Das Web ist für alle da

Netzpolitik Der als Erfinder des WWW geltende Sir Tim Berners-Lee fordert eine Online-Magna Carta um die Unabhängigkeit des Netzes und die Rechte der Nutzer weltweit zu schützen
Tim Berners-Lee bei einer Konferenz in Royal Society in London 2010
Tim Berners-Lee bei einer Konferenz in Royal Society in London 2010

Foto: Carl Court/ AFP/ Getty Images

Genau 25 Jahre nachdem er den ersten Entwurf für den ersten Vorschlag des späteren Word Wide Web vorgelegt hat, sagte Berners-Lee, das Web sei zunehmend den Angriffen von Regierungen und dem Einfluss von Konzernen ausgesetzt. Um das „offene, neutrale“ System zu schützen, seien neue Regeln notwendig: „Wir brauchen eine global gültige Verfassung.“

Auch die Initiative „the web we want“, die weltweit dazu aufruft, auf nationaler Ebene digitale Verfassungen zu erstellen, will diesen Plan aufgreifen. Berners-Lee hofft, dass die so festgehaltenen Prinzipen Unterstützung von staatlichen Institutionen, Regierungsmitarbeitern und Unternehmen finden werden.

"Solange wir kein offenes neutrales Internet haben, auf das wir uns verlassen können, ohne uns Sorgen darüber zu machen, was an der Hintertür geschieht, kann es auch keine offene Regierungen, keine funktionierende Demokratie, keine gute Gesundheitsversorgung, keine vernetzten Communities und keine kulturelle Diversität geben“, warnt Berners-Lee. „Es ist nicht naiv, davon auszugehen, dass diese Dinge möglich sind. Aber es ist naiv zu denken, wir könnten uns zurücklehnen und sie einfach kriegen.“

Überwachung untergräbt die Sicherheit

Nach den Enthüllungen des NSA-Whistleblowers hat Berners-Lee auch die Überwachung der Bürger durch die US-amerikanischen und britischen Geheimdienste heftig kritisiert. Im Lichte des Bekanntgewordenen wünschten die Menschen sich eine Revision der Führung und Kontrolle der Geheimdienste, sagt Berners-Lee.

Widerhall finden seine Ansichten auch in der Technikbranche. Dort ist man besonders empört darüber, wie die NSA und der britische GCHQ Verschlüsselungsmechanismen und Sicherheitswerkzeuge unterlaufen – viele Cybersicherheitsexperten betrachten die Aktivitäten der Geheimdienste als kontraproduktiv und sehen dadurch die Sicherheit aller untergraben.

Die Prinzipien des Datenschutzes, der freien Rede und des Rechts auf eine verantwortungsvolle Anonymität – diese Themen sollten in einer Internetverfassung ausgelotet werden, wünscht sich Berners-Lee: „Unsere Rechte werden von allen Seiten immer stärker beschnitten und wir drohen uns daran zu gewöhnen. Ich möchte, dass wir den 25. Geburtstag des World Wide Web zum Anlass nehmen, das Web wieder in die eigenen Hände zu nehmen und eine Vorstellung für das Web der kommenden 25 Jahre zu entwickeln.“

Das Urheberrecht dient Konzernen

Darüber hinaus solle ein Vorschlag für eine Internetverfassung sich mit den Auswirkungen von Urheberrechtsgesetzen und den kulturell-gesellschaftlichen Fragen rund um die ethischen Aspekte der Technik befassen.

Berners-Lee räumte ein, dass die Regularien regional durchaus unterschiedlich ausfallen könnten und die kulturellen Ansichten zu einigen Fragen durchaus differierten. Dennoch erhoffeFreies er sich von einem gemeinsamen Prinzipiendokument einen internationalen Standard für die Werte eines offenen Netzes.

Weiter sagte Berners-Lee: „Unsere Anwälte und Politiker müssen sich mit Programmierungen auskennen und verstehen, was sich mit einem Computer alles machen lässt. Außerdem muss auch in gesetzlicher Hinsicht vieles überdacht werden. Das Urheberrecht zum Beispiel. Es kommen Leute aufgrund von Gesetzen ins Gefängnis, die größtenteils zum Schutz der Filmproduzenten entstanden sind … Nichts davon wurde geschaffen, um den täglichen Austausch zwischen Menschen und die tägliche Demokratie zu schützen, die es braucht, um ein Land zu regieren.“

Den USA die Domainkontriolle entziehen

Darüber hinaus setzte Berners-Lee sich nachdrücklich für eine entscheidende und kontroverse Änderung im Bereich der Internet Governance ein, die die Kontrolle der USA in einem kleinen, aber hoch symbolischen Bereich beenden würde. Die USA halten am Iana-Vertrag fest, über den alle Domainnamen vergeben werden. Nach den Snowden-Enthüllungen ist dieses Arrangement allerdings verstärkt unter Druck geraten.

Berners-Lee sagte dazu: „Die explizite Verbindung zum US-Handelsministerium hätte längst beendet werden sollen. Die USA können keine globale Leitungsposition bei einer Sache innehaben, die so gar nicht national ausgelegt ist. Dennoch bleibt ein „Multi-Stakeholder“-Ansatz, bei dem sowohl Regierungen, als auch Konzerne auf Armeslänge gehalten werden, richtig.“

Gegen nationale Zerstückelung

Erneut brachte Berners-Lee seine Sorge zum Ausdruck, das Web könne von Ländern oder Organisationen balkanisiert werden, die den digitalen Raum zerstückelten, um ihre eigenen Regeln durchsetzen zu können – ob nun zum Zweck der Zensur, der Regulierung oder des Kommerz.

Ein jeder hätte für die Zukunft des Netzes eine Rolle zu spielen, sagte Berners-Lee und verwies auf den Widerstand gegen die Entwürfe für Regularien zum Kampf gegen Urheberrechtsverletzungen.

„Das Wichtigste ist, die Leute dazu zu kriegen, für das Netz zu kämpfen und den Schaden zu erkennen, den eine Zerstückelung des Netzes mit sich brächte. Wie jedes menschliche System bedarf das Netz der Kontrolle und natürlich brauchen wir auch nationale Gesetze – aber wir dürfen das Netz nicht zu einer Aneinanderreihung nationaler Silos werden lassen.“

Berners-Lee trat auch auch bei der Eröffnungszeremonie der olympischen Spiele 2012 in London auf. Auf einem in der Mitte der Arena platzierten Computer tippte er die Worte „this is for everyone“. Er selbst hat die Prinzipen der Offenheit, Inklusivität und Demokratie nicht aufgegeben und das 1989 von ihm erfundene Model nie kommerzialisiert. Dem Argument, es sei unausweichlich, dass ein derart mächtiges Medium wie das Internet irgendwann von Regierungen und Konzernen kontrolliert würde, hält er entgegen: „Erst, wenn sie die Tastatur von unseren kalten, toten Fingern losbrechen.“

Sir Timothy John Berners-Lee ist ein britischer Physiker und Informatiker. Er ist der Erfinder der HTML und der Begründer des World Wide Web. Heute steht er dem World Wide Web Consortium vor, ist Professor am Massachusetts Institute of Technology und hat seit 2004 einen Lehrstuhl an der Universität Southampton inne

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Jemima Kiss | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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