Bitter für Obama

Geiselnahme Der Präsident beugt sich Forderungen der Republikaner, geltende Steuersenkungen für Besserverdienende zu verlängern – sehr zum Leidwesen nicht weniger Parteifreunde

In einer aufreibenden politischen Schlacht, die den Ton für kommende Konflikte mit der durch die Midterm-Wahlen im November bewirkten republikanischen Mehrheit im Kongress vorgibt, hat Barack Obama versucht, eine von Präsident Bush vor sieben Jahren eingeführte und am 31. Dezember auslaufende Steuersenkung für die Mittelschicht weiter aufrechtzuerhalten. Zugleich wollte er die Abgaben für die Spitzenverdiener mit einem Jahreseinkommen über 250.000 Dollar wieder auf das vorherige Niveau anheben. Die Wohlhabenden könnten es sich leisten, mehr zu bezahlen. Der Schritt würde im Laufe der kommenden zehn Jahre Milliarden in die klamme Staatskasse spülen.

Die Führung der Demokraten war dem Irrglauben aufgesessen, die Republikaner würden Steuervergünstigungen für die Reichen nur schwer rechtfertigen können, wenn man sich um die Mittelschicht kümmerte. Das Repräsentantenhaus, das sich noch unter Kontrolle der Demokraten befindet, bis der neue Kongress im Januar vereidigt wird, hatte Obamas Plan in der Vorwoche mit deutlicher Mehrheit abgesegnet. Aber die Republikaner blockierten dann das Gesetz im Senat und erklärten, sie würden es lieber zulassen, dass Steuern für alle steigen, als die Steuersenkungen für die Reichen zurückzunehmen.
Einige Demokraten forderten Obama auf, sich davon nicht erpressen zu lassen, aber der Präsident knickte ein und stimmte zu, die Steuererleichterungen für alle zu verlängern. Im Gegenzug scheint das Weiße Haus eine Verlängerung der Sozialleistungen für Langzeitarbeitslose ausgehandelt zu haben. Seine Priorität, meinte Obama, sei es gewesen, „eine Steuererhöhung für die Mittelschichten zu verhindern“, mit der zu rechnen war, hätte es keinen Konsens gegeben. „Es wird auch im Moment noch ernsthaft verhandelt. Die Republikaner wollen die Steuersenkungen für die Reichen unbefristet weiter bestehen lassen. Ich habe argumentiert, dass wir uns das derzeit nicht leisten können. Aber ich habe auch gesagt, dass wir einen Konsens finden müssen, weil eine Steuererhöhung nicht nur für die arbeitenden Familien aus der Mittelschicht hart wäre, sondern gerade jetzt unsere Wirtschaft belasten würde. Wir mussten sicherstellen, dass wir zu einer Lösung kommen, selbst wenn diese nicht zu 100 Prozent dem entspricht, was ich will oder was die Republikaner wollen.“

In Geiselhaft

Führende Demokraten machten kein Hehl aus ihrer Enttäuschung über das Zurückrudern des Präsidenten. Senator John Kerry, einstiger Präsidentschaftskandidat, warf den Republikanern vor, das Land in Geiselhaft zu halten. „Sie sagten, nein, wir werden diese Geisel nehmen, um den Reichsten eine zusätzliche Steuersenkung zu bescheren“, so Kerry. Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman hatte Obama aufgefordert, den „Steuer-Erpressungen“ der Republikaner nicht nachzugeben. Diese werden den US-Fiskus bis 2020 vier Billionen an Steuereinnahmen kosten. „Wenn die Demokraten jetzt den Erpressern nachgeben, werden sie in Zukunft mit weiteren Forderungen konfrontiert sein. Solange die Republikaner glauben, dass Obama zu allem bereit ist, um kurzfristige Schmerzen abzuwenden, haben sie jeden Anreiz, auch weiter Geiseln zu nehmen. Wenn der Präsident Amerikas finanzielle Zukunft gefährdet, um eine Steuererhöhung zu verhindern, wozu wäre er bereit, um einen völligen Stillstand der Regierungsarbeit zu verhindern?“, schrieb Krugman in der New York Times.

Dem Politologen Larry Sabato von der University of Virginia zufolge, hatte Obama keine andere Wahl, als einen Deal auszuhandeln: „Die Demokraten haben sich grundsätzlich noch nicht darauf eingestellt, dass sie eine herbe Wahlschlappe hinnehmen mussten. Für die Republikaner hat der Erhalt niedrigerer Steuersätze oberste Priorität. Sie haben die zum richtigen Zeitpunkt durchgesetzt – gleich nach der Wahl, mit zwei Jahren Zeit bis zur nächsten.“

Kollateralschäden für Arbeiter

In einer Erklärung des Weißen Hauses versuchte Obama indessen dem amerikanischen Volk zu erklären, was viele in seiner eigenen Partei als beschämenden Rückzieher bezeichnen. Er sagte, er habe mit großem Bedauern einem Kompromiss zugestimmt, um Millionen von Amerikanern, die darum kämpfen, über die Runden zu kommen, eine schmerzliche Anhebung der Steuern zu ersparen. Obama machte keinen Hehl aus seiner Missbilligung der republikanischen Position. Er sagte, er lehne deren Festhalten an den Vergünstigungen für die zwei Prozent der reichsten Amerikaner „auf ganzer Linie ab“. „Ökonomen quer durch das politische Spektrum sind der Auffassung, dass Steuererleichterungen für Millionäre und Milliardäre wenig zum Wachstum unserer Wirtschaft beitragen.“ Aber er habe keine andere Wahl gehabt, als diese bittere Pille zu schlucken – andernfalls hätten zwei Millionen Amerikaner Ende des Monats ihre Arbeitslosenunterstützung verloren und Millionen weitere mit Steuererhöhungen zu kämpfen gehabt. „Ich werde nicht zulassen, dass Arbeiterfamilien in diesem Land zu Kollateralschäden der politischen Kriegsführung hier in Washington werden.“

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Chris McGreal | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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