Als diesen Sommer ein Feuer den Gikomba-Basar in Nairobi verwüstetet hatte, den größten Altkleidermarkt Ostafrikas, half Kenias Regierung den Händlern unverzüglich beim Wiederaufbau ihrer Läden. Zugleich aber arbeitet sie seit Monaten auf ein Einfuhrverbot von Secondhandkleidung hin. Die gemeinsame Initiative der Staatschefs von Kenia, Uganda und Tansania dazu soll die lokale Textilindustrie der Staaten wiederbeleben.
Allein Kenia importiert pro Jahr rund 100.000 Tonnen gebrauchter Kleider, Schuhe und Accessoires. Laut der Hilfsorganisation Oxfam landen 70 Prozent der weltweiten Kleiderspenden in Afrika. „Hier wird verkauft, was in westlichen Secondhand-läden unverkäuflich ist und sich für warmes Klima eignet“, erklärt Ian Falkingham, Geschäftsführer bei der von Oxfam betriebenen Ladenkette Frip Ethique im Senegal.
Falls das geplante Verbot in Kraft tritt, werden Ostafrikaner künftig nur noch im eigenen Land hergestellte Kleidung kaufen können und damit einem alten Gewerbe wieder auf die Beine helfen, das die Billigimporte fast völlig zerstört haben. Der Niedergang der Textilindustrie in Kenia setzte in den frühen 1980ern ein, als die von der Weltbank durchgesetzte Marktliberalisierung den Verkauf von gespendeter Kleidung ermöglichte. Zuvor war diese kostenlos unter Bedürftigen verteilt worden. Weil sie als höherwertig und originell galten, erfreuten sich die Secondhandtextilien vor allem unter der jungen Stadtbevölkerung bald großer Beliebtheit. Traditionsreiche kenianische Bekleidungsfirmen wie Rivertex und Kicomi hielten dem Konkurrenzdruck nicht stand. Der einheimischen Presse zufolge beschäftigte die Textilindustrie Kenias in den 80er Jahren 500.000 Menschen. Heute sind es nur noch etwa 20.000. Das Importverbot soll einen einst blühenden Wirtschaftszweig so gerade noch vor dem endgültigen Absterben bewahren.
Die Krux aber ist, dass diese Rettungsaktion wieder Hunderttausende von Jobs kosten könnte. William Ng’ong’a verkauft gebrauchte Kleidung auf dem Gikomba-Markt und sieht durch die Verbotspläne die Existenz seiner ganzen Familie bedroht: „Ich betreibe das Geschäft zusammen mit meinen Eltern. Gleich nach meinem Uni-Abschluss vor zehn Jahren bin ich bei ihnen eingestiegen. Es ist die einzige Arbeit, die ich kenne.“
Ein zauberhafter Markt
Im Durchschnitt, sagt Ng’ong’a, führe das Familienunternehmen monatlich zwei Container Kleidung ein und zahle dafür 22.500 Euro Steuern. Die Container werden im Hafen von Mombasa entladen und per Lkw nach Gikomba gebracht.
Gikomba ist der große Umschlagplatz, von dem aus die Ware dann auch an Händler im ganzen Land geht: ein Labyrinth aus Holz, Wellblech und Karton, ein entweder staubiges oder matschiges, stets lärmendes Gewimmel – ein wildes Durcheinander von Farben und Stoffmustern. Viele Händler bieten ihr Sortiment nicht an Bügeln feil, sondern auf riesigen Wühltischen, wobei sie die besten Stücke ganz unten im Haufen verstecken. Die Preise sind unschlagbar günstig, und trotzdem schreien manche Verkäufer sich noch die Seele aus dem Leib, um zögerliche Kunden herumzukriegen. Dabei herrscht ein Geist echter Kameradschaft, es wird viel gelacht und getratscht, der Markt entfaltet sich als ein zauberhaft chaotisches Ökosystem. Katastrophe um Katastrophe hat er überstanden, darunter einen Terroranschlag 2014, bei dem zwölf Menschen getötet wurden, und so viele Brände, dass die Händler nicht mehr mitzählen können.
Ng’ong’a sagt, von seinen 15 Mitarbeitern wären die meisten ohne berufliche Perspektive, falls der Bann in Kraft träte. „Ich selbst habe einen Abschluss in Handelswesen, den ich bisher nie gebraucht habe. Die Aussicht, mich auf dem überlaufenen Arbeitsmarkt herumzudrängeln, bloß um dann irgendwo als Bürohengst zu enden, finde ich nicht gerade erbaulich. Ich liebe meinen Job.“ Zumal er anderswo kaum die gleichen Verdienstmöglichkeiten hätte: Ng’ong’a lässt durchblicken, dass er beim Verkauf der Containerkleidung mehr als 90 Prozent Gewinn einstreicht.
Noch größer als der Laden von Ng’ong’a ist der von Charles Kuria. Hier stapeln sich die Kleiderballen vom Boden bis zur Decke. Die jetzigen Räumlichkeiten hat Kuria seit zwei Jahren, im Geschäft ist er aber schon viel länger. Er fing klein an, als Straßenverkäufer, und heute liefert er als Großhändler nur noch ballenweise. Seine Ware importiert er direkt aus Großbritannien, den USA, Kanada und Belgien. Zwar will er sich nicht zu Gewinnspannen äußern, sagt aber, er führe ein komfortables Leben ohne Geldsorgen. Vier Mitarbeiter sind fest bei ihm angestellt, bis zu 20 Tagelöhner kommen hinzu, wann immer neue Ware eintrifft. Letztere wären die eigentlichen Leidtragenden eines Verbots: „Sie hätten keine Möglichkeit mehr, sich auf ehrliche Art ihren Lebensunterhalt zu verdienen.“
Günstige Qualität
Betty Maina, Ex-Vorsitzende des kenianischen Textilherstellerverbands, warnt ebenfalls davor, den Handel mit Secondhandkleidung zu unterbinden, ohne einen Auffangplan für die Hunderttausenden Beschäftigten dieser Branche zu haben. Sie fordert eine Lösung, von der sowohl die Basare als auch die Textilindustrie profitieren würden: „Da der Handel mit Altkleidern für viele die Lebensgrundlage bildet, wäre es nicht ratsam, dieses blühende Gewerbe auf einen Schlag stillzulegen. Stattdessen sollten wir die Aktivitäten des Sektors bündeln – und zwar derart, dass unsere Textilindustrie Qualitätsprodukte zu erschwinglichen Preisen anbieten und damit nicht nur Tausende von Jobs direkt schaffen kann, sondern nachgelagert sogar Millionen.“
Ob Kenias Regierung eine Balance findet zwischen der Rettung der Textilindustrie und den Menschen, die auf Gikomba angewiesen sind, wird sich ab November zeigen: Dann, beim nächsten Treffen der ostafrikanischen Staatschefs, wird mit einer Entscheidung zum Importverbot gerechnet.
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