Auszeit für den Weltmeister

Krise Britische Wirtschaftsanalysten und Journalisten sehen die Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft als schwerste Bürde in Zeiten der Krise

Angela Merkels verzweifelter Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze bei Opel veranschaulicht auf drastische Weise eine mit der Finanzkrise zutage geförderte traurige Wahrheit: Der einstige Trumpf der größten Volkswirtschaft Europas – seine hochproduktive, hochwertige und exportfreundliche Industrie – verhilft nicht zu Stärke in der Not. Im Gegenteil, das Land wird dadurch eher noch anfälliger für die Rezession als die weniger „bodenständigen“ angelsächsischen Länder.


So war das nicht geplant. Von einem wiedervereinigten Deutschland im Herzen einer sich erweiternden EU mit einheitlicher Währung erwartete man eine respektable Alternative zu jenem „Kasino-Kapitalismus“, den die Deutschen als „amerikanisches Modell“ begreifen – das zu hassen sie so sehr lieben. Als die Kreditkrise im Herbst 2007 mit der Pleite der britischen Hypothekenbank Northern Rock ihren Anfang nahm, war eine gewisse Schadenfreude zu spüren. Die Deutschen versicherten sich gegenseitig, es schon immer gewusst zu haben. Sie rechneten nicht damit, wie heftig die Finanzkrise durch deutsche Banken fegen würde, die ihre Wurzeln tief in einen zweitklassigen US-Hypothekenmarkt eingegraben hatten, und der Welthandel so massiv einbrechen könnte.

„Das hat Deutschland besonders hart getroffen, weil die Politik hierzulande seit langem nur das Ziel verfolgt, Nr. 1 bei den Exporten zu werden“, meint Berlins Wirtschaftssenator Harald Wolf. „Es gab einen dramatischen Auftragseinbruch aus dem Ausland, was schreckliche Auswirkungen auf die Arbeitsplätze hat. Unsere Banken sind weiter voller toxischer Papiere, weshalb es noch viel zu früh ist, von Erholung zu reden.“

In den vergangenen Jahren waren die Ausfuhren mit einem Anteil von etwa 60 Prozent für das Wachstum der deutschen Ökonomie zuständig. Jetzt, da viele Handelspartner nichts mehr kaufen, darf man die Kehrseite dieser Medaille zur Kenntnis nehmen. Aller Voraussicht nach werden die Exporte 2009 um ein Fünftel geringer ausfallen, was zu einem Anstieg der derzeit bei 3,5 Millionen liegenden Arbeitslosenquote (8,2 Prozent) führen dürfte. Ohne Frage stieg auch in Großbritannien die Erwerbslosigkeit seit Beginn des Jahres, sie liegt aber mit 7,1 Prozent deutlich unter der Quote in Deutschland.

Britische Wirtschaftsanalysten merken an, dass die Kurzarbeit die Lage in Deutschland ohnehin kaschiere. „Nach deutschem Arbeitsrecht können Arbeitgeber ihren Angestellten nicht einfach kündigen, stattdessen schicken sie die Leute mit drastisch weniger Lohn einfach zum Däumchen-Drehen nach Hause, bis es wieder etwas zu tun gibt“, sagt Nick Parsons von NAB Capital in London. Überall in Deutschland würden in rasantem Tempo Industriearbeitsplätze abgebaut, vorzugsweise in Bayern und Baden-Württemberg, wo Autobauer wie BMW, Audi, Daimler oder Porsche beheimatet sind. Auch die Maschinenbauer – das Rückgrat des Mittelstandes – treffe die Exportflaute.

Deutschlands seit langem bekanntes Problem besteht darin, dass die Binnennachfrage die Verluste bei den Exporten nicht kompensiert. Seit zehn Jahren hat die Ausgabenquote der Verbraucher preisbereinigt kaum zugenommen, wohingegen die Exporte im selben Zeitraum um 80 Prozent stiegen. Dies deutet nicht nur an, sondern erklärt, warum Deutschland und andere „Überschuss“-Länder wie Japan oder China so tief in die Rezession driften. Man verließ sich auf den US- und britischen Markt. Würden sich alle Länder so verhalten und mehr Waren verkaufen als sie einkaufen, könnte die Weltwirtschaft nicht funktionieren. „Wir müssen mit dieser Exportpolitik auf Kosten unserer Nachbarn Schluss machen. Wenn die Exportwerte, die wir brauchen, nicht mehr zu haben sind, brauchen wir einen Plan zur Stimulierung der Binnennachfrage, andernfalls steht uns eine lange Phase der Stagnation bevor, in der Deutschland zur ökonomischen Wüste verkommt“, warnt Harald Wolf.

Warum halten sich die Deutschen beim Konsum oft sehr zurück? Für Richard Meng, Sprecher des Berliner Senats, hat dies mit einer weit zurückreichenden Angst zu tun, die Deutsche seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr loslasse: „Es gibt einen Spar-Reflex. Die Deutschen sind im Gegensatz zu den Amerikanern eher pessimistisch als optimistisch.“ Die 2009 eingeführte und nun auslaufende Abwrackprämie habe es erlaubt, mehr Autos zu verkaufen – ein vorübergehendes Phänomen. Meng: „Was passiert in sechs Monaten? Die Regierung hofft, bis zu den Wahlen durchzuhalten, danach wird es Ärger geben.“

Eine Frage der Psyche

Ein maßgeblicher Unterschied zum Wirtschaftsboom, den die USA und Großbritannien bis 2007 erlebt haben und der zugleich die Kaufzurückhaltung des deutschen Verbrauchers begründet: Es gab in Deutschland zuletzt keinen merklichen Anstieg bei den Immobilienpreisen. Was in der Regel damit erklärt wird, dass die Deutschen mehrheitlich als Mieter wohnen und nicht mit Immobilien spekulieren. Auch wenn nur 40 Prozent der Deutschen Wohnungseigentümer sind, verglichen mit 70 Prozent im Großbritannien, ist die Realität doch wesentlich prosaischer. Wegen einer geringen Geburtenrate schrumpft die Bevölkerung, woraus folgt, dass Wohnraum nicht über Gebühr nachgefragt wird und die Preise hierfür kaum steigen.

Dennis Snower vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel ist der Ansicht, kein Geld auszugeben, sei tief in der deutschen Psyche verwurzelt, aber nicht das einzige Problem. Die Arbeitsmarkt-Reformen der vergangenen Jahren seien halbherzig geblieben und hätten bei weitem nicht soviel bewirkt wie in Dänemark, Schweden oder Großbritannien. Folglich sei das Niveau an „struktureller“ Arbeitslosigkeit in Deutschland wesentlich höher als in anderen Ländern.

Was beschert die Zukunft? Deutschland kann nur auf eine sich erholende Auslandsnachfrage hoffen. Dennis Snower glaubt daran vorerst nicht, und Deutschland führende Thinktanks gehen davon aus, dass zwischen 2010 und 2013 ein jährliches Plus von lediglich 0,9 Prozent zu erwarten sei und damit unter den mageren 1,5 Prozent liege, die im Jahresdurchschnitt seit 1995 erreicht wurden.

Zwei bis drei Jahre werde es wohl dauern, bis man sich wieder in der Rolle des „Exportweltmeisters“ einrichten könne, meint Berlins Senatssprecher Meng.

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Ashley Seager, The Observer | The Guardian

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