Es ist fünf Uhr in der Früh, die Sonne ist noch nicht aufgegangen – der perfekte Zeitpunkt für einen Besuch auf dem Perlenplatz, „Lulu“ genannt, dem Treffpunkt der Oppositionsbewegung in Bahrain. Der harte Kern der Demonstranten erwacht gerade. Wir interessieren uns heute aber für die Straßenkunst, die hier zu sehen ist.
Politische Slogans tauchten auf den Straßen Bahrains bisher fast ausschließlich auf riesigen Bannern auf, die der königlichen Familie zu ihrer guten Regierungsführung gratulierten oder als ein hastig hingekritzeltes „Nieder mit Al Khalifa“, das schnell von den Sicherheitskräften übergestrichen wurde. Das Camp auf dem Lulu hingegen hat sich als fruchtbarer Boden für neue Formen politischer Straßenkunst entwickelt – auch wenn noch nicht klar ist, für wie lange. Auf dem vielbefahrenen Kreisverkehr, dessen Zentrum von einer riesigen Skulptur überragt wird, finden sich heute tausende Botschaften. Häufig handelt es sich um Motive, die zum täglichen Brot der Opposition geworden sind: Märtyrer- und Opfertum, Ruhm. Überall sind drastische Bilder getöteter oder inhaftierter Demonstranten zu sehen. „Wir werden unsere Geschichte mit dem Blut unserer Märtyrer schreiben“, lautet ein Slogan, der häufig zu hören ist.
Aus anderen spricht eine neue Kreativität: „Wir werden nicht gehen, auch nicht wenn der Sommer kommt. Die Klimaanlagen stehen bereit“, verkündet ein Plakat, auf dem die Vorderseite einer echten Klimaanlage angebracht ist – eine Anspielung auf die sengenden Temperaturen, die im Juli schon einmal 50 Grad Celsius erreichen können. Besonders eindrucksvoll ist ein wackelig stehender Stuhl, über dessen Lehne ein Spielzeugmaschinengewehr hängt. In dem mit Blut und Rissen bemalten Sockel, auf dem dieser Thron steht, stecken Pfeile, die ihn offenbar zum Bröckeln bringen. „Märtyrer“ steht auf einem davon, „politisch motivierte Naturalisation“ auf einem anderen. Darunter ist eine Tube Sekundenkleber abgebildet, auf der zu lesen ist: „Seit 40 Jahren erprobt am Stuhl des Ministerpräsidenten von Bahrain“ – so lange hält der derzeitige Premier sich schon in seinem Amt. Das hat viele hier inspiriert. Eine Abbildung zeigt die acht Premierminister, die seit 1970 in Großbritannien der Regierung vorstanden und darunter alle, die im gleichen Zeitraum in Bahrain herrschten – es ist ein und derselbe.
Eingängige Slogans
Ein großes, von einer Seite der Statue auf dem Platz hängendes Transparent fragt: „Wir haben von Völkern gehört, die ihre Regierung ausgewechselt haben. Jemals von einem Regime gehört, das sein Volk ausgewechselt hat?“ Die Frage bezieht sich auf die vielfach vorgebrachten Vorwurf, die Regierung bringe Tausende sorgfältig ausgewählte Ausländer ins Land und beschleunige deren Einbürgerung, um die demografische Struktur des Landes zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Auf einer der arabischen Säulen in der Mitte des Kreisverkehrs prangt die Ankündigung: „Wir sind hier, bis das Regime fällt.“ Ein paar Tage zuvor hatten Mitglieder einer offiziell anerkannten islamistischen Partei den Spruch entfernt. Wenig später hatten Jugendliche ihn wieder hingeschrieben.
„Bis zum Ende der Woche müssen die Plakate auf denen der Sturz des Regimes gefordert wird, verschwunden sein“, erklärte ein Führer einer offiziell anerkannten Oppositionspartei. Zwei Wochen später war „Das Volk will den Sturz des Regimes“, der bei weitem beliebteste Schlachtruf auf dem Platz. „Meiner Ansicht nach könnte der Sturz des Regimes zu einer richtigen konstitutionellen Monarchie führen“, erklärt ein Demonstrant. „ Das Volk will eine konstitutionelle Monarchie mit einer vollständigen Gewaltenteilung, einem gewählten Parlament und einem verantwortlichen Premierminister" sei als Slogan aber einfach nicht eingängig genug.
Zwar hat diese Bewegung noch keinen Anführer, ganz ohne Ikonen kommt man aber nicht aus. Da wäre zum Beispiel der Popcornmann. Er war seit dem ersten Tag der Besetzung des Lulu dabei und verkaufte Popcorn. Zwei Nächte später haben die Sicherheitskräfte das Lager gewaltsam aufgelöst, wobei fünf Demonstranten getötet wurden. Als die Protestierenden zwei Tage später zurückkehrten, war auch der Popcornmann wieder da – allerdings ohne seine Maschine. Nun läuft er mit einem Plakat über den Platz und fordert im Namen des Volkes „die Rückgabe der Popcornmaschine durch die Regierung“ (was sich im Arabischen reimt). In einem bei Youtube zu sehendem Video erklärt er sarkastisch, die Regierung habe erst das Meer geklaut, weshalb er nicht mehr auf Fischfang gehen könne (damit spielt er auf große Gebiete aus dem Meer gewonnenen Landes an, die an Privatiers verkauft wurden), und nun auch noch seine Popcornmaschine. Seine Lebensgrundlage sei ihm genommen worden. Er verspricht, die Erlöse aus dem Popcornverkauf zu teilen (wie der Regierungschef, der angeblich die Hälfte aller Profite der großen Projekte auf der Insel einsteckt).
Flagge statt Gesichter
Das am weitaus häufigsten verwendete Symbol ist jedoch die bahrainische Flagge. Die Schneider kommen kaumhinterher mit dem Nähen. Alle Seiten beanspruchen die Fahne mit dem rot-weißen Zickzackmuster für sich, die auf Anordnung der Briten nach der Unterzeichnung des Protektoratsabkommens vor über 150 Jahren entworfen wurde. Bemerkenswert ist vor allem, dass die Oppositionellen die Flaggen der Hisbollah und das Konterfei von deren charismatischen Führer Hassan Nasrallah gegen die Nationalflagge ausgetauscht haben, welche ihnen bisher als Symbol für die herrschende Dynastie galt.
Auch in den Kundgebungen der Regierungstreuen sind die Köpfe der Regierung Bahrains immer seltener und die Nationalflagge immer häufiger zu sehen.
Die Worte „national“ und „Einheit“ sind zu den Schlagwörtern dieser Tage geworden. „Nicht sunnitisch, nicht schiitisch – nationale Einheit“, wird in Hinblick auf sektiererische Spannungen im Staat häufig skandiert. Die neue Pro-Regierungsbewegung nennt sich Zusammenkunft der nationalen Einheit, eine Gruppierung unabhängiger, größtenteils oppositionell Gesinnter hat sich Nationale Koalition getauft. Die vollkommene Umsetzung dieser Worte in der Praxis ist zwar noch nicht erreicht – sollten sie aber Realität werden, könnte dies der Regierung noch größeres Kopfzerbrechen bereiten.
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