Das Bargeld der Zukunft

Bitcoins Um im Netz anonym Drogen oder Waffen zu kaufen, eignet sich die virtuelle Währung bestens. Jetzt nennen sie sogar schon führende Banker eine Konkurrenz für echtes Geld
Das Bargeld der Zukunft

Foto: Sean Gallup / Getty

Was haben der Vorsitzende der US-Zentralbank, Ben Bernanke, die Bank of England, die olympischen Ruder-Zwillinge und Zuckerberg-Kontrahenten Winklevoss und das US Department of Homeland Security gemeinsam? Sie alle sind mittlerweile der Ansicht, dass man die Online-Währung Bitcoin ernst nehmen sollte.

Experten nannten sie lange „die neue unmittelbare Kryptowährung“ und verdrehten dabei die Augen. Bis vor kurzem galt sie lediglich als eine Art digitales Gold, mit all der dazugehörenden Spekulation: perfekt für den digitalen Wilden Westen, aber ungeeignet für praktische Transaktionen.

Bitcoins werden von Computern „abgebaut“ bzw. generiert, indem diese unheimlich komplizierte mathematische Probleme lösen. Es gibt keine physischen Münzen, diese sind rein virtuell und existieren nur in einer Computerdatei. Die Währung wird von niemandem kontrolliert. Es werden zwar alle mit Bitcoins getätigten Transaktionen aufgezeichnet, nicht aber ihr Verwendungszweck. Bekannt sind lediglich die ID-Nummern der virtuellen “Brieftaschen“ (d.h. Rechner), zwischen denen sie sich bewegen.

Im Augenblick ist es noch ziemlich schwierig, an die Währung ranzukommen und Orte zu finden, an denen man mit ihr bezahlen kann. Zunächst braucht man eine virtuelle Brieftasche, die man im Netz auf Seiten wie Blockchain.info findet. Dann muss man jemanden finden, bei dem man harte Währung gegen Bitcoins eintauschen kann: Man gibt ihm Bargeld und er überweist einem die Bitcoins auf das Konto.

Eine Bitcoin-Zahlungsadresse besteht aus einer kurzen, willkürlichen Buchstabenfolge und wenn man sie vorsichtig benutzt, ist es möglich, die Transaktionen anonym zu halten. So wurde es zur bevorzugten Währung für Seiten wie Silk Road und Black Market Reloaded, auf denen man anonym Drogen im Netz kaufen kann. Auch die Besteuerung von Steuertransaktionen wird durch Bitcoin erheblich erschwert, obwohl manche Länder sich sehr darum bemühen, diese Lücke zu stopfen. Deutschland beispielsweise hat erst im August erklärt, bei Bitcoin handle es sich um „privates Geld“ und mit ihm getätigte Transaktionen müssten ganz normal versteuert werden.

Bitcoin hat nicht alle Vorteile von Bargeld. Doch der Umstand, dass sie nicht gefälscht werden können, stellt ein echtes Plus dar. Bitcoin funktioniert unmittelbar und jede „Münze“, die ausgegeben wird, wird mit dem Netzwerk authentifiziert. Man kann dieselbe Münze so nicht an zwei verschiedenen Stellen ausgeben. (Ohne einen Internetanschluss kann man sie allerdings überhaupt nicht ausgeben.) Man braucht keine ganzen Bitcoins auszugeben: Jeder kann in 100 Millionen Teile (Satoshi) aufgeteilt und separat ausgegeben werden.

Obwohl mittlerweile die meisten schon einmal etwas von Bitcoin gehört und eine vage Vorstellung haben, um was es sich handelt, findet man außerhalb der Technik-Community kaum jemanden, der sich wirklich mit den Einzelheiten auskennt, geschweige denn sie als Zahlungsmittel akzeptiert. Niemand weiß, wer sie erfunden hat. Ihr pseudonymer Erfinder, Satoshi Nakamoto, hat sich noch nicht geoutet. Es ist noch nicht einmal bekannt, ob er oder sie wirklich aus Japan kommt. Nur soviel ist sicher: Er versteht eine Menge von Verschlüsselung, Wirtschaft und Programmieren.

2008 wurde die Währung zum ersten Mal in einem wissenschaftlichen Paper zusammen mit einer Verschlüsselungsmailingliste vorgestellt. Sie erregte Aufmerksamkeit, brauchte aber Jahre, bis sie als Nischen-Transaktionsinstrument in die Gänge kam. Der erste Auf- und Wiederaufschwung-Zyklus kam 2011. Es zeigte sich, dass mittlerweile genügend Leute aufmerksam geworden waren und nun echtes Geld mit im Spiel war.

Der Algorithmus für die Prägung von Bitcoins sorgt dafür, dass die in Umlauf befindliche Menge nie die Zahl von 21 Millionen übersteigen wird. Diese Grenze dürfte ungefähr im Jahr 2140 erreicht werden. Fast 57 Prozent aller Bitcoins wurden bereits generiert. 2017 werden es 75 Prozent sein. Wenn im Jahr 2141 jemand versucht, weitere Bitcoins herzustellen, würde jeder andere Computer des Netzwerkes diese als Fälschungen zurückweisen, weil sie nicht nach den der Währung immanenten Regeln hergestellt worden wären.

Die Zahl der Unternehmen, die Bitcoins akzeptieren, nimmt von einem geringen Niveau aus zu und ein paar Dienstleister, die den Kunden die Umrechnung abnehmen, wie beispielsweise das in Atlanta angesiedelte Bitpay, machen mit der Währung echtes Geld. Es ist allerdings schwer, die genauen Zahlen über konventionelle Transaktionen zu erhalten und es scheint nach wie vor so, dass Bitcoin am häufigsten immer noch dafür genutzt wird, in den dunkleren Teilen des Netzes Drogen zu kaufen oder in der Hoffnung erworben wird, später mit Gewinn wieder abgestoßen werden zu können.

Das ist deshalb bemerkenswert, weil es eigentlich keinen Grund gibt, warum Bitcoins überhaupt einen Wert haben sollten. Der einzige Grund, warum Menschen bereit sind, Geld für die Währung zu bezahlen, besteht darin, dass andere dies ebenfalls tun. Dennoch äußern heute auch verständige Ökonomen die Ansicht, dass sie in Zukunft Teil unserer Ökonomie wird. Das ist eine ziemliche Kehrtwende verglichen mit vergangenem Oktober, als die Europäische Zentralbank erklärte, bei Bitcoin handle es sich um einen „typischen Fall von Schneeballsystem“. Diesen Monat kommentierte die Federal Reserve in Chicago dagegen, bei der Währung handle es sich um eine „bemerkenswerte konzeptuelle Errungenschaft, die durchaus von existierenden Finanzinstituten (die ihre eigenen Bitcoins herausgeben könnten) oder Regierungen selbst genutzt werden könnte.

Das mag jetzt nicht besonders mitreißend klingen, aber für einen Zentralbanker ist das in etwa, wie wenn er sich auf das Dach stellen und laut „BITCOIIINNNN!“ schreien würde. Und Bernanke schrieb in einem Brief an den Ausschuss zur Heimatsicherheit des US Senats, die Zentralbank habe in Bezug auf virtuelle Währungen (sprich: Bitcoins) „Initiativen ergriffen“, um „zusätzliche Bereiche zu identifizieren, die zu beachten sind und der erhöhten Aufmerksamkeit seitens der Banken bedürfen, die wir beraten“.

Mit anderen Worten: Bernanke ist bereit, Bitcoin mit in die Währungsregulierung der USA aufzunehmen – ein entscheidender Schritt hin zur Legitimität. Die meisten Berichte über Bitcoin handelten bislang von dem außergewöhnlichen Preisanstieg – von einem Dollar im Jahr 2011 auf 900 Dollar zu Beginn dieses Monats.

Dieses drastische Wachstum hatte einen klassischen spekulativen Ansturm zur Folge. Immer mehr Leute erhofften sich, durch den Kauf und Verkauf von Bitcoins ein Stück des Kuchens für sich abzweigen zu können. Andere investieren tausende von Pfund in Computer, die eigens dazu entwickelt wurden, um die für die Durchführung von Bitcoin-Transaktionen notwendigen mathematischen Probleme zu lösen.

Doch Blasen können platzen: 2011 fiel der Wert eines Bitcoin von 33 auf einen Dollar zurück. Am Tag, nachdem sie den Höchstwert von 900 Dollar erreicht hatten, waren Bitcoins bei der größten Tauschbörse MtGox auf einmal nur noch die Hälfte wert. Dann stiegen sie wieder. Spekulative Blasen gibt es überall, an den Aktienmärkten genauso wie bei Stofftieren für Kinder.

Die Geschichte kann uns das eine oder andere lehren. Während die Niederländer einzelne Tulpenzwiebeln für das zehnfache Jahreseinkommen eines Handwerkers verkauften, gerieten die Briten über ihre eigene Währung in Panik. Die Silbermünzen, die jahrhundertelang die Grundlage der nationalen Wirtschaft gewesen war, erwiesen sich schnell als nicht mehr zweckmäßig: Ihre Menge war begrenzt sie waren zu leicht zu fälschen. Die Währung konnte mit der Entwicklung hin zu einer kapitalistischen Marktwirtschaft nicht mithalten.

Der Finanzberater David Birch, der sich auf elektronische Transaktionen spezialisiert hat, beschreibt das Problem, mit dem sich Britannien damals konfrontiert sah, wie folgt: „Wir hatten ein Problem, das herrschende Wirtschaftssystem mit der Währung, die wir verwendeten, in Einklang zu bringen.“ Birch ist überzeugt, dass wir uns heute vor einem ähnlichen Umbruch befinden wie vor 400 Jahren.

Dieser Umbruch hat seine Ursache im Internet: Selbst wenn Sie wollten, könnten Sie online kein Bargeld verwenden, das nicht zurückverfolgbar und gebührenfrei ist. Existierende Zahlsysteme wie PayPal und Kreditkarten erheben Gebühren. Wer also nach einer digitalen Entsprechung zu Bargeld sucht – keine Mittelsmänner, schnell und einfach – für den scheinen Bitcoins recht gut geeignet.

Als die Menschen 1613 nach einem Ersatz für Silber suchten, dachten sie vielleicht auch, Tulpenzwiebeln seien eine gute Idee, aber dieser Unsinn mit der Zentralbank werde nie funktionieren. Es war klar, dass man etwas verändern musste. Nur: Was ergab am meisten Sinn?“ Damals wurde die Währungskrise zuerst durch die Einführung von Isaac Newtons Royal Mint („offiziellem“ Silber und Gold) und später durch die Einrichtung der Bank of England gelöst („offizielles“ Papiergeld, dass theoretisch gegen offizielles Silber und Gold eingetauscht werden konnte).

Und jetzt? Bitcoin bietet eine noch nie dagewesene Flexibilität, verglichen mit dem, was es vorher gab. „In den Neunziger haben manche gefragt: 'Warum brauchen wir das Netz, wo wir doch AOL und CompuServe haben?'“ sagt Mike Hearn, der an den Programmen arbeitet, die Bitcoin unterstützen. „Jetzt fragen die Leute das gleiche in Bezug auf Bitcoin. Das Netz wurde dominant, weil es flexibel und offen war. Jeder konnte mitmachen und interessante Dinge wie YouTube, Facebook oder Wikipedia entwickeln. Nichts davon hätte jemals auf der AOL-Plattform stattfinden können. Ich denke, dasselbe wird auf Bitcoin zutreffen.“

Für eine kleine (aber stimmgewaltige) Gruppe in den USA stellt Bitcoin die nächstbeste Alternative zum Goldstandard dar – der aus dem 19. Jahrhundert stammenden Vorstellung, dass Geld eher durch wertvolle Metalle als die Druckerpressen und Versprechen von Regierungen gestützt werden sollten. Die Liebe zu „hartem Geld“ ist Bitcoin selbst eingeschrieben. Und der Grund, weshalb diejenigen, die Computer die Algorithmen erstellen ließen, nach denen die Währung funktioniert, „Bergarbeiter“ genannt werden, ist, dass die Menge an Bitcoins begrenzt ist.

Einige der Hürden, die einer breiten Anwendung von Bitcoin noch im Wege stehen, können überwunden werden. Doch solange Bitcoin noch kein ausgewachsenes Bankensystem entwickelt, werden einige Dinge, die wir bei konventionellem Geld voraussetzen, nicht funktionieren.

Andere Schwierigkeiten sind der Währung immanent. Irgendwann Anfang des 22. Jahrhunderts wird die letzte Bitcoin generiert werden. Und schon lange davor wird die Generierung neuer Münzen nahezu gegen Null gehen. In den kommenden hundert Jahren wird die Währung einem Weg folgen, den „Nakomoto“ 2009 vorgezeichnet hat – ein Weg, der die unter modernen Ökonomen gängige Meinung zurückweist, die Verwaltung durch eine Zentralbank biete mehr Vor- als Nachteile. Für einige bedeutet das, dass Bitcoin niemals allgegenwärtig werden kann. „Volkswirtschaften funktionieren besser, wenn sie über eine geregelte Geldpolitik verfügen“, sagte der Chefkassierer der Bank of England, Chris Salmon, vor kurzem bei einer Veranstaltung, auf der über Bitcoin diskutiert wurde. „Es wird daher nie mehr als eine Alternative zu staatlich-gestütztem Geld sein.“ Makroökonomen schreckt Bitcoin nicht deshalb, weil es Verbrechen ermöglicht oder Steuerbetrug erleichtert. Sie fürchten die Währung, weil in einer Welt, in der sie für alle Transaktionen verwendet wird, es keine Möglichkeit mehr für eine Zentralbank gibt, die Wirtschaft zu lenken.

Bitcoin-Entwickler Hearn bereitet das hingegen keine Kopfschmerzen. „Bitcoins Geldpolitik wäre nur von Belang, wenn eine gesamte Volkswirtschaft die Währung übernehmen würde. Das wird so schnell nicht der Fall sein.“

Es gibt auch bereits schon Alternativen: Litecoin beschleunigt die Abwicklung der Transaktionen und Freicoin hat Vorkehrungen dagegen getroffen, dass die Leute ihr Geld nicht horten. Beiden liegt jedoch im Grund die gleiche Technologie zugrunde wie dem Original. Es gibt auch nichts, was einen Nationalstaat davon abhalten könnte, seine eigene Version von Bitcoin zum legalen Zahlungsmittel zu erklären.

Also selbst wenn die Währung der Zukunft Bitcoin ähneln sollte, so könnte es doch eher ein weit entfernter Nachfahre des Pioniers sein. „Ist die Bitcoin-Technologie ein Fenster in die Zukunft“, fragt Birch. „Ja. Ist Bitcoin selbst eines? Nein.“

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Alex Hern | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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