„Es ist wirklich sonderbar“, sagt Antonio Olmos. „Fotografieren war noch nie so beliebt und doch geht es zugrunde. Es wurden noch nie so viele Bilder gemacht, doch die Fotografie stirbt.“
Ich hatte den in London ansässigen, preisgekrönten Fotografen gefragt, was seiner Meinung nach gerade mit dem Medium passiert. Das am häufigsten reproduzierte Bild der Woche zeigte die dänische Premierministerin Helle Thorning-Schmidt, wie sie sich am Rande der Trauerfeier zum Tode Nelson Mandelas zusammen mit Barack Obama und David Cameron mit ihrem Smartphone fotografiert. (Die beiden Jungs sind seitdem auch als Helle's Angels bekannt.). Ein Bild, das bezeichnend zu sein scheint für das narzisstische Wesen der Smartphone-Fotografie.
Doch hier ist der Dreh. Gemacht hat das Bild der drei sich selbst fotografierenden Politiker der Fotograf von Agence France Presse, Roberto Schmidt, mit einer SLR-Kamera und einer riesigen 600mm-Linse. Pressefotografen benutzen so gut wie nie Smartphones. Am meisten unter den Handykameras zu leiden haben heute die Hersteller von Kompaktkameras. Annie Leibovitz nannte das Iphone vor zwei Jahren die „Schnappschuss-Kamera von heute“. Was aber ist mit morgen? u7Vielleicht werden Handykameras ja so gut, dass alle, die vier- und fünfstellige Summen für ihre SLRs ausgegeben haben, das bitter bereuen und Pressefotografen mit den gleichen Kameras knipsen werden wie der Rest von uns.
Als ich Olmos traf, hatten auch gerade Psychologen mit der These für Aufmerksamkeit gesorgt, wir können uns schlechter an Dinge erinnern, die wir fotografiert haben, als wenn wir sie nur mit bloßem Auge gesehen hätten. „Wenn die Menschen sich darauf verlassen, dass die Technik die Erinnerungsleistung für sie übernimmt“, so die Psychologin Linda Henkel von der Fairfield University in Connecticut, „denken sie automatisch, sie müssten dem Ereignis oder der Sache selbst nicht mehr so viel Aufmerksamkeit schenken. Das kann sich negativ darauf auswirken, wie gut sie sich an Dinge, die sie erlebt haben, erinnern.“
Wir kennen die Klage, dass wir Bilder machen, anstatt den Augenblick zu genießen und dass dies unsere Erfahrungen verkümmern lasse. Doch Henkels Studie geht offenbar noch weiter. Sie legt nahe, dass wir uns noch nicht einmal mehr an die Dinge erinnern, die wir fotografiert haben, was die Schnappschussfreude der modernen Fotografie doppelt sinnfrei macht.
„Die Leute sitzen im Restaurant und fotografieren die Gerichte, anstatt sie zu essen“, sagt Olmos. „Sie fotografieren die Mona Lisa, anstatt sie sich anzusehen. Ich glaube, dass das Iphone die Menschen von ihren Erfahrungen entfernt.“
Was meint Olmos, wenn er sagt, die Fotografie sterbe aus? Mitte des 19. Jahrhunderts habe das Aufkommen der Fotografie viele Maler, die mit Familienporträts gut ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten, arbeitslos gemacht. Heute treffe es nun die Berufsfotografen. „Fotografen werden durch den Aufstieg des Iphones ruiniert. Früher konnte ein Fotograf am Wochenende 1.000 Euro verdienen, wenn er auf einer Hochzeit fotografierte. Heute brauchen wir immer seltener einen Fotografen. Wir können das genauso gut selbst.“
Aber bedeutet das nicht vielmehr, dass ein paar Fotografen überflüssig werden und nicht die Fotografie selbst ausstirbt? Erleben wir nicht, dass die digitale Technologie die Fotografie demokratisch revolutioniert? „In gewisser Hinsicht stimmt das. Ich wurde in den Irak, nach Afghanistan und Palästina geschickt, um dort Bilder von der Intifada zu machen – teilweise, weil es vor Ort keine Fotografen gab. Dank der digitalen Technik gibt es heute nun Menschen vor Ort, die mindestens genauso gut fotografieren können wie ich.
„Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich liebe Iphones und Instagram“, sagt Olmos. „Aber ich mache mir Gedanken darüber, dass Kodak 40.000 Angestellten gute Arbeitsplätze bot. Wodurch wurden sie ersetzt? Zwölf Mitarbeiter bei Instagram.“
Wahrscheinlich lässt es sich nicht ändern, dass der Fortschritt seine Opfer fordert. „Ich habe nichts gegen die Fortschritte in der Fotografie. Ich freue mich darüber, dass es keine Dunkelkammern mehr gibt und verdächtige, giftige Chemikalien, die man schuldbewusst in den Abguss kippt.“
Es gibt aber noch einen schwerwiegenderen Grund, der Olmo vom Aussterben der Fotografie sprechen lässt. „Das Iphone hat eine schlechte Linse. Du kannst damit ein wunderschönes Bild machen. Wenn Du es vergrößerst, um es auszudrucken, sieht es auf einmal schrecklich aus.“
Aber wer braucht in einer papierfreien Welt schon noch Ausdrucke? „Für mich ist der Ausdruck außerordentlich wichtig. Wenn ich Kurse in Straßenfotografie gebe, lasse ich die Leute die Bilder ausdrucken. Oft ist es für sie das erste Mal. Ich mache das, um sie zu bremsen. Sie sollen die Bilder wirklich machen, nicht nur aufnehmen.“
Guardian-Fotograf Eamonn McCabe stimmt zu: „Auf die Gefahr hin, dass ich wie einer dieser Langweiler klinge, der Vinyl gegen CDs verteidigt: Ich glaube, dass ein ausgedrucktes Bild eine Tiefe aufweist, die ein digitales Bild nicht hat.“ Vor kurzem habe er sich eine Bild der Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Doris Lessing, die im vergangenen Monat gestorben ist, ausgedruckt. „Es war eine Schwarz-Weiß-Aufnahme, die ich mit einer Hasselblad und einem Dreifuß gemacht habe. Es hat mich an die Zeit erinnert, in der die Fotografie Menschen wie mich noch nicht träge gemacht hat.“
Warum ist digital faul? „Es ist ein Schrotflintenansatz. Man knipst vor sich hin und denkt sich: „Ein guter wird schon dabei sein, anstatt sich darauf zu konzentrieren, das Objekt zu erfassen.“
Früher nahm McCabe für gewöhnlich zwei 24er-Fimrollen zu einem Termin mit. „Heute kann ich in einer Session 1.000 digitale Bilder machen – und verhelfe mir dadurch zu einem gewaltigen Bearbeitungsproblem. Ich glaube nicht, dass die Fotografie tot oder am Aussterben ist, sie ist nur faul geworden. Die Leute machen jede Menge Bilder, aber keiner sieht sie sich mehr an.“
Eine positivere Einschätzung des Einflusses der Handy-Technik auf die Fotografie bekomme ich von dem britischen Modefotografen Nick Knight, der gerade erst zwei große Aufträge ausschließlich mit dem Iphone erledigt hat – ein Buch mit 60 Aufnahmen, die das Werk der verstorbenen Moderedakteurin Isabella Blow feiern sowie eine Kampagne für die Modemarke Diesel. „Ich arbeite häufig mit dem Iphone. Es ist schon fast zu meiner Lieblingskamera geworden.“
Knight hält die demokratisierende Revolution, die durch die verbesserten Handykameras vorangetrieben wurde, für so grundlegend wie das, was in den 1960ern geschah, als der Modefotograf David Bailey seinen Dreifuß an den Nagel hängte und damit anfing, mit einer Handkamera zu fotografieren. „Es gab ihm Freiheit und veränderte, was Fotografie künstlerisch war. Dasselbe gilt meiner Ansicht nach für das Iphone. Ich habe jahrelang mit einer 8x10-Kamera gearbeitet, die nicht dafür gedacht war, bewegt zu werden. Jetzt bin ich frei.“
Und was ist mit den schlechten Linsen? „Wen kümmert das schon? Das Bild ist nicht scharf. Meine Güte! Einer meiner Lieblingsfotografen ist Robert Capa, dessen Bilder hin und wieder etwas verschwommen sind. Ich liebe sie, weil sie einen Augenblick eingefangen haben.
„Mir geht es nicht um gestochene Schärfe. Es ist absurd zu glauben, alle Bilder müssten hochauflösend sein. Künstlerisch kommt es nicht darauf an, wieviele Pixel ein Bild hat, sondern ob das Bild funktioniert. In der Fotografie fetischisieren die Menschen die Technik stärker als bei irgendeinem anderen Medium. Dabei ist es unbedeutend, mit welchen Geräten man seine Kunst schafft.“
Nicht ganz. Knight weiß, dass das Iphone seine Kunst revolutioniert hat. „Ich kann zum Beispiel die Schwarz- oder Weißwerte aus einem Bild herausnehmen. Ich könnte nicht erklären, wie es funktioniert, aber es ist faszinierend.“
Aber ist das kein Verlust? Wie McCabe sagt: „Wir beschäftigen uns nicht mehr mit der Kamera. Wir wissen nicht mehr, wie sie funktioniert.“
„Das kümmert mich nicht“, sagt Knight. Er ist von der Demokratisierung der Fotografie begeistert. „Als ich klein war, gab es nur eine Kamera pro Familie, wenn überhaupt. Heute hat jeder eine und benutzt sie die ganze Zeit. Das ist großartig.“ Warum? Knight hat jüngst Bilder von Punkbands untersucht. „Es gibt kaum Bilder, und wenn, dann wurden sie alle von der Bühne aus gemacht. Vergleichen Sie das einmal mit heute – bei einem Kanye-West-Konzert sehen Sie ein Meer von Kameras und es gibt eine ganze Datenbank mit Bildern. Ich finde das fantastisch. Das neue Medium ist viel demokratischer.“
Davon, dass die verstärkte Fotografiererei unsere Vergesslichkeit fördert, will er nichts wissen. „Warum soll jemand sich keinen Matisse fotografieren, um ihn sich auf dem Heimweg im Bus noch einmal anzusehen? Wenn jemand das machen möchte, ist das doch toll.“
Aber es dürfte Berufsfotografen schwer fallen, sich nicht bedroht zu fühlen. „Da Zeitungen und Magazine massiv Kosten einsparen, bekommen festangestellte Fotografen zunehmend Seltenheitswert und Amateure machen mithilfe der technischen Fortschritte erstaunliche Bilder, oft genug allein mit ihren Smartphones", sagt die 37-jährige Magda Rakita, die an der University of the Arts in London studiert und professionelle Fotografin ist.
„Aber der technische Fortschritt bringt auch uns Vorteile. Professionelle Fotografen können ihre Arbeiten heute schnell und weit verbreiten und Geschichten auf innovative Weise erzählen. Denken Sie beispielsweise an Multimedia-Produktionen, Ipad-Apps oder E-Books oder die Möglichkeit, Arbeiten über Facebook, Twitter oder Instagram zugänglich zu machen. Diese Medien können für Fotografen und Geschichtenerzähler von gewaltiger Bedeutung sein, die mit Randgruppen arbeiten, die bis vor kurzem keine Möglichkeiten hatten, an der allgemeinen Diskussion teilzunehmen und Ansichten des Mainstream infrage zu stellen.“
Ja, aber wie sollen sie ihren Lebensunterhalt verdienen? „Bei dem neuen Finanzierungsmodell, das zunehmend auf Crowdfunding beruht, ist es entscheidend, sich sein Publikum zu schaffen.“
Etablierte Fotografen brauchen sich jedenfalls nicht notwendigerweise Sorgen um die Demokratisierung ihres Mediums zu machen. „Ich kann in diesem Beruf überleben, weil ich über bestimmte Fertigkeiten verfüge“, sagt Olmos. "Ich erzähle Bildergeschichten. Meine Kompositionen sind besser als die der meisten anderen Leute. Ein Mikroprozessor im Computer macht einen ja auch nicht zum Schriftsteller. Genau sowenig macht dich eine Instagram-App auf deinem Telefon zu einem großen Fotografen.“
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