Die Raffinerie, sagen die Bewohner, hat Elend, Krankheiten und Armut über ihr Dorf gebracht. Vor nicht allzu langer Zeit hätten sie hier noch Hirse, Bohnen und Erbsen angebaut, erzählen sie, als ich in Rengopali im indischen Bundesstaat Orissa ankomme. In den Wäldern ernteten sie Blätter, Ananas, Maulbeeren, Mangos, Bananen, Chilischoten, Ingwer, Kurkuma, Bambus und Wurzeln. Auch frisches Wasser gab es genug. Doch dann wurde im benachbarten Lanjigarh die Aluminium-Raffinerie gebaut.
Das Offensichtlichste, was die Raffinerie in die Gegend gebracht hat, sind zwei Teiche von der Größe mehrerer Fußballfelder. In ihrem rot verschlammten Wasser wird Bauxiterz „gewaschen“, also mittels Chemikalien in seine Bestandteile aufgelöst. Der Prozess produziert sowohl giftige Dämpfe als auch verseuchten Staub. Die Wasservorkommen der Region drohen, kontaminiert zu werden. Lutni Majhi, eine Frau aus Rengopali, sagt: „Jetzt ist es nicht nur bei Tage heiß, sondern auch in der Nacht, denn dann läuft die Raffinerie an. Früher waren wir von Wäldern und Bäumen umgeben, es war weitaus kühler. Noch nie hatten wir mit einer solchen Hitze, mit so vielen Fliegen und Moskitos zu kämpfen.“
Eigentümerin der Raffinerie ist die Vedanta Aluminium Limited, ein Tochterunternehmen eines britischen Bergbaukonzerns. Es gibt Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften, die verlangen, dass eine Raffinerie mindestens zehn Kilometer vom nächsten Dorf entfernt gebaut werden muss; in Orissa zog Vedanta den Komplex mitten im Lebensraum der Bergbewohner hoch. Seither breiten sich dort neue Krankheiten aus, die die Lungen und Augen der Menschen angreifen. In einem Bericht, der für das indische Umwelt- und Forstministerium zusammengestellt wurde, schreiben die Inspektoren, dass in den vergangenen Jahren 13 Menschen in der Gegend an Tuberkulose gestorben sind, 200 bis 250 Rinder und Ziegen sind umgekommen. Im Laufe meines Besuchs spreche ich selbst mit einem Mann, der wegen einer Atemwegserkrankung, die der Tuberkulose sehr ähnlich ist, im Sterben liegt. Seine Frau ist verzweifelt: Sie wird alleine für sich und ihre Kinder sorgen müssen.
16,50 Euro für ein Haus
Doch Vedanta hat vom Bundesstaat Orissa uneingeschränkte Unterstützung für die Erweiterung der Raffinerie und für den Bau einer Bauxit-Mine über Tage in den Bergen von Niyamgiri zugesagt bekommen. Vom Obersten Gerichtshof in Indien bekam das Unternehmen bereits grünes Licht, nun wartet es nur noch auf die endgültige Genehmigung des Umwelt- und Forstministeriums.
Etwa 80 Millionen Inder leben in Stammesstrukturen, darunter 15.000 Kondh, deren Vorfahren seit Generationen in Orissa leben. Die Dongria („in den Bergen lebenden“) Kondh siedeln in den Wäldern der Niyamgiri-Berge, einem Ökosystem, das für Artenschützer große Bedeutung hat. Die Kondh sind von den Wäldern und Bergbächen abhängig, dort weiden sie ihr Vieh, sammeln Nahrung und Heilpflanzen und schöpfen Trinkwasser. Die Berge betrachten sie als lebendige Gottheit, von dem ihr spirituelles, kulturelles und wirtschaftliches Wohlergehen abhängt. Die indische Regierung stuft die Dongria Kondh offiziell als „bedrohte indigene Stammesgruppe“ ein, und erkennt sie an als „Volk, das besonderen Schutzes bedarf“. Einst besaßen sie etwa 160 Hektar Land, heute sind es noch 24 – und jeder Tag ist ein Kampf ums Überleben.
2002 wandte sich die Firma Vedanta an die Dörfer rund um Lanjigarh und informierte die Bewohner, dass sie eine Fabrik bauen werde. Sie versprachen Arbeit für alle und versicherten den Kondh, nur ein Dorf müsse umgesiedelt werden. 2003 zwang Vedanta die Bewohner das Dorf Kinari zu verlassen und die Bauern, ihr Land weit unter Marktwert zu verkaufen. Seither wurden hunderte Menschen umgesiedelt. Den wenigen, die einen verbrieften Rechtstitel auf ihr Land besaßen, wurden 125.000 Rupien pro halben Hektar Land versprochen, etwas mehr als 2.000 Euro. Wer keinen Titel besaß, dem bot Vedanta eine Einmalzahlung von 50.000 Rupien an, wenn er auf alle Rechte verzichtete. Wer sein Haus aufgab, erhielt 1.000 Rupien, das entspricht 16,50 Euro. Schätzungsweise besitzt Vedanta inzwischen mehr als 1.200 Hektar Land, inklusive Waldflächen.
Widerstand bis zum Tod
Laut den indischen Gesetzen haben Stämme, die in den Wäldern leben, ein Anrecht darauf, ihr Land und seine Bodenschätze zu nutzen, doch die Regierung in Orissa hat die Kondh nicht über ihre Rechte informiert und Vedanta warnte sie nicht vor den möglichen Konsequenzen des Projekts. In Bandhaguda, einem Dorf, kaum 200 Meter entfernt von der Raffinerie, erfahre ich von einer verstörenden Geschichte. Als Vedanta mit der Abholzung begann, um die Raffinerie zu bauen, protestierten 400 Männer, Frauen und Kinder vor der Großbaustelle. Die Polizei verhaftete die Männer und hielt sie sieben Tage in Haft. Nach ihrer Entlassung wurde ihnen gesagt, sie seien nun „Ausgestoßene“ und müssten zum Jagannath-Tempel nach Puri pilgern, um Erlösung zu finden. Dann verfrachteten Vedanta-Angestellte die Männer mit Hilfe der Polizei gewaltsam ins weit entfernte Puri. Unterdessen wurde die Mauer der Raffinerie errichtet. Der Friedhof, auf dem die Vorfahren der Kondh beerdigt sind, wurde zerstört, das Grundstück dem Gelände der Raffinerie einverleibt.
Am zweiten Tag meines Besuches machen wir uns auf den Weg zu einem weiteren Dorf. Tamaksila besteht aus Lehmhütten, die mit den Blättern des Mahuabaums gedeckt sind. Das einzige Geräusch an diesem ruhigen Ort sind die Schreie der Vögel, das Muhen der Kühe und das Gackern des Federviehs, das von unserem Wagen aufgescheucht wird. Unsere Gastgeber führen uns auf einen Pfad, der aus dem Dorf hinaus führt. Plötzlich stehen wir vor einer Gruppe von etwa 100 Dongria Kondh. Sie sind gekommen, um ihre Sorgen zu teilen, die sie wegen der Bedrohung haben, die von der Bauxit-Mine für ihren heiligen Berg und ihren Lebensstil ausgeht.
Mich bewegt die Schönheit dieses Ortes. Die Dorfbewohner künden von unserer Ankunft mit Trommelschlägen und einer traditionellen Willkommenszeremonie. Zwei junge Männer beginnen ein langsames, rhythmisches Lied über Niyamgiri. Eine Gruppe von Mädchen stimmt in den Gesang ein. Die Musik ist friedvoll, der Text bewegend – sie rühmen die Berge und zählen die Geschenke auf, die sie ihnen machen. Das Lied endet auf die Zeile: „Wir werden Niyamgiri nicht verlassen.“
Wie Fische außerhalb des Wassers
Eine Gruppe von Frauen umringt mich, sie legen die Arme um meine Taille und führen mich zu dem Platz, der für mich bestimmt ist. Sie überreichen mir ein duftendes Blumenbouquet und heißen uns willkommen, indem sie das traditionelle „Tika“, ein Segenszeichen, mit einer Paste aus Kurkuma und Reis auf unsere Stirn zeichnen. Die Frauen und Mädchen tragen ihre traditionellen Kleider, Perlenschmuck, Haarnadeln, Ohr- und Nasenringe und Haarketten. Die Männer hingegen tragen das männliche Pendant zum weiblichen Sari: schlichte Dothis, die um die Hüften gewickelt werden. Viele haben ihr langes Haar im Nacken zu einem Knoten geschlungen. Einige tragen Äxte auf den Schultern und in den Händen. Bei einigen jungen Männern ist der Einfluss der „Entwicklung“ daran zu erkennen, dass sie Hemden und T-Shirts tragen.
Wir sitzen in einem Kreis auf dem Boden, aber sobald ich eine Frage stelle, springen die Männer, Frauen und Kinder auf und berichten mir mit großer Eindringlichkeit von der Angst, dass Vedanta ihren Berg und ihre Lebensgrundlage zerstören wird. Einer der Vorstände sagt zu mir: „Ohne unseren Berg, unseren Gott, kann es kein Leben für uns geben; wir werden gegen die Vertreibung Widerstand leisten, und sei es bis zum Tod. So wie ein Fisch außerhalb des Wassers nicht überleben kann, so können auch die Kondh nicht ohne Niyamgiri überleben.“
Koloniale Strategien
Die Botschaft der Kondh, die ich in ihrem Namen der indischen Regierung, dem Ministerpräsidenten von Orissa, Vedanta und den Aktionären seines Mutterkonzerns überbringen soll, ist laut und deutlich: „Keine finanzielle Anerkennung, egal in welcher Höhe und kein Umsiedlungsprogramm können uns für den Verlust unserer Existenzgrundlage und unseres heiligen Landes entschädigen.“
Die Kondh hoffen, dass die indische Regierung ihre Kultur und ihre Menschenrechte respektieren und Vedanta davon abhalten wird, Niyamgiri unwiderruflich zu zerstören. Ich mache mich seit beinahe drei Jahrzehnten für Anliegen, wie das der Kondh stark, und ich kann aus Erfahrung sagen, dass der Kampf um ihre Existenzgrundlage beispielhaft illustriert, wie Stammeskulturen und indigene Völker auf der ganzen Welt ums Überleben kämpfen. Auch Vedantas Vorgehen ist kein Einzelfall. Die Ausbeutung der Stämme erfolgt heute nicht mehr durch koloniale Abenteurer, sondern durch Geschäftsmänner, die häufig Firmen vertreten, die Bergbau betreiben oder Gas und Öl fördern. Getrieben von dem Wunsch zu den reichen Industrienationen aufzuschließen, verfolgt Indien eine Politik, die sich der gleichen Strategien bedient, wie früher die alten Kolonialmächte.
Laut den Vereinten Nationen obliegt Firmen die Verantwortung, die Menschenrechte zu achten, egal, wo sie Geschäfte treiben. Selbst Pläne für einen Umweltgerichtshof gibt es bereits. In der Tat ist es erbärmlich, dass Einheimische gezwungen sind, flehentlich an das Gute in den Aktionären und Vorsitzenden von Firmen zu appellieren, damit diese ihre Menschenrechte und ihre Häuser schützen.
Kampagne für Verantwortung
Wir müssen im 21. Jahrhundert neu definieren, was „Entwicklung“ bedeutet. Anstatt bloß das Bruttoinlandsprodukt zu steigern, müssten alle Bereiche des Human Development Index berücksichtigt werden: Armut, Gesundheit, Sterblichkeit, Bildung. Nachhaltig muss Entwicklung aber auf jeden Fall sein. Projekte müssen die Bedürfnisse und Ziele der Gruppen vor Ort berücksichtigen und sollten allen Bereichen der Gesellschaft zugute kommen. So steht es auch im Bericht „Our Common Future“ der Brundtland-Kommission der Vereinten Nationen: Entwicklung müsse die Bedürfnisse der heutigen Generation erfüllen, aber so, dass künftige Generationen ihre Bedürfnisse ebenfalls befriedigen können.
Eine Kampagne von Amnesty International will Vedanta nun zur Verantwortung ziehen (tinyurl.com/326gfua). Sie hat schon einige Erfolge erzielt. Im Februar hat die Church of England ihre Vedanta-Einlagen zurückgezogen. Auch die Investmentgesellschaft Martin Currie hat ihre Aktien im Wert von 2,3 Millionen Pfund abgestoßen. 2007 zog der norwegische Rentenfonds seine Anlagen in Höhe von 15,6 Millionen Dollar zurück, nachdem seine Ethik-Kommission zu dem Schluss gekommen war: „Die Vorwürfe, die gegen Vedanta erhoben werden – Umweltschäden und die Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen, darunter Misshandlung und gewaltsame Vertreibung von Stammesangehörigen – sind wohlbegründet.“
Bei der Jahreshauptversammlung von Vedanta sprach ich im vergangenen Jahr mit Sitaram Kulisika, der dort die Kondh vertrat. „Wenn sie erst einmal mit dem Bergbau beginnen, dann wird der Berg planiert werden, die Flüsse werden austrocknen und unsere Existenzgrundlage wird verloren sein“, sagte er. „Wir wissen nicht, wie wir uns anpassen sollen. Unsere Art zu leben ist in Städten unmöglich. Wir werden erloschen sein.“
Bianca Jagger, Ex-Frau des Rolling Stones Mick Jagger, setzt sich seit 1979 für Menschenrechte ein
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