Street Food-Märkte sind der ausgeklügelste Stunt, mit dem die Mittelschicht in jüngster Zeit auf Trab gehalten werden soll. Und es ist auch wahrlich schwer, sich zu entscheiden, ob man sich darüber lustig machen – oder doch weinen soll. Einerseits ist die Vorstellung ziemlich unterhaltsam, dass Yuppies 15€ für einen Gourmet-„Snack" ausgeben, den sie im Februar – womöglich auf einem Parkplatz – aus einer Pappbox essen, während sie unbeholfen versuchen, sich und ihr Essen auf einer hölzernen Klappbank zu balancieren, dazu Craftbier aus Plastikbechern trinken – und gut gelaunt die Geldbörsen von eh schon millionenschweren Vermietern anfüllen. Andererseits sind sie natürlich Ausdruck all dessen, was in Großstädten schief läuft.
Was wir essen und wie wir es essen, hat schon immer viel über unsere Politik und die Gesellschaft, in der wir leben, ausgesagt. Die Explosion der trendigen Food Courts und eingemauerten Märkte ist da keine Ausnahme. Sie sind Mahnmale für die Finanzialisierung und Privatisierung des städtischen Raums, für den bürgerlichen Ennui und die Sehnsucht nach Authentizität – und für eine profitorientierte Version der Vielfalt. Und die kleinen Portiönchen!
Die Street Foodication ist vielleicht der größte kulinarische Trend des letzten Jahrzehnts. Es geht darum, jeden Zentimeter des städtischen Raumes für die Gewinnung von Miete zu nutzen – inklusive der Monetarisierung dessen, was es dort zu essen gibt. England, und besonders London, ist überflutet von Street Food-Märkten. In den Jahren 2018 und 2019 wurden drei Filialen der Market Halls-Kette eröffnet, die zu den fünf Kerb-, vier Street Feast-, drei Boxpark-, zwei Pergola-Märkten und unzähligen anderen dazu kamen. Im November eröffnete Kerb London in Zusammenarbeit mit dem milliardenschweren Immobilienunternehmen Shaftesbury PLC, dem große Teile des Londoner West Ends gehören, seine erste feste, überdachte Straßenverkaufshalle in einem Lagerhaus im Herzen des Stadteils Covent Garden. Der handwerklich-industrielle Komplex floriert auch in anderen Großstädten Englands: Baltic und Duke Street Markets in Liverpool, Hatch and Grub in Manchester, Brum Yum Yum und Digbeth Dining Club in Birmingham. Hippe Container sind überall stark vertreten.
Der Begriff hat seine Bedeutung verloren
Und die Neueröffnungen reißen nicht ab. Die Time Out Group wechselte jüngst von Zeitschriften auf Street Food, ihre erste Londoner Halle wird 2021 in Waterloo eröffnet. Drei weitere Filialen des Mercato Metropolitano sind auf dem Weg in die Hauptstadt – und die erste britische Filiale des italienischen gastro-nationalen Unternehmens Eataly. In Glasgow ist im Rahmen des Regenerationsprogramms des Flussufers ein umfangreicher neuer Food-Markt geplant, während die erste große Halle in Brighton noch in diesem Jahr eröffnet werden soll – die von einem neuen Unternehmen unter der Leitung des ehemaligen Geschäftsführers von Deliveroo betrieben wird. Das Phänomen des Street Food Markts ist, so das Branchenmagazin Big Hospitality, ein „unkontrollierbarer Schnellzug“.
Street Food hat ein so reizvolles Image entwickelt, dass es unterdessen oft auch fernab der Straße verkauft wird – in Kneipen und Restaurants und anderen Geschäften dieser Couleur. Supermärkte verkaufen „Street Food“ als tiefgekühltes Fertiggericht zum Aufwärmen. Als Beweis dafür, wie tief der Trend unterdessen gesunken, verkauft nun sogar Dairylea Lunchables – ein Sublabel von Heinz Ketchup, dem regelmäßig vorgeworfen wird, ungesunden Schund zu produzieren – ein „Street Food“-Sortiment. Der Begriff verliert allmählich jedwede Bedeutung.
Was aber ist an diesem scheinbar banalen Trend so irritierend? Vielleicht ist es der eher traurige Ausflug in das globale kapitalistische Dorf – ich bin ein Reisender, kein Tourist! Als ob ich, wenn ich nach Malaysia fliegen würde, selbstverständlich auf einem Straßenmarkt mit einheimischen Arbeiterfamilien essen würde – nicht im Hotelrestaurant, wie irgendein Langweiler. Ich bin schließlich Anthony Bourdain!
Es ist fraglich, wie viel Innovation der Food Court des 21. Jahrhunderts wirklich ermöglicht. Beim Kauf eines kleinen Stückchens Authentizität wählen die Kunden oft aus einer doch eher schmalen Liste von kulturellen Tropen: Hier ist ein Stand, der nur Ramen anbietet, dort einer mit deutschen Würste, ein weiterer hat Fish and Chips, oder einer, der nur Sauerteigpizza im Sortiment hat. An die Stelle eines wirklich kosmopolitischen und zugänglichen Kulturlebens tritt ein desinfiziertes Sammelsurium an Multikulturalismus, das zu einem überhöhten Preis erhältlich ist und an dessen Türe Wachleute stehen. Es handelt sich um das Angebot einer kulinarischen Grand Tour, die für eine Generation von Yuppies konzipiert ist, die ihren umgebauten Straßenbahnschuppen nur ungern verlassen will.
Eigentlich liegt es auf der Hand, muss aber augenscheinlich noch einmal deutlich gesagt werden: In den meisten Teilen der Welt gibt es Street Food insbesondere für zeit- und geldarme Arbeiter, die ständig unterwegs sein müssen. Die Ironie dabei ist, dass seine Verwertung als Freizeitbeschäftigung für die gelangweilten Bouji des globalen Nordens in eine Zeit fällt, in der Migranten- und Diasporagemeinschaften aus der Arbeiterklasse darum kämpfen, ihre Lebensmittelgeschäfte vor dem Zugriff von Bauträgern und Eigentümern zu schützen, die sie lieber heute als morgen loswerden wollen. Viele der 150 lateinamerikanischen Unternehmen, die von den Bauträgern im Londoner Elephant and Castle bedroht werden, sind ausgerechnet Cafés, Restaurants und Lebensmittelgeschäfte, ebenso wie die im umkämpften Latin Village in Haringey.
Motor der Verdrängung
Street Food-Märkte spiegeln nicht nur die sich wandelnde sozioökonomische Demographie eines Gebietes wider, sie sind auch selbst Motoren der Gentrifizierung – sie tauchen in Gebieten wie London-Deptford, Brixton oder Peckham auf und werden zu Immobilien-Hotspots. Der Mitbegründer von Street Feast, Jonathan Downey, versprach potenziellen Investoren im Jahr 2015, dass sich die Expansion des Unternehmens auf „unzureichend genutzte und heruntergekommene Ecken der Stadt“ konzentrieren würde. Die Street Food Markets fungieren dabei als Honeypots für Tagesausflügler – meist weiße junge Berufstätige in ihren 20er und 30ern – , denen die „Atmosphäre“ so gut gefällt, dass sie einen Umzug in die Gegend in Erwägung ziehen.
Es gibt aber einen unbestreitbar positiven Aspekt des Phänomens. Da bei Street Food-Ständen die Eintrittsschranke drastisch niedriger ist als bei einer tatsächlichen Restauranteröffnung, bieten sie Wannabe-Restaurantbetrieben, die aus weniger betuchten Verhältnissen kommen, Chancen, sich zu präsentieren. Dies kann sowohl Köchen und Unternehmern zugute kommen, die eine bestimmte ausländische Küche präsentieren wollen, als auch denen, die weniger auf Nummer sicher gehen oder kochen wollen, was am ehesten verkauft werden kann. Das alles ist gut und lecker – wenn es denn passiert.
Aber die Sorge bleibt, dass die Konzerene und Vermieter hinter dem Steet Food-Trend eine Blase kreieren, die platzen muss. Anstelle von stabilen Arbeitsplätzen, Einkommen oder Lebensmittelläden gibt es Vergänglichkeit, Hype und überteuerte Burger. Die Street Food-Revolution hat einerseits die kulturelle Vielfalt trivialisiert und andererseits Städte homogener und elitärer gemacht. Vielleicht hinterlässt Street Food auch deshalb einen faden Beigeschmack.
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