1,5 Millionen vs. Walmart

USA Es ist die größte Sammelklage von Arbeitnehmern in der Geschichte der USA: Weibliche Angestellte verklagen die Supermarktkette wegen Diskriminierung. Nun wird sie geprüft

Vor dem Obersten Gerichtshof der USA wurden am vergangenen Dienstag die mündlichen Anhörungen in der größten Sammelklage von Arbeitnehmern in der Geschichte der USA abgehalten. 2001 hatte Betty Duke stellvertretend für mehrere Hundertausend weibliche Waltmart-Angestellte geklagt. Gegenstand der Anklage: diskriminierende Praktiken bei Bezahlung und Beförderung. Nachdem ein Bundesgericht den Fall für eine Sammelklage freigegeben hat, geht die Kaufhauskette Walmart nun in Revision. Der Fall betrifft zwischen einer halben und 1, 5 Millionen aktuelle und ehemalige weibliche Angestellte des Unternehmens. Die Klägerinnen fordern Lohnnachzahlungen sowie eine Veränderung der diskriminierenden Unternehmenspraxis.

Ob auch das oberste amerikanische Gericht die Sammelklage für rechtmäßig erachtet, wird nicht nur von den weiblichen Angestellten des Unternehmens sondern auch von der amerikanischen Wirtschaft mit großem Interesse verfolgt. Wenn ja, müsste jedes große Unternehmen Sammelklagen wegen Diskriminierungsvorwürfen fürchten, die auf verallgemeinerten Theorien von einer diskriminierenden Unternehmenskultur und subjektiven Entscheidungen vor Ort basieren.

Das Instrument der Sammelklage ermöglicht es Millionen mutmaßlich Betroffener, ihre Klagen in einem repräsentativen Fall zusammenzufassen. Es existiert in Amerika bereits seit 1938, wurde aber im Rahmen des Civil Rights Act stark verändert und gilt in seiner gegenwärtigen Form seit 1966. Wenn ein Gericht eine Sammelklage für zulässig befindet, gelangt nur der Fall einer einzelnen Klägerin, wie in diesem Fall der von Betty Duke, oder einiger weniger zur Verhandlung.

Umstrittenes Instrument

Sammelklagen waren schon immer stark umstritten. Befürworter sehen in ihnen ein Mittel zur Stärkung vieler einzelner Betroffener, deren individuelle Klagen vergleichsweise wenig Aussicht auf Erfolg hätten. Einzeln haben die meisten nicht einmal die Möglichkeit, einen Anwalt zu engagieren, da diese nur ungern Einzelpersonen mit geringen Forderungen vertreten. In diesem Fall sei eine Sammelklage dem Anwalt der Frauen zufolge angemessen, weil die Forderungen der einzelnen Frauen 1.100 Dollar nicht überstiegen.

Die verklagten Unternehmen beanstanden hingegen, sie würden auf große Zahlungen verpflichtet, ohne dass dabei individuelle Forderungen gerecht geprüft werden. Einige renommierte amerikanische Berufungsgerichte sind zu der Einschätzung geklagt, dass die Zulassung eines Verfahrens, als Sammelklage geführt zu werden, der „Erpressung einer Zahlung“ gleichkomme. Die Anwälte der Unternehmen monieren, das Mittel nehme ihnen die Möglichkeit, die individuellen Forderungen zu untersuchen, infrage zu stellen und sich gegen diese zur Wehr zu setzen.

Mit über 3.400 Filialen ist Walmart Amerikas größter privater Arbeitgeber. Frauen machen über 80 Prozent der Belegschaften aus, sind aber auf der Verwaltungsebene lediglich mit 30 Prozent vertreten. Trotz der landesweit gültigen Unternehmenspolitik, die sexuelle Diskriminierung am Arbeitsplatz verbietet, üben sich einzelne Walmart-Leiter in großer Verschwiegenheit, was ihre personalpolitischen Entscheidungen in Bezug auf Löhne und Beförderungen angeht.

Die Frauen behaupten, sie seinen einer ganzen Reihe diskriminierender Maßnahmen ausgesetzt: Man habe ihnen Weiterbildungsmaßnahmen verweigert, sie dafür bestraft, interne Beschwerde-Verfahren initiiert zu haben, ihnen Beförderungen vorenthalten, sie schikaniert und sie schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen. In der Klage heißt es, Walmart fördere oder erleichtere „geschlechtsspezifische Stereotypisierung und Diskriminierung ... aller Frauen, die in Geschäften von Walmart gearbeitet haben oder arbeiten.“

Schwächung der Rechte am Arbeitsplatz

Die kaliforischen Bundesgerichte haben die Sammelklage als rechtmäßig erachtet und damit grünes Licht für eine Fortsetzung des Verfahrens gegeben. Walmart ging vor das Oberste Gericht, um dieses Urteil noch einmal neu zu untersuchen – der Fall sollte nach Meinung des Unternehmens nicht als Sammelklage geführt werden.

Das Gericht wird also nicht darüber befinden, ob die Forderungen der Frauen rechtmäßig sind, ob Waltmart seine Mitarbeiterinnen diskriminiert oder nicht, ob die eine oder die andere Seite gewinnen sollte. Sondern es wird lediglich darüber entscheiden, ob der vorliegende Fall die Anforderungen erfüllt, als Sammelklage geführt zu werden. Damit ein Gericht dies erlauben kann, muss es zu der Überzeugung gelangen, dass es gewisse juristische oder faktische Gemeinsamkeiten bezüglich der Klagen der Frauen gibt. Darüber hinaus müssen die Klagen der drei Frauen, deren Fälle untersucht werden sollen, typisch für alle an dem Verfahren Beteiligten sein, und adäquat vertreten werden.

Walmart argumentiert die bisherige Entscheidung sei unangemessen, da Hunderttausende individueller Personalentscheidungen betroffen seien. Den Forderungen der Frauen lägen daher nicht die gleichen Tatsachen zugrunde und sie seien damit nicht vergleichbar. Das Instrument der Sammelklage spreche dem Unternehmen das Recht ab, Nachweise zu erbringen, auf welcher Grundlage die Bezahlung und Beförderung einzelner Frauen erfolgt sei. Insbesondere sprach man sich bei Walmart auch gegen den Vorschlag aus, Nachzahlungen auf Grundlage einer mathematischen Formel vorzunehmen.

Frauenrechtsgruppen fürchten dagegen, das Gericht könnte die Berufung Walmarts als Plattform für die Verschärfung des Anforderungsprofils von Sammelklagen nutzen, was die Aussichten von Frauen auf Entschädigungszahlungen verringern würde. Wenn das Gericht die Zulassung zur Sammelklage zurückziehen sollte, käme dies daher einer entscheidenden Schwächung der Rechte von Frauen am Arbeitsplatz gleich.

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Geschrieben von

Linda Mullenix | The Guardian

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