Heute treffen sich die Staats- und Regierungschefs der EU zu einem Sondergipfel. Hauptthemen sind die schwierige Lage der Autoindustrie und die dramatische Wirtschaftsentwicklung in einigen osteuropäischen Ländern. Doch es wäre ein Wunder, wenn die Politiker auf dem Treffen eine gemeinsame Linie entwickelten. Das Treffen ihrer Außenminister Anfang der Woche war ein Musterbeispiel dafür, was derzeit in der EU alles falsch läuft. Statt schnell die ungarischen Staatsschulden, die akut fallende Wirtschaftsleistung Polens, die sozialen Proteste in Litauen, Lettland und der Ukraine anzusprechen, verschwendeten die Herren ihre Zeit, indem sie den obskuren Streit erörterten, den Slowenien und Kroatien über Fischereiboote in der Adria austragen.
Die reicheren westeuropäischen Staaten, allen voran Deutschland, müssen handeln, weil die ökonomische Schwindsucht ihrer östlichen Nachbarn schnell zum Flächenbrand werden kann, der auf Kerneuropa übergreift. So betragen etwa die Bankkredite, die Österreich an Länder im Osten vergeben hat, bereits 80 Prozent seines Bruttosozialproduktes. In der Summe müssen die osteuropäischen Schuldner allein 2009 400 Milliarden Euro an westeuropäische Gläubiger zurückzahlen – sonst brennt auch hier der Baum.
Soros für EU-weiten Pfandbriefmarkt
Nach Meinung von Weltbankpräsident Robert Zoellick sollte die EU der 27 bei einer möglicherweise notwendigen Rettung der osteuropäischen Transformationsländer im Leitstand stehen. In gewisser Weise tut sie das auch, denkt man an den von der EU-Kommission aufgelegten 25-Milliarden-Euro-Notfonds, der zur Hälfte den angeschlagenen Mitgliedern Ungarn und Lettland zugute kam. Man braucht noch mehr Geld, nur ist das in den reicheren Mitgliedsländern der Union augenblicklich schwer aufzutreiben, da die Banken mit Krediten mehr als zurückhaltend sind.
Nicht zu Unrecht meinte der Bankier George Soros vor kurzem, mit der sich entfaltenden Krise seien „auf überzeugende Weise die Vorteile einer gemeinsamen Währung“ offenbar geworden. Sollte man sich dazu entschließen, einen „EU-weiten Pfandbriefmarkt“ zu schaffen, so wäre es gewiss leichter, dringend benötigtes Geld für weitere Hilfsfonds zu generieren. Andere Beobachter fordern dagegen, den Erweiterungsprozess schnell fortzuführen. Aber selbst wenn sicher wäre, dass sich die Misere Osteuropas damit bewältigen ließe, blieben erneute Ausfallschritte nach Osten in Großbritannien ein Tabu und für Deutschland ein viel zu großes Wagnis.
Es droht das definitive Ende der Osterweiterung
Sollte die EU weiter unentschlossen bleiben und abwarten, ist mit politischen Konsequenzen zu rechnen, von denen vor allem eine besonders ins Gewicht fallen dürften. Sie besteht im voraussichtlich definitiven Ende der Osterweiterung, die wegen der Ablehnung des Lissabonner Vertrages durch die Iren ohnehin zum Stillstand gekommen ist.
Nicht nur Serbien, sondern auch Montenegro, Mazedonien, Kroatien und die Türkei sehen ihre Aussichten auf eine Mitgliedschaft immer mehr schwinden. Weitere Leidtragende könnten Armenien, Aserbeidschan, Georgien, Moldawien, Weißrussland und die Ukraine sein, die als potentielle Aspiranten für eine neue „östliche Partnerschaft“ der EU gehandelt werden. Sie sollte ursprünglich im Mai 2009 beginnen, zunächst zu einer Liberalisierung des Handels und mehr sicherheitspolitischer Kooperation führen, aber auch in ein anspruchsvolles Programm zur Förderung belastbarer zivilgesellschaftlicher Strukturen und krisenfester demokratischer Institutionen münden.
Im Gegenzug hoffte die EU, ihr Einflussgebiet erweitern sowie Gas- und Ölleitungen sichern zu können, die nicht unter russischer Kontrolle stehen. Mit einem Wort: Der Einfluss Moskaus im postsowjetischen Raum sollte beschnitten werden. All diese Ambitionen stehen zur Disposition, weil Brüssel derzeit verwirrt, zumindest im Zweifel scheint, wie man mit der Krise in Osteuropa umgehen soll.
Es liegt auf der Hand, dieses wankelmütige Verhalten entmutigt potenzielle Mitgliedsstaaten, die in der Warteschleife kreisen. So herrscht in Mittel- und Osteuropa vielerorts ein Gefühl der Hilflosigkeit, das aus dem Eindruck resultiert, ein seit dem Ende des Kalten Krieges funktionierendes Wachstumsmodell hat sich erschöpft und läuft aus. Katinka Barysch vom Center for European Reform merkt an: „Das Rezept des vergangenen Erfolges – die Öffnung für Handel und Investitionen sowie der Verkauf von Banken an westeuropäische Konkurrenten –, all das hat diese Länder verwundbar gemacht. Die EU, die einst als Moderator der Reformen fungierte, hat hier stark an Einfluss und Glaubwürdigkeit verloren.“ – Anders formuliert: Der Glaube an ein vereintes und freies Europa schwindet. Die Krise stellt dessen Zukunft in Frage.
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