Coco-Karaoke

Mode Von Karl Lagerfelds feministischer Demo auf dem Laufsteg bis zu John Gallianos Comeback gäbe es eine Menge zu diskutieren. Stattdessen: Business as usual
Ausgabe 42/2014
Neulich im Grand Palais in Paris: die Frühjahr/Sommer-Kollektion 2015 von Chanel
Neulich im Grand Palais in Paris: die Frühjahr/Sommer-Kollektion 2015 von Chanel

Foto: Pascal le Segretain / Getty Images

Was macht Mode relevant? Die Art, wie wir uns kleiden, sagt eine Menge aus. Wenn alle Welt mit einem Mal Schulterpolster attraktiv findet, ausschließlich Schwarz trägt oder eine vergangene Epoche zitiert, dann steht das stellvertretend für kulturelle Veränderungen. Die zeitgenössische Kunst bringt den Zeitgeist vielleicht reflektierter und feingeistiger auf den Punkt, dafür ist die Mode demokratischer: Jeder kann an diesem Diskurs teilhaben.

Nach 14 Jahren als Moderedakteurin des Guardian ist mir sehr bewusst, dass nicht alle diese Ansicht teilen. Viele aber schon: Coco Chanel („Mode hat etwas mit Ideen zu tun, mit der Art, wie wir leben“), Jean Cocteau („Unter Stil verstehe ich die Fähigkeit, komplizierte Dinge einfach zu sagen“) und sogar Shakespeares Polonius („denn es verkündigt oft die Tracht den Mann“).

Im Moment würde aber selbst ich die Modewelt gern an ihrem zweireihigen Céline-Kragen packen und ordentlich schütteln. Sie kann nicht beanspruchen, kulturell relevant zu sein und auf den Laufstegen und mit ihren Entwürfen die Welt da draußen zu spiegeln – und sich dann in ihren Elfenbeinturm zurückziehen. Vergangene Woche wurde bekannt, dass John Galliano Kreativchef von Maison Martin Margiela wird. Die offizielle Ankündigung beschränkte sich darauf, Galliano als „nonkonformistisch“ zu bezeichnen. Ein hübscher Dreh für die hässliche Selbstdemontage des Designers, der vor drei Jahren von Dior gefeuert worden war, weil er in einer Pariser Bar andere Gäste rassistisch und antisemitisch beleidigt hatte.

Erstaunlicher als die Zurückhaltung des Labels Margiela aber war, dass auch der Rest der Branche Scheuklappen anlegte. Fast ausnahmslos schien man den Kontrast zwischen Gallianos Stil und der Geschichte des Hauses Margiela für den kontroversesten Teil der Geschichte zu halten. Was absurd ist. Die Vorstellung, wie Galliano Margielas weiße Betonkuben mit schräg angeschnittenen, blutroten Roben füllt, mag reizvoll sein. Aber so zu tun, als wäre das der wichtigste Aspekt des Comebacks, ist in etwa so realitätsfremd wie Marie Antoinettes Satz: „Dann sollen sie eben Kuchen essen!“ Wenn man ein strittiges Thema ignoriert, verschwindet es nicht einfach – man sieht nur ziemlich alt aus. Genau das kann die Mode sich nicht leisten.

Im Fußball geht’s doch auch

Mode hat idealerweise zu allen Themen etwas zu sagen. Tom Ford eignete sich als Kreativdirektor von Gucci in den 1990ern die Stimmung jenes Jahrzehnts – Sex, Drogen, Hedonismus – an. Alexander McQueen befasste sich in den Nuller Jahren mit düsteren, komplexen Ideen von Weiblichkeit, Angst und Kleidung als Panzerung. Und dann war da die Chanel-Show im März dieses Jahres in Paris. Den Grand Palais säumten Regale mit „Coco Pops“, Handschuhen wie aus der Haushaltsabteilung, nur mit der ikonischen Kamelie gebrandet, und „Eau de Chanel“-Mineralwasser. Es war ein raffiniertes Spektakel mit einer Botschaft über die Macht der Marken, die umso smarter war, weil sie so leicht daherkam. Desto enttäuschender fand ich den Coco-Feminismus der aktuellen Chanel-Show. Es ist nicht uninteressant, eine Verbindung zwischen Coco Chanel und dem Feminismus als Modeerscheinung herzustellen. Man denke an Beyoncés Bühnendeko – „FEMINIST“ in Leuchtbuchstaben – oder Taylor Swift, die auf dem Vogue-Cover erschien, nachdem sie feststellte, dass auch sie Feministin ist. Coco Chanel trug Männerkleider und sagte, sie habe die Frauen von den Korsagen und Polstern befreit und ihnen ein Gefühl von Freiheit vermittelt. Aber was Karl Lagerfeld in Paris zeigte, war Coco-Karaoke, ein Marsch mit halbherzigen Sprechchören. „Was wollen wir?“, rief das Model Cara Delevingne. „Freiheit“, tippten ein paar Models zögerlich. Die anderen kicherten nur. Die Vorkämpferin Emmeline Pankhurst hätte sich im Grab umgedreht.

Wenn die Mode die Dinge zu sehr vereinfacht, steht sie dumm da. Stella McCartney sagte backstage bei der Fashion-Week in Paris, sie thematisiere, wie „Stärke allein bei einer Frau grob wirken könne“, weshalb es ihr mit der aktuellen Kollektion darum gehe, „das Weiche und Zarte an einer Frau zu zelebrieren“. Ihr Kommentar wurde prompt als antifeministisch verurteilt – was den Motiven einer Frau sicher nicht gerecht wird, die erfolgreich ein internationales Modeunternehmen gegründet hat und es nach strengen ethischen Prinzipien führt. Frustrierend war aber auch, dass McCartney sich nicht öffentlich verteidigte, um eine echte Debatte herbeizuführen.

Hätte ich eine Dauerkarte für die Fashion-Saison, so wäre ich kurz davor, sie in Stücke zu reißen – so wie es die Anrufer in der BBC-Fußballsendung 606 androhen, wenn ihr Verein versagt hat. Etwas, woran sie glauben, hat sie im Stich gelassen. Sie würden ihr Ticket nie ernsthaft zerreißen; genauso wenig will ich das. Aber die Analogie ist wichtig. Mich ärgert, dass Männer sich fanatisch für Sport interessieren können, ohne dass ihre Seriosität in Zweifel gezogen wird. Eine Frau aber, die sich für Mode begeistert, wird als oberflächlich abgetan. Vielleicht ändert sich daran etwas, wenn Modejournalisten es Sportjournalisten gleichtun und sich einmischen, wenn ernste Themen auftauchen – seien es Rassismus oder Korruption im Sport oder eben Feminismus und die Arbeitsbedingungen in der Mode.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Jess Cartner-Morley | The Guardian

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