Das Zeitalter des Patriarchats

Gesellschaft Wie ein aus der Mode gekommenes Konzept zur Parole der Gegenwart wurde
Zerschlagt das Patriarchat!
Zerschlagt das Patriarchat!

Bild: svgsilh.com (Public Domain)

Anfang 2018 schaltete Steve Bannon in Washington seinen Fernseher ein, um sich die Preisverleihung der Golden Globes anzusehen. Die Stimmung bei der Veranstaltung war nüchtern. Kurz zuvor hatten mehrere Frauen gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein Vorwürfe wegen Vergewaltigung und sexueller Belästigung erhoben. Die Frauen, deren Abendgarderobe zu diesem Anlass normalerweise besonders extravagant ausfällt, trugen schlichtes Schwarz. Oprah Winfrey hielt eine leidenschaftliche Rede.

Seinem Biografen zufolge kündigte die Szene für Bannon den Beginn einer Revolution an, die „sogar noch einflussreicher als der Populismus“ sei. „Frauen werden die Kontrolle über die Gesellschaft übernehmen. (…) Die Bewegung gegen das Patriarchat wird die Geschichte der vergangenen 10.000 Jahre rückgängig machen.“

Es ist noch nicht lange her, da war „Patriarchat“ etwas, von dem Rechte wie Bannon noch nicht einmal glaubten, dass es existiert. Es war die Art von Wort, das einen als eiserne Oldschool-Feministin oder verknöcherten Linken auswies, der verbittert die Übel des Kapitalismus beklagt. Selbst feministische Theoretikerinnen hatten den Begriff längst hinter sich gelassen.

Ungefähr seit einem Jahr erfährt das „Patriarchat“ jedoch eine gewisse Konjunktur. Der Begriff findet sich auf Transparenten und T-Shirts, fällt in Interviews auf dem roten Teppich und in Zeitungsschlagzeilen. Das „Patriarchat“ wurde zur Erklärung des irischen Referendums über die Lockerung des Abtreibungsrechts herangezogen und beim Anschlag in Toronto, wo ein frauenhassender „Incel“ – d. h. ein Mann, der glaubt, er habe ein Recht auf Sex mit Frauen, das ihm von diesen verwehrt werde – zehn Menschen ermordete.

Viele halten Vorfälle wie diesen – ja, Sexismus überhaupt – für ein individuelles und isoliertes Phänomen, das früher oder später ganz verschwinden werde. Sie verweisen auf die Fortschritte, die im Laufe der vergangenen hundert Jahre in Sachen Gleichberechtigung gemacht wurden. Anderen ist die Wiedergeburt des Begriffs Ausweis dafür, dass die #MeToo-Kampagne „zu weit gegangen“ sei. Sie meinen in der Verwendung des Wortes „Patriarchat“ den hysterischen Kriegsschrei von McCarthyite-Feministinnen zu erkennen, die fest entschlossen sind, Männer zur Strecke zu bringen, die sich nichts weiter zu Schulden kommen ließen, als sich so zu verhalten, wie sie dies schon immer getan haben – und wie es früher doch völlig akzeptabel war.

Bei manchen skeptischen Liberalen gibt es Vorbehalte gegen die ideologischen Implikationen umfassender Erklärungsmodelle wie „Patriarchat“ (oder “Neoliberalismus”), die sie für unzulässige Vereinfachungen einer komplexen Wirklichkeit halten. Und auch unter wissenschaftlichen VertreterInnen der Gender Studies ist der Begriff nicht mehr häufig in Gebrauch. Einst in endlosen Artikeln, Konferenzen und Büchern diskutiert, betrachten ihn viele TheoretikerInnen heute als zu plump und monolithisch, um die feinen Nuancen der Unterdrückung fassen zu können.

Die Herrschaft des Mannes ist allgegenwärtig

Das Patriarchat treibt auf die Straße

Foto: Carsten Thesing/Imago

Doch für diejenigen, die das Grundvertrauen in den gesellschaftlichen Fortschritt verloren haben oder die zu jung sind, um ihn kennengelernt zu haben, scheint „Patriarchat“ genau der Begriff zu sein, um den Fortbestand einer anscheinend unausrottbaren Ungleichheit zu erklären. #MeToo machte vielen Feministinnen klar, dass es ihnen trotz all der Jahre harter Arbeit, des Wartens und der Hoffnung auf Besserung noch immer passieren kann, einfach auf ein Bett gedrückt, auf einer Party in eine Ecke gedrängt, begrabscht, angegafft oder angemacht zu werden – nur weil sie einen weiblichen Körper haben.

Hier bietet sich das Konzept des „Patriarchats“ als Erklärung für einen unsichtbaren Mechanismus an, der eine Reihe scheinbar isolierter und disparater Ereignisse miteinander verbindet. Denn er erlaubt uns die Frage zu stellen, so die Philosophin Amia Srinivasan, „ob es etwas Gemeinsames zwischen der Weinstein-Affäre, der Wahl Trumps, der Not der Näherinnen in Asien, der Landarbeiterinnen in Nordamerika und den epidemischen Vergewaltigungen in Indien gibt. Er erlaubt, die Frage zu stellen, ob eine Art Mechanismus am Werk ist, der all diese Erfahrungen miteinander verbindet.“ Bietet die Benennung und das Verständnis dieses unsichtbaren Mechanismus den Schlüssel zu seiner Vernichtung?

In der menschlichen Geschichte war die Herrschaft des Mannes so lange allgegenwärtig, dass das Patriarchat noch nicht einmal als Konzept identifiziert wurde. Die Vorstellung, die Überlegenheit des Mannes sei natürlich, war selbsterfüllend, da diejenigen, die die Gesetzestexte, Gedichte und religiösen Schriften verfassten, immer Männer waren. Wie Jane Austens Figur Anne Elliot sagt: “Männer haben jeden Vorteil vor uns gehabt, wenn sie ihre Geschichte erzählten. Bildung hat ihnen in einem so viel höheren Maße zur Verfügung gestanden. Die Feder lag in ihren Händen.” Man könnte sogar sagen, dass die besondere Macht des Patriarchats gerade in seiner Fähigkeit besteht, sich selbst so unsichtbar wie möglich zu machen.

Ein Unterdrückungssystem

Der Begriff des Patriarchats ermöglicht, zu verstehen, warum intelligente, erfolgreiche und selbstbewusste Frauen es nicht schaffen, Männer zu verlassen, die sie erniedrigen und kontrollieren. Mit ihm wird einem möglicherweise klar, warum offenbar liberale Organisationen, selbst wenn sie von Frauen geführt werden, noch immer eine Gender-Lohnlücke aufweisen oder warum in Deutschland beinahe jeden dritten Tag eine Frau von ihrem männlichen Partner oder Ex-Partner ermordet wird. Warum Frauen sich mehr um die Kinder kümmern und mehr Hausarbeit übernehmen, und warum diese „zweite Schicht“ im Haushalt noch bis vor kurzem von Ökonomen völlig ignoriert wurde. Warum die Kleidung von Angela Merkel und Theresa May in den Medien kommentiert wird, die von Emmanuel Macron aber nicht. Warum es in Filmen so wenige wichtige Frauenfiguren gibt. Manche Begriffe sind wie eine Brille, die Dinge plötzlich scharf werden lässt, die andernfalls unsichtbar oder zumindest nicht erklärbar wären. “Patriarchat” ist einer davon.

Der Begriff stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet wörtlich „Väterherrschaft“. Manche haben ihn verwendet, um Muster zu beschreiben, die aus der Struktur der Familie abgeleitet sind. Für andere stellt das Patriarchat ein ganzes Unterdrückungssystem dar, das auf Frauenhass, Ausbeutung und der brutalen Behandlung von Frauen basiert. Es ist in der Tat nicht leicht, eine präzise Definition des Begriffs zu geben. Grob vereinfacht meint er die Existenz einer gesellschaftlichen Struktur männlicher Vorherrschaft, die zu Lasten von Frauen geht.

Die Unterdrückung von Frauen im Patriarchat ist vielschichtig. Sie funktioniert über Ungleichheiten auf mehreren Ebenen: Staat, Gesetz, Familie, Arbeitsplatz. Das Patriarchat wird von einflussreichen kulturellen Normen aufrechterhalten und von Traditionen, Erziehung und Religion gestützt. Es reproduziert sich endlos über diese Normen und Strukturen, die ihrem Wesen nach selbst patriarchal sind, wodurch es auf eine Art natürlich oder zwangsläufig erscheint, während es in einem liberalen Kontext von häppchenweisen Fortschritten in der Gleichberechtigung der Geschlechter verschleiert wird. Da es die Vorstellung einer Struktur von Machtbeziehungen bietet – nicht einer Reihe einzelner sexistischer Handlungen –, lässt sich im „Patriarchat“ auch berücksichtigen, dass nicht alle Männer es ausdrücklich unterstützen oder im gleichen Maße von ihm profitieren. Und dass manche Frauen auf der anderen Seite möglicherweise viel zu seiner Unterstützung beitragen. Es lässt ebenso Raum für die Tatsache, dass wir alle zwangsläufig an ihm teilhaben – ganz egal, wie sehr wir es möglicherweise verabscheuen.

Die Verdinglichung weiblicher Körper

Nur der Begriff des Patriarchats scheint die Schwierigkeit einer Definition geschlechtsspezifischer Herrschaft fassen zu können. Nur er scheint auszudrücken, dass diese Herrschaft sich in der Art zeigt, wie individuelle Fälle miteinander interagieren und sich gegenseitig verstärken.

Nehmen wir beispielsweise den Umstand, dass in England und Wales nur etwa 20 Prozent aller Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffe bei der Polizei angezeigt werden, und dass von diesen nur ein winziger Prozentsatz – 2015 waren es gerade einmal 7, 5 Prozent – zu einer Verurteilung führen. Warum ist das so? Der unmittelbarste Grund besteht darin, dass es nur in wenigen Fällen zu einem Prozess kommt – ein Umstand, der – isoliert betrachtet – nur wenig erhellt. Das Konzept des Patriarchats aber hilft zu verstehen, dass es sich bei einem solchen Prozess lediglich um den Gipfel einer Struktur handelt, die von unzähligen Säulen getragen wird. Dazu können alle möglichen Dinge gehören, mit denen gar kein offensichtlicher Zusammenhang besteht: ein Rechtssystem, das historisch von Männern entworfen wurde; die anhaltende Fehlwahrnehmung von Vergewaltigung als reiner Exzess männlicher Begierde; das sexistische Erbe, das die Polizei mit sich trägt; die kulturelle und religiöse Verurteilung sexuell aktiver Frauen; die Verdinglichung weiblicher Körper; Pornografie; der Umstand, dass Frauen grundsätzlich entmutigt werden, ihre Meinung zu äußern (und es schlimme Folgen für sie haben kann, wenn sie es dennoch tun). Für manche Feministinnen ist sexuelle Gewalt so eindeutig ein Mittel, Frauen zu kontrollieren, dass es sich dabei nicht nur um ein Verbrechen handelt, das in patriarchalen Gesellschaften häufig verübt wird, sondern dass es geradezu die Basis des Patriarchats darstellt.

Wenn man die Welt durch die Brille des Patriarchats sieht, kommt einem automatisch der Gedanke: Wie würde die Welt ohne Patriarchat aussehen? Manche FeministInnen meinen, wenn Frauen gleiche Rechte in der Gesellschaft erhalten, sei es zumindest erheblich abgeschwächt. Andere wieder argumentieren, dass das Patriarchat selbst bei erreichter Gleichheit weiter fortbestehen würde, weil menschliche Institutionen in ihrem Innersten selbst zutiefst patriarchale Strukturen seien.

Wie würde die Welt ohne Patriarchat aussehen?

Es sagt etwas über das Wesen dieser Frage, dass sie am eindringlichsten von SchriftstellerInnen der fantastischen Literatur beantwortet wurde. In ihrem Roman aus dem 19. Jahrhundert, Herland, stellte sich Charlotte Perkins Gilman eine Gesellschaft vor, die nur aus Frauen besteht: die Justiz ist besonnen, die Landwirtschaft effizient, die Kleidung bequem. In Naomi Aldermans Roman “The Power”, der im vergangenen Jahr erschienen ist, werden Frauen durch eine Art evolutionären Prozess Männern an Körperkraft überlegen. Eine blutige Revolution beginnt und es gibt keinen Hinweis darauf, dass die hieraus resultierende Umkehrung des Patriarchats in ein Matriarchat in irgendeiner Form weniger unterdrückerisch ist.

Auch wenn der Begriff immer dann in Mode kommt, wenn auch der Feminismus Konjunktur hat – anfangs kamen Feministinnen ohne ihn aus. Mary Wollstonecraft etwa lässt in der „Verteidigung der Frauenrechte” (1792) keinen Zweifel daran, dass es so etwas wie die „Tyrannei der Männer“ gibt. Aber es sollte weitere 60 Jahre dauern, bis mit dem Begriff Patriarchat so etwas wie eine Theorie sozialer Beziehungen bezeichnet wurde.

Mitte des 19. Jahrhunderts – sechs Jahre vor der Veröffentlichung des “Kapitals” von Karl Marx – veröffentlichte ein Schweizer Rechtswissenschaftler und Altphilologe namens Johann Jakob Bachofen ein Buch von damals ähnlich großem Einfluss – auch wenn heute kaum jemand mehr davon weiß. Es wurde intensiv von Friedrich Engels rezipiert, erweckte bei Sigmund Freud großes Interesse und wurde von Archäologen und Prähistorikern aufgegriffen. Das Buch trägt den Titel „Das Mutterrecht”. Die darin dargelegte Theorie besagt, dass in einer weit zurückliegenden Zeit die Rolle des Vaters bei der Zeugung von Kindern noch nicht anerkannt wurde und es Frauen (und “Muttergöttinnen”) waren, die die Macht innehatten.

Dieser hochspekulative Bericht über ein Matriarchat brachte die Vorstellung eines „Patriarchats“ als einer historisch bedingten, menschgemachten sozialen Struktur mit sich, die Bachofen zufolge schließlich an die Stelle des Matriarchats getreten war. Seine Methode umfasste eine genaue Lektüre der griechischen Literatur und einiger zeitgenössischer anthropologischer Studien. Er interpretierte etwa das Schicksal von Orest, Sohn des Agamemnon, nach der Tragödie des griechischen Dichters Aischylos neu. Orest wurde nach dem Mord an seiner Mutter Klytaimnestra freigesprochen mit der Begründung, dass sie kein Elternteil, sondern lediglich ein „Behältnis“ für den Samen seines Vaters gewesen sei. Diese Begründung des Freispruchs interpretiert Bachofen als Nachhall des Augenblicks, in dem das Patriarchat sich etablierte – als „das apollonische Zeitalter aus den Ruinen des Mutterrechts hervorging”. Viele WissenschaftlerInnen bezweifeln jedoch, dass solche Mythen einen Nachhall auf matriarchale Gesellschaften darstellen, sondern sehen in ihnen vielmehr ein Mittel, „die Existenz des Patriarchats zu rechtfertigen“, wie Mary Beard es formulierte.

Dunkel gegen Hell

Virginia Woolf war die erste, die die Idee des Patriarchats von der Theorie in die Praxis übertrug

Foto: George C Beresford/Getty Images

Für Bachofen stellen Matriarchat und Patriarchat Gegensätze dar: dunkel gegen hell, „das Blutrecht der Erde“ gegen „die reine himmlische Kraft der Sonne“. Diese Vorstellung der grundlegenden Entgegensetzung eines „Weiblichen“ gegen das „Männliche“ hatte einen enormen Einfluss. Das Bild einer erdverbundenen, grundsätzlich nichtrationalen Weiblichkeit wurde hin und wieder von Feministinnen aufgegriffen. Ein verzerrtes Echo dieser Rhetorik, grob gefiltert durch Nietzsche und Jung, kann man in den Statements der rechten Maskulinisten von heute finden, wo etwa vom „Chaos“ des Weiblichen gesprochen wird. Die Vorstellung von den Amazonen – mythische weibliche Kriegerinnen – beunruhigte Bachofen besonders. Sie repräsentierten „eine extreme und dekadente Form der Gynaikokratie … Männer-hassende, Männer-tötende kriegerische Jungfrauen“, so Bachofen.

Als der Begriff „Patriarchat“ in dieser neuen Formulierung Verbreitung fand, öffnete dies auch für Linke neue Denkwege. Engels greift in „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates” vielfach auf Bachofen zurück, um den Nachweis zu führen, dass das Patriarchat ein entscheidender Faktor bei der Entstehung des Kapitalismus war. Für ihn repräsentierte die Entstehung des Patriarchats – das mit der Anerkennung der Vaterschaft, der Entwicklung der monogamen Einehe und dem vererblichen Besitz verbunden war – „die welthistorische Niederlage des weiblichen Geschlechts. Der Mann ergriff nun das Steuer auch im Hause, die Frau wurde entwürdigt, geknechtet, Sklavin seiner Lust und bloßes Werkzeug der Kindererzeugung."

Es war dann eine weibliche Denkerin – und Feministin –, die das „Patriarchat” aus der Sphäre der reinen Theorie in den Bereich der Erfahrung zog. Virginia Woolf wandte den Begriff in „Drei Guineen” (1938) auf ihre eigene Lebenswirklichkeit an. Für sie beschrieb er die Dynamik innerhalb von Familien wie der ihren – in denen der Vater die ökonomische Macht und Autorität innehatte, die Jungen auf ein Leben in der Öffentlichkeit vorbereitet wurden und die Mädchen von einer ernstzunehmenden Ausbildung und der Möglichkeit ausgeschlossen wurden, sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Die Kampflinien wurden gezogen: „zwischen den Opfern des patriarchalen Systems und den Patriarchen“. Oder, mit anderen Worten: „die Töchter” standen “gegen die Väter“.

Heuchelei und Unterwürfigkeit

Woolf beschreibt das Patriarchat hier nicht als eine Struktur, die über die Grenzen des bürgerlichen Haushalts hinausgehen würde. Auch hatte sie keine Zeit für weiblichen Essentialismus. Wenn Frauen die gleichen Möglichkeiten hätten, Kapital und Eigentum anzuhäufen wie Männer, könnten sie Woolf zufolge „von Opfern des patriarchalen Systems … zu Meistern des kapitalistischen Systems“ werden. „Hinter uns liegt das patriarchale System, das Privathaus mit seiner Nichtigkeit, seiner Unmoral, seiner Heuchelei und seiner Unterwürfigkeit. Vor uns liegt die öffentliche Welt mit ihrer Habgier, ihrem Neid, ihrer Aggressivität und ihrer Gier.“ Es handelt sich um ein ambivalentes Bild. Sie zeigt wenig Bewunderung für die kapitalistische Welt, die sie beschreibt. Und doch weist die „kreative Zerstörung“ des Kapitalismus ihrer Meinung nach das Potenzial auf, das Patriarchat zu überwinden.

In den späten sechziger und frühen siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts trat eine neue Generation von Feministinnen auf den Plan. Für sie war klar, dass Frauen auch weiterhin unterdrückt wurden, obwohl sie mehr Zugang zu den Rechten hatten, für die die Generation von Virginia Woolf gekämpft hatte: Zugang zu Bildung, Wahlrecht und Arbeit. Klar war auch, dass existierende Herrschaftstheorien nicht in der Lage waren, diese Unterdrückung zu erklären. Volkswirtschaftslehre, Geschichtswissenschaft und Soziologie hatten bislang wenig Interesse an Frauen als Gegenstand ihrer Arbeit gezeigt. Fragen der Geschlechterungleichheit wurden entweder völlig ignoriert oder als natürliches Nebenprodukt der gesellschaftlichen Entwicklung betrachtet. Für die Feministinnen der zweiten Welle bestand ein Teil der Arbeit also darin, Frauen in den Blickpunkt zu rücken. Die Unterdrückung konnte ihrer Meinung nach nur überwunden werden, wenn sie identifiziert, verstanden und effektiv bekämpft wurde, letzteres durchaus mit radikaler oder revolutionärer Medizin.

Das „Patriarchat” lieferte zunächst den fruchtbarsten Fokus für diese Arbeit. Kate Milletts „Sexual Politics” (1970) war ein früher Text, der versuchte, „Patriarchat“ als das „grundlegendste Machtkonzept“ der Gesellschaft zu bestimmen. Für sie war das Patriarchat überall, es war „die schlagkräftigste Ideologie unserer Kultur“. Selbst anscheinend harmlose gesellschaftliche Normen waren ihrer Analyse zufolge in Wahrheit Instrumente der Unterdrückung. Romantische Liebe zum Beispiel deutete sie als ein Mittel, mit dem Männer Frauen emotional manipulieren. Das weibliche Einverständnis würde ebenfalls mit Gewalt erzwungen: durch Vergewaltigung. Frauen würden so sozialisiert, dass sie Männern gefallen, ihnen schmeicheln und sie zufriedenstellen. Millett nennt das unterstellte Geburtsrecht der männlichen Dominanz „eine äußerst raffinierte Form ,innerer Kolonisierung’,” die „robuster“ sei „als jede Form der Segregation und rigider als die soziale Schichtung, gleichförmiger und mit Sicherheit von größerer Dauer.“

„Männer gegen Frauen“

Im Zuge des Versuchs von Feministinnen, den Begriff in ein kohärentes System der Herrschaft zu theoretisieren, kam es zu Dutzenden Reformulierungen und Ausarbeitungen des Begriffs. Für die US-amerikanische Rechtsprofessorin Catharine MacKinnon war das Patriarchat den Strukturen des liberalen Staates selbst eingeschrieben. „Männer gegen Frauen“ ist ihrer Meinung nach der Treibstoff, der die Gesellschaft, wie sie gegenwärtig verfasst ist, am Laufen hält. Im Gegensatz dazu lehnte die afroamerikanische Feministin bell hooks die Vorstellung ab, der primäre gesellschaftliche Konflikt sei der zwischen Männern und Frauen. Sie sprach vielmehr von „institutionalisiertem Sexismus“, der überwunden werden könne, wenn Männer und Frauen gleichermaßen aufhörten, sexistisch zu denken und zu handeln.

Die gelebte Realität wirft Probleme mit dem Konzept des “Patriarchats” auf. Die Erfahrung lehrt uns, dass es Männer gibt, die stärker unterdrückt werden als manche Frauen. Nicht alle Frauen werden auf die gleiche Weise unterdrückt. Autorinnen wie hooks wiesen darauf hin, dass für afroamerikanische Frauen die Familie nicht notwendig in gleicher Weise ein Ort der Unterdrückung sei wie für weiße, sondern für sie auch einen Ort darstellt, an den sie vor den Traumata des weißen Rassismus fliehen können. Und auch die Jobs, die afroamerikanischen Frauen zugänglich seien, böten nicht das Maß an Befreiung wie die, die gebildeten weißen Frauen offenstehen.

Anfang der 1990er Jahre kritisierte die Queer-Theoretikerin Judith Butler dann MacKinnons universalisierende Sicht auf einer ähnlichen Grundlage. Sie argumentierte, dieses Modell lösche andere Formen subtiler und mehrschichtiger Unterdrückung durch eine Art „theoretischen Imperialismus“ aus. Butler stellt zudem die „Natürlichkeit“ von Geschlechterrollen infrage. Es gebe viele mögliche Kategorien genderbezogener und sexueller Praxis, nicht nur die binären Definitionen, die die Kultur dominieren. Für psychoanalytisch geneigte Denkerinnen wie Jacqueline Rose bricht sich die Vorstellung, alle Männer als eine Kategorie zu begreifen, die allen Frauen gegenübersteht, in sich zusammen – weil nicht alle Männer Männer sind und die Art von Männlichkeit verkörpern, die man ihnen unterstellt.“

Dass viele Feministinnen den eigentlich doch so brauchbaren Begriff dann verwarfen, fiel mit dem grundsätzlichen Zurücktreten der feministischen Debatte in den 1990ern und frühen 2000ern zusammen – eine Periode, die die Feministin Beatrix Campbell später als Zeit des „neoliberalen Neopatriarchats“ bezeichnete. Schnelle Globalisierung und eine Kultur des Hyperindividualismus, so Campbell in „The End of Equality” (2013), hätten zu extremeren Formen der Unterdrückung geführt. Sie führt dabei die brutalen Arbeitsbedingungen für Arbeiterinnen in Mexiko an, die überproportionale Abtreibung weiblicher Föten in Indien und eine Arbeitswoche, „die nach den Interessen von Männern institutionalisiert wurde, frei von den Pflichten der Sorgearbeit”. Der Feminismus sei während dieser Epoche zwar nicht gestorben, so Campbell, aber doch verkümmert.

Flink und geschmeidig

Das Patriarchat ist flink und geschmeidig. Der Umfang dessen, was er umfasst, scheint sich stetig auszuweiten. Feministinnen haben natürlich versucht, ihre Kampflinien vor dem Aspekt von Unterdrückung aufzubauen, den sie als den am stärksten unterdrückenden angesehen haben. Wenn das „Patriarchat” als Modell in die öffentliche Debatte zurückgekehrt ist, dann, weil der Feminismus mit neuer Energie zurückgekehrt ist – weil Ungleichheit noch nicht ausgerottet wurde.

1990 machte die Feministin Sylvia Walby in ihrem Buch „Theorizing Patriarchy” sechs verschiedene Felder patriarchaler Unterdrückung aus. Sie scheinen noch immer sehr gut zu funktionieren. Zu Hause übernehmen Frauen noch immer die meiste Hausarbeit. Am Arbeitsplatz hat das Recht auf gleiche Bezahlung noch nicht die Überwindung des Gender Pay Gap bewirkt. Frauen sind, so der aktuelle Stand, beinahe überall auf der Welt in den Parlamenten unterrepräsentiert, in den Kabinetten, im Militär und anderen Institutionen. Was männliche Gewalt angeht, schätzt das Krisenzentrum „Rape Crisis”, dass in jeder Stunde des Tages 11 Vergewaltigungen stattfinden oder versucht werden. Frauen und Männer werden noch immer sehr unterschiedlich beurteilt, wenn man über Sex spricht. Und der „patriarchale Blick” wirkt noch immer stark in der Bildung, Religion, Kultur und in den Medien.

Deshalb ist der Gebrauch des Wortes „Patriarchat” für Feministinnen gerade nützlicher als seine analytischen Schwächen schaden. Es erlaubt ihnen, die Kluft zwischen dem Status quo und dem zu sehen, was sie erreichen wollen. „Wenn das Patriarchat nicht erfolgreich wäre, würden wir keinen Feminismus brauchen. Und wenn es absolut erfolgreich wäre, hätten wir keinen Feminismus”, sagte mir Jacqueline Rose.

Feministinnen älterer Generationen stellen fest, dass die öffentliche Wiederbelebung des „Patriarchats" (noch) nicht von der intensiven Debatte und den akademischen Theorien begleitet werden, die in den 70er Jahren um das Modell herum erblühten. Es ist mehr ein Slogan, ein beliebter Schlachtruf, denn ein analytisches Instrument. „Was mir daran nicht gefällt“, sagte Mary Beard, „ist, dass es praktisch und einfach ist. Ich mag auch ,Misogynie’ nicht, aus dem gleichen Grund: Es ist genau so wenig greifbarer wie der Kapitalismus. Wenn man sagt, „zerstört das Patriarchat“, dann hat das einen schönen Klang, aber es enthält keine politische Analyse.“

Ist das Patriarchat in Gefahr?

Das Wort „Patriarchat” gibt jenen, die es nutzen, starken Antrieb. Es gibt eine gewisse Erleichterung, dem Leiden einen Namen zu geben. Es hat einen befriedigenden Klang von altmodischem Radikalismus, und es kommt mit dem scharfen Geschmack von Konflikt da her. „Patriarchat” ist ein Schlachtruf. Das ist nicht überraschend. Das Internet hat die rasche Verbreitung feministischer Kampagnen möglich gemacht, aber auch die tiefe und manchmal gewaltvolle Radikalisierung derjeniger, die Feminismus fürchten und hassen.

Ist das Patriarchat also ernsthaft in Gefahr, wie Steve Bannon fürchtet? Susan Faludi hat nach den Anschuldigungen gegen Weinstein darauf hingewiesen, dass es leichter ist, Patriarchen zu stürzen als das Patriarchat selbst. Mächtige Männer, die von #MeToo beschuldigt wurden, haben die Bühne verlassen, doch die Bühne selbst sieht noch immer genauso aus wie vorher. Und es sieht auch sehr danach aus, als würden einige der Männer schon bald wieder auf sie zurückkehren. Wenn es etwas gibt, das die „Väterherrschaft“ beenden kann, dann ist dies wahrscheinlich die schrittweise Verschiebung des Verständnisses von Geschlecht und Sexualität. Neue Wege, Kinder außerhalb der traditionellen Familienstrukturen aufzuziehen, werden dazu beitragen. Und genauso die aufstrebende Generation kühner junger Feministinnen, die Unterdrückung nicht so verinnerlicht haben wie ihre weiblichen Vorgängerinnen, und die Sexismus und Frauenhass beim Namen nennen, wo immer sie ihnen begegnen.

Doch Bannon kann beruhigt sein. Wie Mary Beard vor kurzem sagte, „verfügt das Patriarchat über jahrtausendelange Übung. Es ist sehr gut darin, seine eigenen sexistischen Werte aufrechtzuerhalten.“ Wenn eine Horde wütender Frauen die Guillotine an Harvey Weinsteins Testikel anlegen würde, würde das Patriarchat auch das überleben. Das Wort „Patriarchat“ sollte als Erinnerung daran dienen, dass Weinstein und seinesgleichen das Symptom sind, und nicht die Krankheit.

Wie Max Weber feststellte, ist es gerade die Langlebigkeit patriarchalischer Traditionen und Normen, die dazu beitragen, es zu stützen – „der Glauben an die Unverbrüchlichkeit des immer so Gewesenen“. Die Ausrottung des Patriarchats scheint eine Aufgabe von enormer Komplexität zu sein. Wenn es zerschlagen wird, wird es eine Menge mit sich reißen. Und so sind die Patriarchen – vom Tyrann im Weißen Haus bis zum Tyrann am Arbeitsplatz – immer noch auf ihrem Posten. Noch.

Charlotte Higgins ist die Kulturchefin des Guardian und hat das Buch This New Noise geschrieben

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Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Carola Torti, Holger Hutt
Geschrieben von

Charlotte Higgins | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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