Auch donnerstags: Sex!

Mappiness Eine neue App erforscht die glücklichsten Momente ihrer Nutzer, indem diese einmal täglich eingeben, was sie so tun. Am besten sind die meisten nach der Liebe drauf

Mein Name ist David und ich bin ein Happychonder: Ich hatte früher stets Angst, nie glücklich genug zu sein. Mit den Jahren bin ich jedoch gereift und würde mich heute als zufriedenen Menschen bezeichnen. Aber vielleicht ist ja das Gefühl, dass man eigentlich glücklicher sein sollte, als man ist, eine Krankheit, mit der man lernen kann umzugehen, wenn sie sich schon nicht vollständig ausmerzen lässt. Warum sollte ich also eine Iphone-Application benutzen, die darüber Aufschluss gibt, wo, wann und wie ich daran gescheitert bin, glücklich zu sein?

Ich benutzte Mappiness jetzt seit sechs Wochen. Das von George MacKerron während der Arbeit an seiner Dissertation am Institut für Geographie der London School of Economics entwickelte Tool sammelt Daten darüber, wie Umgebung und Aktivitäten sich auf das Glücksempfinden auswirken.

Es fragt zu einem willkürlichen Zeitpunkt einmal am Tag ab, wie glücklich, entspannt und ausgeruht man ist, in wessen Gesellschaft man sich befindet und was man gerade macht. Dann kann man sich die erhobenen Daten ansehen. Je länger man die App benutzt, desto interessanter wird es. Plötzlich wird einem klar, dass man abends wirklich immer besser drauf ist und von Donnerstagen gar nicht genug kriegen kann. Eine Zeitlang war ich immer dann am besten drauf, wenn ich gerade Alkohol getrunken habe, jetzt lacht das Glück mir merkwürdigerweise beim Warten oder Schlangestehen.
Die App hat Daten von knapp drei Millionen Rückmeldungen der 45.000 Nutzer gespeichert. Einiges davon ist recht vorhersehbar: Dass die Küste die Menschen offenbar glücklich macht, zum Beispiel, und dass Gegenden mit viel Grün glücksträchtiger sind als urbane Wohnquartiere. Seitdem die Kategorie „Intimität, Sex“ auf Nachfrage hinzugefügt wurde, ist klar: Sex macht am glücklichsten!

Glücklich? Ein großes Wort

Nachdem sich meine anfängliche Begeisterung gelegt hatte – ich mag es, Fragen zu meiner Person zu beantworten – begann ich eine Aversion gegen Mappiness zu entwickeln. Die Abfrage kam scheinbar nie dann, wenn ich es wollte. Ich wurde immer nur angepiept, wenn ich gerade vor dem Rechner saß und arbeitete, aber nie beim Klettern oder wenn ich gerade durch die Brandung ritt. Ich begann mir Sorgen zu machen, es könne der Eindruck entstehen, ich sei unglücklich. Dann kam meine natürliche Vorsicht ins Spiel. Ich war zwar eigentlich ganz zufrieden, aber war ich wirklich „glücklich“? Das wäre ein bisschen viel gesagt, oder? Ich schob dann die Anzeige auf dem Glückspegel nur ein klein wenig nach rechts oder tippte nur drauf, so dass sie ziemlich genau in der Mitte stehen blieb.

Die Bandbreite meiner Emotionen ist anscheinend recht beschränkt: Meistens geht es mir gut, nur selten schlecht. Das gab mir zu denken und ich fragte den Philosophen John Gray, was ich denn davon halten soll. „Es gibt die Vorstellung, das ein Leben kein gutes war, wenn der Mensch, der es gelebt hat, es nicht als glücklich empfunden hat. Heutzutage denken die Leute, Glück sein eine Empfindung oder eine Stimmung. Das war früher anders. Wenn Sie in der Zeit zurückgehen, waren Philosophen, Romanciers und Essayisten, Montaigne zum Beispiel, nicht der Ansicht, ein glückliches Leben sei eines, das Phasen der Bedrängnis und das Gefühl der Hoffnungslosigkeit notwendigerweise ausschließen würde. Wenn man Glück als ein Gefühl begreift, schränkt man es auf einen vorübergehenden Zustand ein, anstatt die Vorstellung von Glück auf das Leben als Ganzes anzuwenden.“

Das heißt doch aber sicher nicht, dass wir unser Unglück einfach tatenlos hinnehmen sollten? „Ich glaube nicht, dass es für jemanden gut ist, wenn er das Gefühl hat, seines Lebens nicht mehr froh zu werden. Wenn man aus dieser Situation aber erst einmal raus ist, könnte es durchaus sein, dass man nicht in erster Linie anstrebt, nie unglücklich zu sein, sondern sich vielmehr das sinnvollste oder aufregendste Leben wünscht, das man leben kann. Man kann wahrscheinlich mit viel mehr Spielarten des Lebens glücklich sein, als man zunächst denken würde.“

Das Beste an der App ist die Karte Großbritanniens, auf der die User die Bilder hochgeladen haben, die sie machten, als sie gerade besonders glücklich waren. Das Ergebnis zeigt, wie eigentümlich Glück sein kann: Auf den Bilder sieht man etwa eine Katze auf dem Bett, einen Kanal oder eine Bar. Ihr Anblick lässt den Happychonder entspannen: Es kann sein, dass ich mich die gesamte Zeit schlecht fühle, während ich gerade den Urlaub meines Lebens verbringe, aber der Anblick eines Fuchses im Dunkeln oder ein Witz, der mir willkürlich in den Sinn kommt, bringen mich wirklich zum Schmunzeln.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

David Shariatmadari | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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