Patron Palushang beugt sich über die halb fertige Gitarre auf seinem Arbeitstisch und prüft den Korpus. Hinter dem 36-Jährigen wiegen sich drei weitere Instrumente sanft im Luftzug. An der Wand hängt ein Blatt Papier mit seinem Geschäftsmotto: „Wir geben totem Holz neues Leben.“
„Die Gitarren, die ich heute baue, sind schöner als früher in der Heimat“, sagt Palushang. Schon als Kind hat er musiziert, in der Schule lernte er tischlern, danach ist er in Bukavu, im Osten der Demokratischen Republik Kongo, bei einem Gitarrenbauer in die Lehre gegangen. Doch perfektioniert hat er sein Handwerk hier, im Flüchtlingscamp Dzaleka in Malawi. Seine Werkstatt befindet sich im Hof der Lehmziegelhütte, in der Palushang seit neun Jahren lebt.
Dzaleka liegt 45 Kilometer nördlich der Hauptstadt Lilongwe. Das Lager ist keine provisorische Zeltstadt, es besteht seit 1994. Damals machte die Regierung aus einem alten Gefängnis eine Unterkunft für Menschen, die vor dem Genozid in Ruanda flohen. Dass daraus ein dauerhaftes Camp wurde, hat gleichermaßen mit den anhaltenden Krisen in der Region zu tun wie mit den örtlichen Gesetzen, die die Bewegungsfreiheit von Flüchtlingen einschränken.
Rund 25.000 Geflüchtete leben heute in Dzaleka, die meisten stammen aus dem Kongo, Ruanda und Burundi, manche auch aus Äthiopien und Somalia. Keines dieser Länder grenzt an Malawi – und nur wenige der Flüchtlinge haben vor, in ihre Heimat zurückzukehren.
Fernstudium am College
„Soldaten und Rebellen kamen in die Häuser und töteten die Leute“, so erklärt Palushang, warum er 2007 über 2.000 Kilometer streckenweise zu Fuß zurücklegte, um hierher zu gelangen. In Dzaleka gibt es Restaurants, Fleischereien, Friseure und Läden, in denen man von Baseballmützen bis Küchenraspeln alles kaufen kann. Hilfsorganisationen bieten eine soziale Grundversorgung an. Es gibt Schulen und sogar die Möglichkeit zum Fernstudium an US-amerikanischen Colleges. Einmal wöchentlich trifft sich der Salsaclub zum Tanz.
Auch Malawier nutzen den Gesundheitsdienst des Lagers oder schicken ihre Kinder hier zur Schule. Flüchtlinge, die das Gelände ohne Erlaubnis verlassen, riskieren eine Verhaftung. In der UN-Flüchtlingskonvention sind die Pflichten der Unterzeichnerstaaten genau festgelegt. Malawi unterschrieb das Regelwerk jedoch nur „mit Einschränkungen“ und behielt sich vor, zu bestimmen, wo die Flüchtlinge leben und wohin sie sich bewegen dürfen. Bewohner von Dzaleka können nicht außerhalb des Camps arbeiten oder zur Schule gehen.
Umso abhängiger sind die Menschen im Lager von den Essenszuteilungen, die in letzter Zeit verringert wurden. „Es ist sehr hart für uns“, sagt Palushang. Nach wie vor sei Dzaleka „wie ein Gefängnis“. Timothy Mtambo, Leiter einer malawischen NGO, kritisiert die Folgen der rigiden Gesetze: „Die Geflüchteten kommen nicht mit leeren Händen, viele sind gut ausgebildet, auch Ärzte und Lehrer sind unter ihnen.“ Die in Dzaleka versammelten Kompetenzen könnten ein Segen sein für Malawi, das zu den ärmsten Ländern der Region zählt. Einstweilen bleibt den Flüchtlingen nur die Hoffnung auf eines der raren Angebote zur Neuansiedlung in einem Drittland oder ein Stipendium für ein Auslandsstudium.
Gitarren für Schweden
Nach einem Jahrzehnt im Camp hat die 34-jährige Zamda, die ebenfalls aus dem Kongo floh, nun erfahren, dass sie in die USA auswandern darf. „Vor allem wegen meiner Kinder bin ich glücklich“, sagt sie. „Das Leben im Lager ist ein Leben ohne Zukunft.“ Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfwerks (UNHCR) wurden zwischen Januar 2015 und April 2016 nicht einmal 900 Geflüchtete aus Dzaleka in Nordamerika und Europa aufgenommen. Tausende von Kindern sind in dem Lager geboren worden, mehr als die Hälfte der Bewohner ist jünger als 18. „Ich weiß nicht, wie ich meinen Kindern helfen kann“, sagt die 52-jährige Katherine aus Burundi, die schon seit über 20 Jahren in Flüchtlingslagern lebt. „Selbst wenn wir die Schule fertig machen, sagen sie, wo sollen wir dann hin?“
Enid Ochieng, die in der Hauptstadt als Beamtin für das UNHCR tätig ist, betont, dass es den Flüchtlingen freistehe, innerhalb des Lagers Geschäfte zu eröffnen: „Wir unterstützen sie dabei, sich in den Camps ihren Lebensunterhalt zu verdienen.“ Hilfsorganisationen, sagt Ochieng, böten zum Beispiel Kurse in Tischlerei und in IT an. Allerdings sei nicht jeder in der Lage, ein Geschäft zu gründen, und die Fördermittel seien zu knapp bemessen.
Als Palushang in Dzaleka ankam, hatte er nichts bei sich als eine Bibel und seine Gitarre. Heute wird seine Arbeit immer gefragter. Jahrelang verkaufte er die Gitarren, die er baute, an Kirchen und an malawische Musiker, inzwischen versendet er sie an Kunden in aller Welt. „Gestern habe ich eine nach Schweden geschickt“, sagt er. „Diese hier braucht noch eine Schicht Lack, aber nächste Woche geht sie in die USA.“
Weltweit leben Millionen Menschen in dauerhaften Flüchtlingssituationen,das heißt, sie sind seit fünf Jahren oder länger ohne feste Heimat. 2014 bürgerte Tansania mehr als 160.000 Flüchtlinge aus Burundi ein, die zum Teil seit 1972 in Lagern im Westen des Landes gelebt hatten. Das größte Lager, Dadaab in Kenia, wo Hunderttausende Geflüchtete vor allem aus Somalia ausharren, soll bald geschlossen werden.
„Wir wussten nicht, wo wir landen würden“, sagt Chantelle, die kürzlich mit ihren acht Kindern aus dem Kongo in Dzaleka eingetroffen ist. Die 47-Jährige sitzt auf dem Betonboden der Sammelunterkunft, in der Neuankömmlinge darauf warten, dass ihnen eine Parzelle zum Hüttenbau zugewiesen wird. Geflohen seien sie, nachdem einer ihrer Söhne bei der Feldarbeit von Mai-Mai-Rebellen getötet worden sei: „Es ging nur darum, weit weg zu sein von unserem Land.“
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