Das geringere Übel

Netzpolitik Obama hat fast keines seiner Versprechen in Bezug auf Bürgerrechte im und außerhalb des Netzes gehalten. Mit Romney könnte es allerdings noch schlimmer kommen
Mit seiner Netzpolitik macht sich Obama nicht nur Freunde
Mit seiner Netzpolitik macht sich Obama nicht nur Freunde

Foto: Mario Tama/Getty Images

Präsident Obama leitet eine der intransparentesten Administrationen, die es in der Geschichte der USA je gegeben hat. Sein Engagement für die Presse- und Redefreiheit im digitalen Zeitalter ist – gelinde gesagt – begrenzt. Verglichen mit den Vorstellungen und der Bilanz Mitt Romneys wirkt Obama allerdings immer noch wie der Inbegriff der Offenheit.

Fangen wir mit Obama an, der auf diesem Gebiet nur knapp an der Beurteilung „miserabel“ vorbeischrammt. Er kann allerdings auch etwas auf der Habenseite verbuchen: Seine "Open Government Initiative" war der in der Bush-Ära quasi vorprogrammierten Geheimhaltung diametral entgegengesetzt. Auch wenn sie bei Weitem nicht das Versprechen Obamas von 2009 eingelöst hat, „ein nie dagewesenes Maß an Offenheit in die Regierungsarbeit einzuführen“, so sind heute doch immerhin mehr Daten öffentlich zugänglich als früher. Diese Daten wurden von allen möglichen Leuten und Organisationen auf die verschiedenste Art und Weise genutzt, um die US-amerikanische Gesellschaft und ihre Regierung zu beleuchten.

Die Sunlight Foundation, die sich für den öffentlichen Zugang zu Daten einsetzt, hat deutlich gemacht, wie viele Behörden die Anweisungen des Weißen Hauses in den Wind geschlagen haben, ohne dafür in irgendeiner Weise belangt zu werden. Was andere Bereiche der Geheimhaltung angeht, so unterscheiden Obama und seine Leute sich nicht wesentlich von Bush, wie bei Glenn Greenwald nachzulesen ist. Das Weiße Haus und seine Behörden haben das Recht, selbst die grundlegendsten Informationen darüber zurückzuhalten, was sie in unserem Namen mit unserem Geld unternehmen, sogar noch weitgehender interpretiert. Zwei Beispiele unter vielen: Amerikanische Drohnen, die in einer ganzen Reihe von nicht ausgewiesenen Kriegsgebieten Menschen töten, existieren offiziell überhaupt nicht. Und Obamas Justizministerium hat die atemberaubende orwellsche Begründung vorgebracht, die Öffentlichkeit könne nicht gegen die illegale und immer stärker um sich greifende elektronische Überwachung durch die Regierung klagen, weil es sich hierbei um ein Staatsgeheimnis handele.

Bestimmungen voller Schlupflöcher

Wenn Rede- und Pressefreiheit sie unter Druck setzen, ist es bei der Regierung Obama mit dem Schutz der beiden nicht weit her. Der Logik zufolge, mit der sie ihr – öffentliches wie insgeheimes – Vorgehen gegen WikiLeaks begründet, könnte sie gegen jedes größere Medienunternehmen vorgehen, das bis dato geheime bzw. nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Information annimmt und veröffentlicht. Die Regierung Obama hat mehr Informanten oder Whisleblower verfolgt als alle ihre Vorgängerinnen zusammen und im Zuge dessen auch Journalisten ausspioniert.

Im digitalen Zeitalter geht es bei der Redefreiheit um Datennetzwerke. Auch hier ist die Bilanz des Amtsinhabers bestenfalls durchwachsen. Auch wenn es um Netzfreiheit und ihren Schutz vor den Interessen der Telekommunikationsindustrie, Hollywoods oder irgend eines anderen geht, hat das Weiße Haus schöne Reden geschwungen, aber in nahezu keinem Fall von Bedeutung auch nach diesen Worten gehandelt.

Die Federal Communications Commission (FCC), hat mit einer demokratischen Mehrheit Regeln zur Förderung der Netzneutralität verabschiedet. Dabei geht es darum, dass das Breitband-Duopol von Leitungs- und Telekommunikationsunternehmen nicht dazu genutzt werden darf, einer Art von Datenverkehr den Vorzug gegenüber einer anderen zu geben und. Doch die Regeln für die immer stärker zunehmende mobile Internetnutzung, die die FCC aufgestellt hat, erlaubt den Betreibern die recht willkürliche Manipulation und Beschränkung des Traffic. Die Bestimmungen für Festnetzverbindungen sind voller Schlupflöcher.

Gebrochene Versprechen

Unterdessen hat die Regierung Obama das „Copyright-Kartell“ fast immer in seinem Bestreben unterstützt, das Netz zu kontrollieren. Nur eine bemerkenswerte Ausnahme gibt es: die zwar späte, aber dennoch zu begrüßende Weigerung der Regierung, das Anti-Piraterie-Gesetz Sopa (Stop Online Privacy Act) zu unterstützen. Dennoch hat sie wiederholt in einer Weise agiert, die die freie Rede im Netz bedroht. Sie hat sich sogar des Diebstahls schuldig gemacht – das ist das richtige Wort dafür – nämlich des Diebstahls all jener Domains, die sie vom Netz genommen hat, nachdem die Inhaber „intellektuellen Eigentums“ sich beschwert haben, ohne dass die Beschuldigten sich dazu äußern konnten.

In einem Fall handelte es sich um ein Hiphop-Blog, das seine Domain ein Jahr, nachdem die Regierung sie gestohlen hatte, wieder zurückbekam, ohne dass auch nur eine Entschuldigung geheuchelt wurde. Und in vielen Fällen hat die Regierung als Hauptautorin geheime Vertragsverhandlungen unterstützt, die durch die Hintertür zu Sopa-ähnlichen oder noch schlimmeren Gesetzen geführt haben.

Gleichzeitig hat das Justizministerium Obamas wiederholt deutlich gemacht, dass es gerne noch mehr Befugnisse zur Überwachung hätte. Jede Regierung tut das, ganz egal, wer ihr vorsteht – nur dass Obama einmal behauptet hat, ihm würden die Bürgerrechte am Herzen liegen – um dann (mit Ausnahme der Homosexuellen-Rechte) so ziemlich jedes Versprechen zu brechen, das mit diesen zu tun hat.

In jeder Hinsicht schlimmer

Das alles – und es ist noch lange nicht alles – müsste bei allen, denen an einer transparenten Politik, an Redefreiheit und einem offenen Netz gelegen ist, eigentlich den sehnlichsten Wunsch nach einem besseren Kandidaten befeuern. Doch leider ist der andere Kandidat, der eine Chance hat, gewählt zu werden, in diesem Jahr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in jeder Hinsicht noch schlimmer.

Romneys Vorliebe für Geheimhaltung geht über seine Weigerung, seine privaten Finanzen offenzulegen, hinaus – womit er den Wählerinnen und Wählern die Möglichkeit nimmt, zu beurteilen, wie der Mann, der behauptet, seine Bilanz als Geschäftsmann würde ihn zu einem guten Präsidenten machen, wirklich mit seinem Geld umgegangen ist. Er und seine Mitarbeiter verbargen oder beseitigten alle Dokumente, die erhellendes über seine beiden anderen beruflichen Errungenschaften liefern würden: die Organisation der Olympischen Spiele in Utah und seine Zeit als Gouverneur von Massachusetts.

Romney ist gegen Netzneutralität – und für ein Internet, das von Großunternehmen in ihrem Sinne kontrolliert werden kann. Seine Partei will einen Krieg gegen die Pornografie führen, selbst wenn es sich dabei um einen Stellvertreterkrieg gegen die Redefreiheit an sich handelt. Mit Ausnahme des Rechts, zuhause ein Waffenlager anzulegen, steht er den Bürgerrechten sogar noch feindseliger gegenüber als Obama – und das will etwas heißen.

Ich hätte mir gewünscht, die Presse hätte diesen Fragen in den vergangenen Jahren oder zumindest im Wahlkampf mehr Aufmerksamkeit beigemessen. Doch in einer Zeit, in der Journalisten noch nicht einmal mehr so tun, als machten sie ihre Arbeit, ist das ein hoffnungsloses Unterfangen.

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Dan Gillmor | The Guardian

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