Der Irak-Krieg ist zu Ende. Unter den Meldungen aus Libyen ist die Erklärung Barack Obamas am 21. Oktober fast untergegangen. Er sagte, alle US-Truppen würden bis zum 31. Dezember das Land verlassen. Der Präsident tat so, als ob nichts wäre, und verkaufte den Abzug einfach als Erfüllung eines Wahlkampfversprechens. Dabei hat er in Wahrheit die Bemühungen des Verteidigungsministeriums unterstützt, mit dem irakischen Premier al-Maliki zu einer Einigung zu kommen, nach der noch ein paar Tausend Soldaten im Land bleiben sollten.
Die Gespräche scheiterten, weil die Parlamentsabgeordneten des schiitischen Predigers Moqtada al-Sadrs, aber auch andere irakische Nationalisten darauf bestanden, die US-Soldaten irakischer Rechtsprechung zu unterwerfen. Doch bestehen die USA in allen Ländern, in denen ihre Soldaten stationiert sind, auf deren juristischer Immunität. Sie lehnen es kategorisch ab, dass eigene Staatsbürger vor ausländische Gerichte gestellt werden. Im Irak ist dieses Thema besonders heikel, seitdem US-Militärs zahlreiche irakische Zivilisten ermordet haben oder im Gefängnis von Abu Ghraib Gefangene sexuell erniedrigten. In allen Fällen, in denen die Täter vor US-Gerichte gestellt wurden, kam es zu Freisprüchen oder relativ kurzen Haftstrafen.
Jedenfalls bedeutet der endgültige und vollständige Abzug, dass damit die Niederlage für George Bushs Irak-Projekt endgültig besiegelt ist. Der Masterplan der Neokonservativen, das Land ab 2003 mittels Invasion in eine pro-westliche Demokratie und eine Garnison für US-Truppen zu verwandeln, von der aus man Druck auf Iran und Syrien ausüben kann, ist komplett gescheitert. Die Hoffnungen, aus dem Irak einen demokratischen Modell-Staat im Nahen Osten zu machen, haben sich ebenfalls zerschlagen. Die aus sich heraus entstandenen Demokratiebewegungen in Ägypten und Tunesien haben weit mehr dazu beigetragen, die Region wachzurütteln und die Diktaturen zu untergraben, als alles, was die Amerikaner im Irak unternommen haben. Als der irakische Frühling anbrach, fand sich die irakische Regierung selbst auf der Anklagebank wieder. In den Städten Bagdad und Basra gingen Menschen auf die Straße, um gegen al-Malikis Autoritarismus und seinen von den USA unterstützen Angriff auf die Gewerkschaften zu demonstrieren. Im Sommer empfing der Premier zwei Delegationen der syrischen Regierung und weigert sich bis heute, Präsident Assad für die Ermordung von Zivilisten zu kritisieren.
Von Bush unterschrieben
Die größte Niederlage der Neocons besteht allerdings darin, dass der Einfluss des Iran im Irak durch den Sturz Saddam Husseins heute wesentlich größer ist als der Amerikas. Zwar kontrolliert Teheran das Nachbarland nicht – es hat von ihm jedoch auch nichts mehr zu befürchten. Schließlich regiert in Bagdad eine von Schiiten dominierte Koalition, deren Parteiführer unter Saddam viele Jahre im iranischen Exil verbracht haben oder – wie Moqtada al-Sadr – in jüngerer Vergangenheit dort lebten.
Die Republikaner werfen Obama nun vor, mit dem Rückzug aus dem Irak gegenüber Teheran eingeknickt zu sein. Das ist lächerlich und zeigt lediglich den Bankrott ihrer eigenen Parolen. Schließlich war es George Bush, der dem Iran mit dem Einmarsch im Irak die strategische Öffnung ermöglichte und in den letzten Wochen seiner Präsidentschaft das Abkommen über den Rückzug aller US-Soldaten bis zum Jahresende 2011 unterschrieb. Sicher hat Senator McCain recht, wenn er sagt, die Erklärung Obamas werde „von unseren Feinden im Nahen Osten, besonders vom iranischen Regime, das unermüdlich auf den vollständigen Rückzug von US-Truppen aus dem Irak hingearbeitet hat, als strategischer Sieg gesehen werden“.
Es ist nur schade, dass er dies nicht Bush und Blair anlastet, die all das überhaupt erst möglich machten. Aus den Memoiren dieser beiden Politiker kann man ersehen, dass sie nichts aus der ganzen Sache gelernt haben. Dabei wird ihnen diese Katastrophe von der historischen Beurteilung her ewig anhängen.
Immerhin ein Frieden
Wichtiger ist jedoch, ob die gegenwärtigen Staatschefs etwas aus dem Irak-Krieg gelernt haben. Der relative Erfolg der NATO in Libyen wird bereits dazu benutzt, einen Schleier über die Vergangenheit zu hängen. Der Tod Gaddafis sorgte dafür, dass Obamas Abzugsankündigung auf den Titelseiten nicht viel Raum einnehmen konnte.
Eine der wichtigsten Lektionen aus dem Irak besteht jedoch darin, dass man keine Bodentruppen in ein fremdes Land schicken kann, um dort Krieg zu führen, schon gar nicht in ein islamisches. Dies zumindest scheinen Amerikaner, Franzosen und Briten gelernt zu haben, als sie im März den UN-Sicherheitsrat anriefen, um den Einsatz gegen Libyen zu genehmigen und versprachen, es werde keine Bodentruppen und keine Besatzung geben.
Das Gleiche sollte eigentlich für Afghanistan gelten, wo Obama angeblich einen notwendigen Krieg führt, im Gegensatz zu dem im Irak, den er als einen nicht zwingend zu führenden Krieg bezeichnet. Die Unterscheidung ist falsch, die Frage lautet, ob er alle Soldaten bis 2014 aus Afghanistan abziehen wird. Obamas Leute versuchen nach dem Muster des gescheiterten Irak-Deals eine Vereinbarung mit der Karsai-Regierung auszuhandeln, die ermöglichen soll, dass Tausende Soldaten unbefristet weiter als Ausbilder und Berater im Land bleiben, nachdem die Kampfeinheiten abgezogen sind. Mit einer solchen Entscheidung würde der Bürgerkrieg weiter genährt. Washington sollte lieber Verhandlungen für eine Regierung der nationalen Einheit unterstützen, die auch die Taliban mit einbezieht und den Kampf zwischen den Afghanen beendet. 15 Monate nach Abzug der US-Kampftruppen ist der Frieden im Irak zwar noch immer instabil, aber immerhin ein Frieden.
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