben, dass da der Regisseur sagt, wie es gemacht wird. Es wird wirklich gemeinsam entwickelt: Was machen wir am besten aus dem Material, was ist am wirkungsvollsten? Die Rolle der Editorinnen wird gerne unterschätzt.
Ist das Verhältnis zwischen Regie und Montage das Intimste im Prozess der Filmherstellung?
Die Zusammenarbeit zwischen Regie und Schnitt ist sehr eng. Sie geschieht ja im nichtöffentlichen Raum, da kann man auch mal Fehler machen. Da kann man Dinge verwerfen. Die Regisseure sind nicht mehr so unter Druck. Und es gibt das ungeschriebene Gesetz: Alles, was im Schneideraum besprochen wird, geht nicht nach außen. Man hat einen sicheren Raum.
Wie beim Psychologen?
Genau. (lacht)
Ist das einer der Gründe, warum Montage, in Deutschland zumindest, seit 1945 meist von Frauen gemacht wurde? Eine kleinteilige Arbeit, die Geduld verlangt, fast wie traditionelle Handarbeit.
Und die kein hohes Ansehen hatte. Mich hat das immer geärgert. Ich habe in meiner Laufbahn viele tolle Kolleginnen getroffen, die offen waren für alle möglichen künstlerischen Ausdrucksweisen. Aber wenn es einen Mann gab, der geschnitten hat, wurde der plötzlich als Star gehandelt. Inzwischen ist es noch deutlicher, mit dem Computer kamen wieder mehr Männer in den Beruf. Um noch einmal darauf zurückzukommen, wie man einen guten Schnitt beurteilen kann: Wenn man den Schnitt nicht wahrnimmt, ist er oft besonders gut. Aber er wird dann eben auch gerne übersehen. Wenn ein Film aber schnell geschnitten ist, dann wird die Montage wieder sichtbar und alle sind beeindruckt.
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