Begrenzte Optionen

Torpedo Der Untergang der Cheonan im Gelben Meer verstärkt die koreanische Eiszeit. Aber nur Dialog kann aus der Sackgasse führen

Alle Indizien deuten darauf hin, dass der Angriff eines nordkoreanischen Torpedos die Ursache der gewaltigen Explosion war, die am 26. März den südkoreanischen Militärfrachter Cheonan versenkte und 46 Seeleute das Leben kostete. Unmittelbar nachdem das Schiff in südkoreanischen Gewässern im Westmeer (oder auch Gelben Meer) gesunken war, wurde die Behauptung erhoben, Pjöngjang müsse hinter dem Angriff stecken. Die Regierung mahnte zur Vorsicht und lehnte jedes Urteil ab, bevor nicht die verbliebenen 58 Besatzungsmitglieder befragt, das Frachtschiff geborgen und die genaue Ursache der Explosion ermittelt werden konnten. All das brauchte seine Zeit, insbesondere da die Regierung Experten aus dem Ausland heranzog, die sich an den Untersuchungen beteiligten. Während diese noch liefen, gab die Regierung zu verstehen, dass es mehrere Gründe für die Explosion geben könne, wie etwa eine interne Funktionsstörung, die mit Nordkorea nichts zu tun hätten. Doch je näher die Untersuchungen ihrem Ende kamen, desto deutlicher erwiesen sich diese Erklärungsversuche als nichtig und alle Spuren und Hinweise deuteten auf einen vorsätzlichen Anschlag seitens Nordkoreas hin.

Der Norden hielt zunächst still, doch als die Vorwürfe lauter wurden, dementierte er jegliche Beteiligung. Einer der üblichen Apologeten des Regimes veröffentlichte in der Asia Timeseinen Artikel, in dem er behauptete, Nordkorea fehlten die technischen Möglichkeiten, um einen solchen Anschlag durchzuführen und die Cheonan sei einer gemeinschaftlichen Militärübung der USA und Südkoreas zum Opfer gefallen, die zu jener Zeit durchgeführt worden sei. Dieses Szenario erhöhte bei vielen nur den Verdacht, dass der Norden hinter dem Angriff steckte. Nordkorea hat sein Dementi nun wiederholt und erklärte bestimmt, dass es jede Form der Vergeltung als Kriegshandlung verstehen werde. Da Nordkorea regelmäßig Vorwürfe zurückweist und damit droht, es werde jede Form der Restriktion als Kriegshandlung werten, muss man die Drohung nicht unbedingt für bare Münze nehmen.

Lange Geschichte tödlicher Gefechte

Selbstredend wäre es möglich, dass die Spannung zu einem begrenzten Konflikt führen könnte. In der Vergangenheit kam es in der entmilitarisierten Zone, die im Rahmen des 1953 ausgehandelten Waffenstillstands zwischen Nord- und Südkorea errichtet worden war, immer wieder zu tödlichen Artilleriegefechten zwischen den beiden Seiten. Im Laufe der Jahre startete Nordkorea mehrere Versuche, den Süden zu unterwandern – mit tödlichem Ausgang. Im Oktober 1983 starben 16 südkoreanische Minister und Beamte und ein Reporter in Rangun (Yangon) bei einem Bombenanschlag auf den damaligen Präsidenten der Republik Korea; drei nordkoreanische Offiziere wurden für den Anschlag verantwortlich gemacht. 1987 explodierte ein koreanisches Passagierflugzeug über der Andamansee, alle 118 Passagiere und die Besatzung kamen dabei ums Leben; auch dieser Anschlag ließ sich auf nordkoreanische Agenten zurückverfolgen. Dieser Zwischenfall führte dazu, dass die USA Nordkorea auf die Liste der den Terrorismus fördernden Staaten setzten.

Auch Auseinandersetzungen im Westmeer sind zwischen den beiden koreanischen Staaten nichts Neues. Zum einen ist die Meergrenze umstritten, die auf das Ende des Koreakrieges im Jahr 1953 zurückgeht. Zum anderen ist die Gegend, in der die Cheonan sank, regelmäßig Schauplatz von Konflikten zwischen Krebsfangflotten der beiden Länder. Auch chinesische Boote fischen in diesen Gewässern und werden regelmäßig von der jeweiligen Marine beider koreanischer Staaten wegen illegalen Fischfangs verfolgt. Bei Feuergefechten trugen die Flotten beider Länder in der Vergangenheit Schäden davon und ein paar wenige Seeleute kamen ums Leben, doch der Anschlag auf die Cheonan war nicht Teil einer kriegerischen Auseinandersetzung auf See und es ist schwer zu verstehen, welchen Vorteil der Norden davon haben könnte.

Süden verfolgt seit 2007 einen harten Kurs

Die Beziehungen zwischen dem Norden und dem Süden haben sich seit dem Wahlsieg des südkoreanischen Präsidenten Lee Myung-bak 2007 rapide verschlechtert. Lee lehnte die „Dialogstrategie“ seiner Vorgänger mit dem Argument ab, sie sei zu teuer gewesen und bringe Südkorea keine Vorteile. Daraus resultierte, dass der Süden weniger Hilfsgüter entsandte und die Kontakte zwischen beiden Staaten beschränkt wurden. Auch bezüglich der Atom-Frage und der Menschenrechte verfolgte Lee einen schärferen Kurs. Das mag für Nordkorea zwar bitter sein, doch der Mord an 46 Seeleuten scheint kaum der richtige Weg zu sein, um Seoul zu einem Sinneswandel zu bewegen.

Was kann der nächste Schritt sein? Lee hat „entschiedene Gegenmaßnahmen“ versprochen. Auch andere Staatschefs haben den Norden verurteilt und Sanktionen sind im Gespräch. Aber es ist Umsicht geboten und die Optionen sind begrenzt. Nordkorea ist bereits Sanktionen unterworfen, die eigentlich kaum noch zu verschärfen sind. China verhält sich als wichtigster internationaler Fürsprecher des Nordens, wenn es um die Anwendung der derzeitigen Sanktionen geht, alles andere als entschieden und zögert mit einer Reaktion auf den Cheonan-Bericht.

Trotz schwerwiegender Provokationen haben alle südkoreanischen Regierungen in der Vergangenheit eine militärische Antwort ausgeschlossen. Seoul ist für die nordkoreanische Artillerie ein leicht verwundbares Ziel und es besteht immer das Risiko, dass ein begrenzter Vergeltungsschlag ausartet. Angesichts der Anzeichen, dass Nordkorea sich im Zuge der Krankheit, unter der sein Staatsoberhaupt Kim Jong-il 2008 litt und der damit verbundenen Nachfolgefrage in der Mitte einer Art politischen Umwälzung befindet, ist aktuell vielleicht nicht die beste Zeit, um das Land noch weiter zu schwächen. Die internationale Besorgnis über Nordkoreas Atomprogramm bleibt groß. Am Ende hat man den Verdacht, dass es nach einer Periode der internationalen Effekthascherei kaum eine andere Option geben wird, als erneut den Dialog mit Nordkorea zu suchen und zu hoffen, dass sich sein Verhalten ändert.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Christine Käppeler
Geschrieben von

Jim Hoare | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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