Buddeln im trüben Rot

Exobiologie Der Roboter Curiosity ist sicher auf dem Mars gelandet - dabei war die Mission ziemlich heikel. Eine kleine Rückschau
Kommt, lasst uns Leben finden! Persönlich wollen die Forscher aber nur im Labor dabei sein. Rechts die Curiosity
Kommt, lasst uns Leben finden! Persönlich wollen die Forscher aber nur im Labor dabei sein. Rechts die Curiosity

Foto: NASA/JPL-CALTECH

Nur noch ein paar Wochen, dann taucht die Fähre mit einer Geschwindigkeit von knapp 21.000 Kilometern pro Stunde in die Atmosphäre des Planeten Mars ein. Binnen sieben Minuten werden ihre Bordcomputer sie gen Boden dirigieren, bis sie 20 Meter über der Oberfläche schwebt, ihre Ladeluke öffnet und einen eine Tonne schweren Roboter an drei Nylonseilen nahe des Marsäquators in den Gale-Krater hinablässt. Die Fähre kappt die Seile, startet ein letztes Mal ihre Triebwerke und hebt ab, um in sicherer Entfernung abzustürzen. Das Robotorfahrzeug Curiosity dagegen beginnt sodann seine Reise – über die Landschaften des roten Planeten.

Die ganze Operation ist ziemlich heikel. Sollte auch nur ein Schritt der siebenminütigen Landesequenz schiefgehen, werden Hardware im Wert von zwei Milliarden Euro und ein Jahrzehnt Forschung in der Marslandschaft pulversiert. Das Curiosity-Team der Nasa nennt diesen Teil der Mission deshalb: die sieben Minuten des Terrors.

Ein Grab für High-Tech-Rover

Für die Wissenschaftler und Ingenieure, die sich am 6. August im Jet Propulsion Laboratory in Pasadena, Kalifornien, versammeln, wird es eine nervenaufreibende Erfahrung, wie auch der britische Astrobiologe Lewis Dartnell vom University College in London unterstreicht. Nicht zuletzt das Image des Mars als Grabstätte für Weltraummissionen macht nervös: Die britische Beagle 2 verschwand 2003 während ihrer Landung, die russische Phobos-Grunt-Mission endete vergangenes Jahr schon im Orbit der Erde. „Weniger als 50 Prozent aller Marsmissionen waren bislang erfolgreich“, resümiert Doug McCuistion. Der Leiter des Nasa-Mars-Erkundungsprogramms ist insbesondere wegen des großen Hitzeschilds nervös, der dem Eintritt der Fähre in die Marsatmosphäre die Wucht nehmen soll. Falls der Schild sich nach diesem ersten Schritt nicht ablöst, stürzt die Fähre ab. Einige Ingenieure sorgen sich um die Raketenstufen, andere darum, dass sich der gewaltige Fallschirm des Marsroboters nicht richtig öffnen könnte.

All diese Ängste sind eine Folge von Curiositys ambitioniertem Design. Nasa-Chef Charles Bolden beschreibt sie als „Science-Fiction, die wahr geworden ist – ein Superbowl der Raumfahrt“. In jedem Fall ist Curiosity ein Goliath unter den extraterrestrischen Rovern. Das Gerät von der Größe eines Kleinwagens überragt alle bisherigen Erkundungsfahrzeuge – der Mars Pathfinder-Rover Sojourner von 1997 zum Beispiel war so groß wie ein Rad von Curiosity. Vor allem aber strotzt der neue Rover vor anspruchsvoller Technik, entwickelt, um organisches Material auf dem Mars zu finden. Die neuartige Laser-induzierte Breakdown-Spektroskopie wird Löcher in Gestein und Sedimente brennen und ihre Zusammensetzung bestimmen. Ein Arm von Curiosity kann bis zu zwei Meter hoch greifen und bis zu 30 Kilogramm Ausrüstung halten, um in Felsen zu bohren und sie zu Staub zu mahlen. Eine Instrumentenanordnung – die Sample Analysis of Mars (SAM) – verfügt über einen Ofen, der die Proben erhitzt, damit Massenspektrometer nach organischem Kohlenstoff fahnden können.

Das Ziel der aufwendigen Instrumentierung ist schlicht: Sie soll ein für allemal beweisen, dass es auf dem Mars Aminosäuren und Zucker gibt, die Bausteine des Lebens. „Falls Curiosity nichts findet, ist das ein Problem“, sagt Dartnell. „Aber wenn doch, ist das ein entscheidender Beweis dafür, dass einst Leben auf dem Mars existierte – und noch immer dort existieren kann, tief unter der Oberfläche.“

Vorige Missionen haben gezeigt, dass der Mars vor dreieinhalb Milliarden Jahren Ozeane besaß. Allerdings verlor der Planet durch einige gravierende geologische Veränderungen sein Magnetfeld. Auf der Erde schützt uns ein solches Feld vor dem Sonnenwind, einem Strom sehr energiereicher Partikel, die von der Sonne ausgestrahlt werden. Als der Mars diesen Schutz verlor, verschwanden seine Atmosphäre und die Ozeane. Knochentrocken, kalt und von aggressiver UV-Strahlung bombardiert, ist der Mars heute ein sehr unwirtlicher Ort.

„Auf der Erde hatten sich vor 3,5 Milliarden Jahren bereits primitive Einzeller entwickelt. Etwas ähnliches könnte auf dem Mars geschehen sein“, sagt Charles Cockell, Astrobiologe von der Edinburgh University. „Nur dass dieses Leben keine Chance hatte, sich durch Evolution so vielfältig zu entwickeln wie das Leben auf der Erde.“

Offen bleibt, ob jemals primitives Leben auf dem Mars entstanden ist und ob es überleben konnte. Curiosity kann nur zeigen, dass der Mars prinzipiell die Bedingungen erfüllt. „Das ist ein Anfang“, sagt Dartnell. „Es wird die Aufgabe künftiger Missionen sein, direkte Anzeichen für Leben auf dem Mars zu finden. Die europäische Rover-Mission ExoMars kann tief in den Boden vordringen, dorthin, wo wir wirklich Zeichen von Leben entdecken könnten.“ Die Mission ist für frühestens 2018 geplant.

Am Ende eine Bergtour

Bis dahin wird Curiosity den Gale-Krater zu Ende erkundet haben. Der Krater wurde unter 50 Kandidaten als Landeplatz ausgewählt, weil man auf Satellitenaufnahmen alte Flussbetten und zerstückelte Terrains entdeckt hatte, die typisch sind für wasserführende Schichten. Wenn Curiosity diese Gebiete untersucht hat, wird der Rover den zentralen Berg im Gale Krater erklimmen. Dessen Gesteinsschichten sollen eine perfekte Chronologie der frühen Mars-Geschichte liefern. Das Wissen über den roten Planeten könnte sich schon während der Mission völlig verändern.

Das alles macht die Landung des Rovers auf dem Mars doch sehr aufregend. Das unterstreicht auch Nasa-Ingenieur Adam Steltzner. „Es dauert nach der Landung noch mal etwa 14 Minuten, bis uns das erste Funksignal der Fähre erreicht. Wenn wir also erfahren, dass Curiosity die Atmosphäre erreicht hat, wird das Fahrzeug schon seit mindestens sieben Minuten auf dem Mars sein. Tot oder lebendig.“

Krokodile in der Kanalisation

„Manche Menschen möchten unbedingt, dass es Leben auf dem Mars gibt. Andere möchten unbedingt, dass es kein Leben auf dem Mars gibt. In beiden Lagern gibt es Exzesse.“

Der US-Astronom Carl Sagan wusste die Suche nach Leben auf dem roten Planeten in seinem legendären Cosmos gut zu beschreiben. Von Beginn an haftete ihr mehr die Sehnsucht nach einem Extrem an als die nüchterne Betrachtung.

Als der Italiener Giovanni Schiaparelli 1877 berichtete, er habe canali (Senken) auf dem Mars gesichtet – und zwar mit bloßem Auge – , wurde falsch übersetzt, und das Gerücht von angelegten Kanalsystemen war in der Welt. Und wo Kanäle waren, musste es intelligentes Leben geben. Ein Mars-Hype schwappte über Europa, und obwohl Teleskope die Beobachtung Schiaparellis widerlegten, waren fortan auch viele Forscher von der Idee besessen, dass es Leben auf dem Mars geben müsse.

Der Sache auf den Grund gehen konnte man erst knapp 100 Jahre später, mit Sonden, die auf dem Planeten abgesetzt und später auch motorisiert auf Rundfahrten über den Mars geschickt wurden – sofern sie überhaupt ankamen. Die ersten drei sowjetischen Missionen schlugen fehl, erst die Viking-Missionen der USA konnten 1976 erfolgreich landen und erbrachten Hinweise auf organische Substanzen und stoffwechselnde Mikroorganismen, die aber wegen Ungereimtheiten bis heute umstritten sind.

Erst die seit 2003 laufende Opportunity-Mission der Nasa fand Belege dafür, dass auf dem Mars flüssiges Wasser existiert haben muss, eine notwendige Voraussetzung für Leben in der uns bekannten Form. Aber keine hinreichende. Und selbst wenn Curiosity in den kommenden Monaten einfache organische Verbindungen auf dem Mars findet, sagt das ehrlicherweise: nichts. Die Chance, dass sich aus solchen Verbindungen komplexe, hochgeordnete Biomoleküle wie unsere entwickeln, ist vernichtend klein. Vielleicht ist das so überhaupt nur einmal im ganzen Universum geschehen – auf der Erde. (Zint)

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Geschrieben von

Robin McKie | The Guardian

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