Die rechten Kritiker des umstrittenen Filmemachers Michael Moore haben viele Namen für ihn: Sozialist, Heuchler, vaterlandsloser Geselle – selbst unfreundliche Bemerkungen über sein Gewicht lassen sie nicht aus. Mit seinem neuen antikapitalistischen Film, der diese Woche auch in den bundesdeutschen Kinos anläuft, spielt Moore einen unerwarteten Trumpf gegen seine lautstarken Gegner aus: den christlichen Glauben. Moore ist praktizierender Katholik und hat die Religion ins Zentrum seines neuen Films Kapitalismus – eine Liebesgeschichte gestellt. Neben den politischen Argumenten (soziale Ungleichheit, Korruption an der Wall Street, das Versagen George W. Bushs) argumentiert Moore auch mit der grundsätzlichen Unvereinbarkeit von Kapitalismus und Christentum.
In d
von Kapitalismus und Christentum.In dem Film interviewt er mehrere katholische Priester und lässt diese erklären, warum die freie Marktwirtschaft mit ihrer Betonung von Habgier und egoistischem Handeln gegen die Glaubensgrundsätze der Bibel verstoße. Einer der Priester, Dick Preston, sagt Moore: „Der Kapitalismus ist böse, unmoralisch und widerspricht den Lehren Jesu Christi.“ Moore spricht auch über seine eigene katholische Erziehung und ergänzt dies durch eine Parodie, in der Szenen aus einer Verfilmung des Leben Jesu in Komik erzeugender Unangemessenheit mit Slogans des freien Marktes zusammengestellt werden. Dies hat offenbar viele rechte Amerikaner auf die Palme gebracht, die sich daran gewöhnt haben, Moore als Flagschiff des linken Säkularismus zu beschimpfen. Vor kurzem wurde Moore auf dem rechten Privatsender Fox News von Talkmaster Sean Hannity interviewt.Moore überraschte Hannity mit der Aussage, er betrachte sich in erster Linie als Christ, nicht als Sozialist. Dann drehte Moore den Spieß um und fragte Hannity, wann dieser denn zum letzten Mal eine Kirche von innen gesehen habe und was denn das Thema der Predigt gewesen sei. Hannity behauptete zwar, regelmäßig der heiligen Messe beizuwohnen und dies auch am erst zwei Tage zurückliegenden Sonntag getan zu haben, musste aber die Antwort auf die Frage nach dem Thema der Predigt schuldig bleiben – die liberale Blogosphäre war begeistert. Viele wundern sich allerdings über das Erstaunen über Moores Gospel-Radikalismus. Denn obschon die jüngere amerikanische Geschichte auf den ersten Blick vom Aufstieg des evangelikalen Konservatismus und dessen starkem Einfluss auf die Republikaner gekennzeichnet war, so gibt es doch gleichzeitig eine Tradition vor allem katholischer linker Priester. „Amerikanische Katholiken haben sich schon immer sehr für Arbeits- und Gewerkschaftsthemen interessiert. Die katholische Lehre hat mit dem Laissez-faire-Kapitalismus nur wenig gemein,“ sagt Professor David O`Brien, ein Glaubens- und Kulturexperte an der Universität von Dayton in Kalifornien.Michael ist ein großer PredigerKardinal James Gibbons war ein berühmter Fürsprecher der Rechte von Gewerkschaften im frühen 20. Jahrhundert. Die Brüder und radikalen Priester Daniel und Philip Berrigan lehnten den Vietnam-Krieg ab. Die schwarze Bürgerrechtsbewegung wurde von dem Geistlichen Martin Luther King angeführt. Auch Reverend James Gibbons scheint in dieser Tradition zu stehen. Er kennt die Moores schon seit langem, hat den Trauungsgottesdienst von Michaels Schwester geleitet und es war ihm ein Vergnügen, in der Dokumentation aufzutreten. Er lebt in Michigan und hat den Niedergang der dortigen Industrie und die damit verbundene Arbeitslosigkeit mit ansehen müssen – eine Entwicklung, die oft als Motivation für Moore anklingt. Dougherty sagte dem Observer, er habe keinerlei Skrupel gehabt, den Kapitalismus mit religiösen Argumenten anzugehen: „Es hat schon immer Menschen gegeben, die eine auf Habgier beruhende Gesellschaft in Frage stellten. Denn das ist der Kapitalismus. Er gründet auf der Habsucht, etwas durch und durch Bösem."Moores Verwendung religiöser Argumente in Kapitalismus – eine Liebesgeschichte bezieht sich auch auf breitere Themen , die dort auftauchen, wo die amerikanische Politik und das Christentum einander berühren. Auch wenn in den vergangenen Jahrzehnten die religiösen Debatten über Abtreibung und andere gesellschaftspolitische Fragen scheinbar im Vordergrund standen, scheinen diese Kulturkriege ein wenig abgeflaut zu sein. Unter den Evangelikalen ist eine starke Umweltbewegung entstanden, die ökologische Fragen im Lichte religiöser Argumente bezüglich der Bewahrung der göttlichen Schöpfung diskutiert. Einige Kirchen und religiöse Figuren nehmen mittlerweile eine liberale Haltung zur Homoehe ein. Während der Feier zur Amtseinführung Barack Obamas hielt der offen homosexuelle Bischof Gene Robinson eine Rede, während der führende Evangelikale Pastor Rick Warren die Fürbitten hielt. Obwohl ein Konservativer, hat er bei Themen wie Armut, Umwelt und Ungleichheit eine Führungsrolle eingenommen. Genaue Beobachter Moores können über seinen Verweis auf das Christentums eigentlich nicht verwundert sein. Denn schon seit langem bekennt er sich zu seinem Glauben und seiner Bewunderung für die liberale Tradition des politischen Engagements in der katholischen Kirche. Als Kind habe er mit dem Gedanken gespielt, ein Priesterseminar zu besuchen und Pfarrer zu werden, weil ihn die ihn unterrichtenden Ordensschwestern so sehr beeindruckt hätten. Dougherty, der Moores Filme liebt, glaubt sogar, dieser habe seine wahre Bestimmung verfehlt. „Michael ist ein großer Prediger“, sagt er.