Tausende sind gekommen. Sie lehnen an Blechhütten oder sitzen im Staub. Minenarbeiter und deren Frauen, die noch immer nach Antworten auf ein Massaker der südafrikanischen Polizei suchen, bei dem 34 Arbeiter den Tod fanden. Das rote T-Shirt eines der Organisatoren der Veranstaltung bietet eine mögliche Antwort: „Fuck capitalism“.
Als der charismatische junge Julius Malema ans Mikrofon tritt, kommt Bewegung in die Menge. Während manche in ihm einen gefährlichen Demagogen sehen, kommt er den trauernden, wuterfüllten Menschen vor der Lonmin-Mine in Marikana vor wie der Messias, der ihnen eine radikale Zukunft verkündet. „Diese Mine gehört den Briten“, erklärte er. „Die Briten verdienen Geld mit dieser Mine. Aber es sind nicht Briten, die getötet wurden. Es waren unsere schwarzen Brüder. Der Präsident aber trauert nicht um diese schwarzen Brüder, sondern geht stattdessen zu den Kapitalisten in ihre klimatisierten Büros.“
Malema wurde in diesem Jahr seines Amtes als Vorsitzender des ANC-Jugendverbandes enthoben, nachdem er sich mit Präsident Jacob Zuma angelegt hatte. Er wirft ihm vor, nichts zu unternehmen, um das „weiße Monopolkapital“ in seine Schranken zu weisen. Die Tragödie von Marikana legt offen, wie unzufrieden die Menschen 18 Jahre nach dem Ende der Apartheid mit ihrer Situation und der herrschenden Ungleichheit sind. Malema wittert seine Chance. „Präsident hat den Mord an unseren Leuten zu verantworten und muss zurücktreten. Nicht einmal die Apartheid-Regierung hat so viele Menschen ermordet… Von heute an gilt: Wenn euch jemand fragt: Wer ist dein Präsident? Dann müsst ihr antworten: Ich habe keinen Präsidenten.“ Zustimmung im Publikum. Ihrer Stimmen kann sich der ANC nach 18 Jahren Regierungsverantwortung nicht mehr sicher sein.
Wie Sklaven
Malema wirft der Regierungspartei vor, sich nicht in gleichem Maße um die wirtschaftliche Freiheit bemüht zu haben wie um die politische und nicht genug dagegen zu unternehmen, dass auch 18 Jahre nach der Apartheid Millionen von Schwarzen in Armut und Rechtlosigkeit leben. Er will die Besitzer enteignen und Minen verstaatlichen. In Marikana, wo die Lonmin-Arbeiter für eine Lohnerhöhung von 4.000 auf 12.000 Rand (400 bis 1.200 Euro) pro Monat demonstrieren, scheint dies immer mehr Befürworter zu finden.
„Lonmin behandelt uns wie Hunde“, sagt der 24-jährige Thembelani Khonto. „Unter Tage kennen sie einen nicht. Du wirst behandelt wie ein Sklave. Aber die da oben, die über Tage in ihren Büros sitzen und nichts arbeiten, verdienen mehr als wir.“ Der 25-jährige Siphiwo Gqala meint, er verbringe manchmal 14 Stunden unter Tage, ohne die Überstunden bezahlt zu bekommen. „Die Arbeit ist gefährlich“, sagt er. „Die großen Fahrzeuge können einen überrollen und töten.“ So etwas wie vergangenen Donnerstag habe er noch nie gesehen. „Die Leute wurden abgeschlachtet wie Hühner. Von einem meiner Freunde fehlt weiter jede Spur. Ich weiß nicht, ob er im Krankenhaus ist oder im Leichenschauhaus liegt.“
„Die Frauen kommen mit ihren Männern vom Ostkap hierher. Die Männer sind die Brotverdiener. Wie soll eine Witwe mit fünf Kindern überleben? Ich habe zwei jüngere Brüder, für die ich sorgen muss. Was, wenn ich sterbe? Wer kümmert sich dann um sie?, fragt Siphiwo Gqala. Die Verhältnisse bringen Menschen wie ihn dazu, nach radikalen Lösungen zu suchen. „Die Minen müssen verstaatlicht werden. Wir unterstützen Julius Malema und die Youth League in dieser Forderung. Jetzt fangen sie an, uns zu erschießen. Wenn wir heute sterben, müssen wir alle sterben: Wir wollen nicht mehr länger hier arbeiten.“
Ein dickes Stück Fleisch
Die Geschichte der 34 toten Minenarbeiter ist die Geschichte einer Gewerkschaft, die sich mit dem Big Business arrangiert hat, einer neuen populistischen Gewerkschaft, die die Frustration der Menschen zu nutzen wusste. Es ist eine Geschichte des Versagens der Polizei. Sie legt die strukturellen Schwächen Südafrikas offen, dessen Gesellschaft zusammen mit der Brasiliens weltweit die größte soziale Ungleichheit aufweist.
Die Geschichte von Lonmin hat auch mit der zu Spitzenzeiten 360.000 Mitglieder zählenden National Union of Mineworkers (NUM) zu tun, die in den achtziger Jahren wegen des Kampfes gegen die Arbeitsgesetze der Apartheid-Regierung gegründet wurde. Unter der Führung von Cyril Ramaphosa – der heute im Vorstand von Lonmin sitzt – wurde die Gewerkschaft zum größten Mitglied des Dachverbandes Congress of SA Trade Unions (Cosatu), einem mächtigen Verbündeten des African National Congress (ANC). Nach dem Ende der Apartheid verlagerte sich die Arbeit der NUM von den Minen hin zum politischen Lobbyismus beim ANC.
Im den vergangenen Jahren kam es durch Machtkämpfe innerhalb des ANC zu einer Spaltung der NUM: Die verbliebene Führung hält an ihrer Unterstützung für Präsident Jacob Zuma fest, muss dafür aber einen hohen Preis bezahlen: In der Lonmin-Mine ist der Anteil der Arbeiter, die bei NUM organisiert sind, von 66 auf 49 Prozent zurückgegangen. Unzufriedene und ausgeschlossene Führer hatten unterdessen eine neue Gewerkschaft gegründet – die Association of Mineworkers and Construction Union (AMCU), die NUM das Terrain streitig machte.
Deren Achillesverse besteht in einem zu eng gewordenen Verhältnis zu den Minenbesitzern und der Chamber of Mines. Generalsekretär Frans Baleni ist ein schärferer Kritiker der Verstaatlichung von Minen als viele Unternehmer. Die Gewerkschaft hat angeblich auch Lohnvereinbarungen zugestimmt, die die Arbeiter auf Jahre hinaus an magere Lohnzuwächse binden.
Der AMCU hielt den Arbeitern ein dickes Stück Fleisch unter die Nase: Den Bohrern – sie bilden den Kern des Streiks, verrichten die härteste Arbeit unter Tage und verdienen momentan 4.000 Rand – wurden 12.5000 Rand im Monat versprochen. Daraufhin wurde damit begonnen, durch einen eigentlich illegalen Streik, diese Lohnforderung durchzusetzen.
Das hatte gewaltsame Auseinandersetzungen zu Folge. Medizinmänner rieben die Streikenden mit Zaubertränken ein, die sie angeblich unbesiegbar machen sollten. Und die AMCU-Führung bereitete sich auf einen Krieg vor.
Die NUM hat bei alldem weiter an Glaubwürdigkeit und Mitgliedern verloren. Ihr ohnehin schon gut dotierter Generalsekretär, Baleni, hat im Vorjahr eine Gehaltserhöhung von 40 Prozent erhalten, so dass er nun 105.000 Rand (etwa 10.500 Euro) im Monat verdient. Es ist schon vorgekommen, dass NUM-Führer sich weigerten, aus gepanzerten Polizeifahrzeugen auszusteigen, um zu den Arbeitern zu sprechen. Vor einem Jahr wurde einer von ihnen von einem Ziegelstein getroffen und verlor ein Auge.
Unterdessen wirbt die AMCU auch unter den armen Arbeitern in den Hütten-Siedlungen um Mitglieder, die zu No-Zone-Areas für Polizisten geworden sind. Für die Menschen in diesen Siedlungen handelt es sich nicht nur um einen Arbeitskampf, sondern um einen Streik gegen den Staat und die Besitzenden. Der AMCU-Führer Joseph Mathunjwa erklärte gegenüber den Arbeitern: „Wir gehen nirgendwo hin. Wenn es sein muss, sind wir bereit zu sterben.“
Diese Übersetzung ist eine Zusammenstellung der beiden Artikel aus dem Guardian:
"South African miners' families back Julius Malema's call for nationalisation" von David Smith und "The Marikana action is a strike by the poor against the state and the haves" von Justice Malala
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.