Narzisstischer Missbrauch ist subtil

Narzissmus Narzisstischer Missbrauch ist für viele unglaublich schwer zu erkennen. Dieses Beispiel zeigt, warum das so ist.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Stell dir für diesen Text vor, du befindest dich in einer Beziehung mit einer narzisstischen Partnerin.

Eines Tages verabredest du dich mit einem Freund zum Tennis. Du teilst dies deiner Partnerin mit und erntest einen verärgerten Blick. Sie hätte an diesem Tag gerne Zeit mit dir verbracht und ist jetzt verstimmt, dass du einfach ohne Absprache zum Tennis gehst. Du verstehst ihre Kritik versprichst ihr, deine Tennisverabredungen das nächste Mal mit ihr vorab abzusprechen. Der Konflikt scheint damit geklärt und du gehst zum Tennis, aber als du zurückkommst ist irgendwie dicke Luft in der Beziehung, auch wenn keiner von euch das explizit anspricht.

Einen Monat handelst du wie versprochen. Du sprichst mit deiner Freundin über die Verabredung zum Tennis für den nächsten Tag und sie hat nichts einzuwenden. Nichts ahnend bestätigst du deinem Freund also den Termin und ihr reserviert einen Platz Kurz bevor du am nächsten Tag zum Tennis aufbrichst stellst du fest, dass deine Partnerin mit schlechter Laune auf dem Sofa sitzt. Du fragst sie, was sie bedrückt und sie teilt dir mit, dass sie sich gewünscht hätte, dass du mit ihr Tennis spielst. Schließlich wäre das ja etwas, was ihr gemeinsam habt und es wäre doch toll, wenn ihr mehr Zeit zusammen verbringt.

Du versprichst deiner Partnerin, dass ihr das nächste Mal zusammen Tennis spielt und gehst zum Tennis, kannst das Spiel aber nicht so richtig genießen, weil du schon ahnst, was für eine Stimmung herrschen wird, sobald du zurückkommst. Wenn du Pech hast war das bereits das letzte Mal, dass du mit deinem Freund Tennis spielen konntest, denn ab sofort ist es immer sie, die mit dir Tennis spielen will. Auf den ersten Blick klingt das vielleicht nicht übermäßig schlimm, denn ihr verbringt ja viel Zeit miteinander, aber irgendwann möchte sie kein Tennis mehr spielen. Stattdessen plant sie eine Aktivität mit ihren Freunden, bei der du dabei sein sollst.

Es ist wichtig genau hinzuschauen, was hier passiert: Wenn du eine Aktivität für dich geplant hast, war das nicht okay für sie, aber wenn sie eine Aktivität für euch beide plant, dann ist es selbstverständlich, dass du dabei bist. Du hast ja in dem Zeitslot eh nichts anders vor weil du dich ja seit Monaten schon nicht mehr mit deinem Freund zum Tennis getroffen hast.

Nun könntest du mit der Situation natürlich auch anders umgegangen sein. Du könntest z.B. darauf bestanden haben, dass sie es das nächste Mal gleich sagen soll, wenn sie mit dir Tennis spielen will. Du könntest auch darauf bestanden haben, dass du an diesem Tag immer mit deinen Freunden Tennis spielst und das auch so bleibt. In diesen Fällen hätte deine Partnerin es aber so engagiert, dass kurz vor dem Termin irgendein Drama passiert. Also entweder streitet ihr so, dass du mit schlechter Laune zum Tennis gehst oder deutlich zu spät kommst. Das Ergebnis wird das Gleiche sein: Du wirst entweder nicht mit deinem Freund Tennis spielen oder es jedenfalls nicht genießen können. Möglicherweise wird sie sogar vorwerfen, dass dir die Beziehung egal ist, nur um dir das Gefühl zu geben, du müsstest die Beziehung retten weil du einmal im Monat mit einem Freund Tennis spielst.

In einer Beziehung mit einer Narzisstin oder einem Narzissten sind Situationen wie diese an der Tagesordnung. Das Drama, mit dem du immer wieder konfrontiert bist kommt zu den unerwartetsten Momenten und sorgt dafür, dass du dein Verhalten immer stärker daran orientierst, deinen Partner nicht zu verärgern. Dies ist die Art der Kontrolle, die Narzissten über ihre Partner ausüben, treibt einen ganz allmählich in die Isolation. Der narzisstische Partner monopolisiert deine Zeit und sein Freundeskreis wird dein Freundeskreis, während du zu deinem ursprünglichen Freundeskreis immer weniger Kontakt hast.

Das alles hört sich nicht so wirklich nach "Missbrauch" an, richtig? Das ist Teil des Problems. Es sind tausend kleine Nadelstiche, alles vermeintliche Nichtigkeiten oder Missverständnisse. Nie hat dir dein Partner "verboten", dich mit deinen Freunden zu treffen, es war immer nur "ungünstig" oder es ist eben was dazwischen gekommen (z.B. ein Konflikt, der unbedingt genau dann "geklärt" werden musste, obwohl Konflikte nie wirklich geklärt werden, sie gehen immer genau so lange bis du aufgibst).

Opfer narzisstischer Gewalt sind oft hilflos, weil die Gewalt rein psychischer Natur ist und sich nicht greifen lässt, sie ist kaum in Worte zu fassen. Dadurch sind Freunde oft geneigt, die beschriebenen Erfahrungen zu relativierenden, denn der Narzisst hat z.B. "nicht ganz unrecht" wenn ermöchte, dass ihr Termine koordiniert oder wenn er den Wunsch äußert, Zeit mit dir zu verbringen. Es sind alles selbstverständlich wirkende Forderungn an dich und ihnen zu widersprechen erscheint egoistisch, rücksichtslos, etc..

Und selbst wenn es einem als außenstehende Person gelingt, diese Muster zu erkennen, verstärkt sich die Hilflosigkeit nur, denn was kann man tun außer der anderen Person zu raten, den Narzissten so schnell wie möglich zu verlassen und sämtlichen Kontakt zu beenden? Immerhin klingt das nach einer ziemlich drastischen Maßnahme in Reaktion auf jemanden, der vermeintlich nur etwas mehr Zeit mit dem Partner verbringen möchte, richtig?

Das oben beschriebene Beispiel ist nicht ausgedacht. Es beschreibt eine (anonymisierte) reale Situation aus meinem Umfeld, die ich mitbekommen habe. Die betroffene Person leidet nach nur 3 Jahren Beziehung bereits an chronischer emotionaler Überforderung, Erschöpfung und Orientierungslosigkeit. Egal, was sie versucht, um die Beziehung zu befrieden, es wird immer nur noch schlimmer, auch wenn es immer mal wieder kurze Phasen des Friedens gibt.

Ich stehe daneben, sehe die Entwicklung und kann doch nichts tun, außer der Person mitzuteilen, dass ich ihr Leid sehe und dass ich verstehe, was passiert. Dies ist eines der wichtigsten Dinge für Betroffene narzisstischen Missbrauchs: dass ihnen geglaubt wird und dass sie hören, dass ihr Leid gesehen wird.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Tekay

Differenziert, nachdenklich und mit klarer Haltung zwischen allen Stühlen.

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden