Porträt Alberner Polemiker? Neomarxistischer Agitator? Menschenfeind? Oder einfach nur klug? Ein Besuch bei Slavoj Žižek, dem Popstar der Intellektuellen
Slavoj Žižek kennt die Nummer seiner eigenen Wohnung nicht. „Macht nichts“, sagt er dem Fotografen, der kurz rausgehen möchte, und Angst hat, den Weg nicht wieder zu finden. „Kommen sie einfach durch den Haupteingang wieder rein und denken sie dann wie ein Rechtsradikaler: Sie wenden sich von links nach rechts und machen dann am Ende eine weitere Rechtswende.“ Aber die Nummer weiß er nicht, nur für den Fall, dass der Fotograf sich verirrt? „Ich glaube, es ist die zwanzig. Aber wer weiß? Überprüfen wir es nochmal“, sagt Žižek, trottet los, öffnet die Tür und schaut nach.
Als Žižek sich von dem Fotografen verabschiedet, zeigt er über seinen Wohnort Ljubjana hinweg: „Da drü
a drüben wohnt so etwas wie das Establishment der Gegenkultur – die hassen mich, ich hasse sie. Das ist die Sorte Linke, die ich hasse. Radikale Linke mit reichen Vätern.“ Die meisten anderen Gebäude seien Regierungsgebäude: „Hasse ich.“ Er hat sich wieder ins Wohnzimmer begeben, einem klinisch sauberen, funktionalen Raum ohne erkennbaren ästhetischen Anspruch. Die einzigen Zugeständnisse sind ein Poster des Videospiels Call of Duty: Black Ops und ein Druck von Josef Stalin. Žižek gießt Cola light in mit Disney-Werbung bedruckte McDonald's-Becher. Als er einen der Küchenschränke öffnet, sind darin nur Kleidungsstücke.Die eigenen Bücher füllen einen Raum„Ich lebe wie ein Verrückter!“, ruft er aus und führt mich durch seine Wohnung, um mir zu zeigen, warum er Klamotten in seinen Küchenschränken hat. „Sehen Sie, woanders ist kein Platz!“ Tatsächlich stapeln sich in allen anderen Räume vom Boden bis an die Decke DVDs und Bücher. Allein seine eigenen fünfundsiebzig Werke, in unzählige Sprachen übersetzt, füllen ein ganzes Zimmer.Der 1949 geborene slowenische Philosoph und Kulturkritiker wuchs unter Tito im ehemaligen Jugoslawien auf, wo er, da man ihn als Dissidenten verdächtigte, aufs akademische Abstellgleis verbannt wurde. Im Westen wurde man auf ihn aufmerksam mit seinem ersten auf Englisch verfasstem Buch The Sublime Object of Ideology. Das Buch handelt von seinem großen Helden Hegel aus der Perspektive des Psychoanalytikers Jaques Lacan, den er ebenfalls zu seinen Helden zählt. Danach kamen Titel wie Living In The End Times, Filme wie The Pervert's Guide to the Universe, sowie zahllose Artikel für Zeitschriften und Zeitungen.Bioäpfel und MarxismusGemessen an den Standards der Kulturtheorie gehört Žižek zwar zu den zugänglicheren ihrer Vertreter. Auf das Risiko hin, Žižeks fanatische weltweite Anhängerschaft zu verärgern, würde ich trotzdem sagen, dass ein Großteil seiner Arbeiten dunkel bleibt.Das meiste von dem, was Liberale für radikal betrachten, ändert nach Ansicht des Marxisten Žižek eigentlich überhaupt nichts: „Wenn man zum Beispiel einen Bioapfel kauft, macht man das aus ideologischen Gründen. Es gibt einem ein gutes Gefühl: 'Ich tue etwas für Mutter Erde' und so. Doch was hat es mit diesem Engagement auf sich? Es ist ein falsches Engagement. Paradoxerweise tun wir solche Sachen, um zu vermeiden, wirklich etwas zu tun. Man fühlt sich gut. Man recyclet, schickt fünf Euro im Jahr an ein Waisenkind in Somalia und hat seine Pflicht getan.“Stattdessen aber hat man sich zu einer Art Ablasshandlung verleiten lassen, die den unangefochtenen Fortbestand des Status Quo ermöglicht? „Genau.“ Die Besessenheit der westlichen Linken mit der Identitätspolitik lenke nur vom Klassenkampf ab. Žižek tritt zwar für keine je realisierte Version des Kommunismus ein, ist und bleibt aber ein, wie er es nennt, „komplizierter Marxist“ mit revolutionären Idealen. Žižek ist seit der Krise ein globaler PromiSeinen Kritikern gilt er als „Borat der Philosophie“ (so ein Fan), der ein unerhörtes Statement nach dem anderen loslasse, um einen Skandal auszulösen. „Das Problem mit Hitler war, dass er nicht radikal genug war“. Oder: „Ich bin kein Mensch. Ich bin ein Monster.“ Die einen halten ihn für einen alberner Polemiker, andere fürchten ihn als Agitator eines neomarxistischen Totalitarismus. Seit der Finanzkrise jedoch ist er zu einem globalen Promi geworden, der Massen von Bewunderern anzieht. Seine eigene Popularität ist eines jeder Paradoxe, denen Žižek sich widmet. Wenn es nämlich nach ihm ginge, sagt er, würde er am liebsten mit niemandem reden.Der energetische Schwall guter Manieren, mit dem er uns empfängt, verrät das zwar nicht, dafür stellt er aber schnell klar, dass seine Aufmerksamkeit bloß dem Zweck dient, seine Menschenfeindlichkeit zu verbergen. „Meine Vorstellung von der Hölle sind Partys wie in Amerika. Oder wenn ich gebeten werde, einen Vortrag zu halten und es heißt : 'Nach dem Vortrag wird es einen kleinen Empfang geben'“. Ich weiß, dass das die Hölle ist. Das bedeutet, dass all die frustrierten Idioten, die es nicht hinkriegen, ihre Fragen am Ende des Vortrags zu stellen, zu einem kommen und dann irgendwie so anfangen: „Professor Žižek, ich weiß, Sie müssen müde sein, aber...“ Dann fick dich. Wenn du weißt, das ich müde bin, warum stellst du mir dann Fragen? Ich werde wirklich immer stalinistischer. Die Linken sagen doch immer, dass Totalitaristen die Menschheit an sich mögen, aber kein Mitgefühl gegenüber konkreten Einzelpersonen verspüren, oder? Das trifft genau auch auf mich zu. Die Menschheit? Die ist schon okay – ein paar großartige Vorträge, ein bisschen große Kunst. Aber konkrete Menschen? Von denen sind 99 Prozent langweilige Idioten.“Studenten kann er am wenigsten leiden: „Ich war schockiert, als mich einmal in den USA, als ich noch unterrichtet habe – was ich nie wieder tun werde – ein Student auf mich zukam und sagte: 'Wissen Sie. Professor, ich fand interessant, was sie gestern gesagt haben. Ich weiß nicht, worüber ich schreiben soll. Könnten Sie mir bitte noch ein paar Gedanken mitteilen? Vielleicht krieg ich dann eine Idee.' Was glaubt der, wer ich bin?“Statt um Hegel geht es um SexDie meisten seiner Lehraufträge in Europa und den USA hat er aufgegeben. „Besonders hasse ich es, wenn die Studenten mit persönlichen Problemen zu mir kommen. Dazu ist mein Standardsatz: 'Guck mich mal an mit meinen Ticks. Siehst du nicht, dass ich verrückt bin? Wie kannst du nur dran denken, einen Irren wie mich um Rat bei einem persönlichen Problem zu bitten?' Trotzdem funktioniert es nicht! Sie vertrauen mir weiter. Das hasse ich – das ist es auch, was ich an der amerikanischen Gesellschaft nicht mag – diese Offenheit. Wie wenn man jemanden zum ersten Mal trifft und der anfängt, einem was von seinem Sexleben zu erzählen. Ich hasse, hasse das.“Ich muss lachen, denn er selbst ist innerhalb weniger Augenblicke nach unserer ersten Begegnung auf sein Sexleben zu sprechen gekommen. Im Fahrstuhl hat er erzählt, dass eine ehemalige Freundin ihn um eine „einverständliche Vergewaltigung“ gebeten habe. Ich hatte eigentlich erwartet, dass er über sein neues Buch über Hegel sprechen wollen würde, eigentlich scheint er aber lieber über Sex reden zu wollen.„Ja, ich bin da eben extrem romantisch. Wissen Sie, wovor ich mich fürchte? Diesem postmodernen, permissiven, pragmatischen Umgang mit Sex. Schrecklich. Sie behaupten, Sex sei gesund, gut fürs Herz und den Blutkreislauf und entspannend. Sogar übers Küssen heißt es, es sei gut, weil es irgendwelche Muskeln stärke – fürchterlich, oh Gott.“Das Versprechen der Dating-Agenturen, die Risiken der Romantik „auszulagern“ findet er entsetzlich. „Das ist keine absolute Leidenschaft mehr. Mir gefällt die Vorstellung von Sex als Teil der Liebe, Sie wissen schon: 'Ich würde meine Mutter in die Hölle verkaufen, um ewig mit die vögeln zu können.' Das hat so etwas Schönes, Transzendentes. Ich bleibe ein unheilbarer Romantiker.“One-Night-Stands? Bitte nicht!Ich denke einmal mehr, dass ich nun mal mit einer Frage zwischen sein Wortschwall gehen sollte, aber er hat schon wieder losgelegt: „Ich habe komische Grenzen. Ich bin sehr – okay, noch ein Detail, Scheiß drauf. Ich konnte nie – selbst wenn die Frau es wollte – Analsex haben. Wissen sie warum nicht? Weil ich mich nicht davon überzeugen konnte, dass es ihr wirklich gefiel. Ich hatte immer diesen Verdacht, sie könnte sich verstellen, um für mich attraktiver zu sein.“ “Er kann an einer Hand abzählen, mit wie vielen Frauen er geschlafen hat, weil er die ganze Sache so nervenaufreibend findet. „Ich kann keine One-Night-Stands haben. Ich beneide Leute, die das können. Es wäre so schön. Ich fühle mich gut, los geht’s, bang-bang – ja! Für mich aber ist die Sache so lächerlich intim. Oh Gott, es ist schrecklich vor einem anderen Menschen nackt zu sein, wissen Sie? Wenn der andere eine böse Bemerkung macht - 'Ha, ha, dein Bauch!' zum Beispiel – kann das alles kaputt machen, wissen Sie?“ Außerdem müsse für ihn immer der Glaube dabei sein, dass es für immer sei.Er hat drei Scheidungen hinter sich – wie ist er damit zurechtgekommen. „Das kann ich Ihnen sagen. Wissen Sie, der junge Marx – ich idealisiere ihn nicht, persönlich war er ein furchtbarer Typ – aber er hatte eine wunderbare Logik, hat gesagt: 'Man löst nicht einfach eine Ehe auf. Scheidung bedeutet die rückwirkende Feststellung, dass diese Liebe nicht die wahre war.' Wenn die Liebe geht, stellt man rückwirkend fest, dass es gar keine wahre Liebe war.“Und so hat er es auch gemacht? :„Ja! Ich lösche total. Ich glaube nicht nur, dass ich nicht mehr verliebt bin, sondern, dass ich es nie war.“Wie zur Illustration wirft er einen Blick auf die Uhr. Sein zwölfjähriger Sohn, der nicht weit von hier wohnt, kommt bald. Wie will er dann weiterarbeiten? Keine Sorge, lautet die Antwort, er kommt auf jeden Fall zu spät – weil seine Mutter immer zu spät sei: „Diese Schlampe, die behauptet, meine Frau gewesen zu sein.“ Waren sie denn nicht verheiratet?: „Doch, leider.“Žižek hat zwei Söhne – der andere ist schon über dreißig – wollte aber eigentlich nie Kinder. „ Ich werde Ihnen erzählen, wie es kommt, dass ich meine zwei Söhne liebe. Das ist meine linke, mitfühlende Seite. Ich kann nichts dagegen machen, wenn ich jemanden sehe, der verletzt oder verletzbar ist. Und genauso war es bei meinem Sohn. Da er kein reines Wunschkind war, wollte ich ihn noch mehr lieben.“Abstecher in die WirklichkeitSpätestens jetzt ist mir klar, dass wir heute noch nicht mal mehr annähernd über Žižeks neues Buch über Hegel sprechen werden. Stattdessen erzählt er mit etwas über die Urlaube, die er gemeinsam mit seinem Sohn verbringt. Zuletzt waren sie im Burj Al Arab-Hotel, einem grotesk prahlerischem Kitsch-Tempel in Dubai. „Warum nicht? Ich mach gerne verrückte Sachen. Aber ich habe meine marxistische Pflicht getan. Ich habe mich mit dem pakistanischen Taxifahrer angefreundet, der mir und meinem Sohn die Wirklichkeit gezeigt hat. Er hat die ganze Struktur des Lebens der Arbeiter dort und der Kontrolle darüber erklärt. Mein Sohn war entsetzt.“Diesen Sommer fahren sie nach Singapur, auf eine künstliche Insel mit Swimmingpools auf fünfzigstöckigen Wolkenkratzern. „Da können wir dann schwimmen, auf die Stadt runter gucken und 'Ha, ha, fickt euch!' rufen. Sowas mache ich gerne – total verrückte Sachen.“ Als sein Sohn noch jünger war, habe es noch nicht so viel Spaß gemacht. „Aber inzwischen haben wir so eine Art Rhythmus. Wir schlafen bis eins, frühstücken, gehen in die Stadt – keine Kultur, nur Konsum oder so blöde Sachen – dann geht’s zurück zum Abendessen, dann Kino und dann spielen wir bis drei Uhr Morgens Computerspiele.“Ich frage mich, wie all das bei Žižeks jungen, ernsthaften Anhängern ankommt und habe ein bisschen Angst, dass sie sauer sein werden, weil ich nichts Ernsthafteres aus ihm heraus gekriegt habe. Aber für Žižek sagt Dubai ebenso viel über die Welt, wie etwa eine Schuldendebatte es je könnte. Als sein süßer, höflicher junger Sohn erscheint, versuche ich Žižek auf die Finanzkrise zu sprechen kommen zu lassen und auf die Hoffnung seiner Bewunderer, er werde zur Formulierung einer radikalen Antwort beitragen.„Ich betone immer, dass man das von mir nicht erwarten soll. Ich finde nicht, dass es die Aufgabe von jemandem wie mir ist, Komplettlösungen anzubieten. Was weiß ich schon, wenn ich nach der Wirtschaft gefragt werde? Ich halte es für die Aufgabe von Leuten wie mir, die richtigen Fragen zu stellen, nicht die Antworten zu liefern.“ Er sei nicht per se gegen die Demokratie, denke aber, dass unsere demokratischen Institutionen nicht mehr in der Lage sind, den globalen Kapitalismus zu kontrollieren. „Nette, einvernehmliche, schrittweise Reformen können vielleicht auf lokaler Ebene funktionieren.“ Doch gehöre der lokale Ansatz in die selbe Kategorie wie Bioäpfel und Recycling. „Es soll einem ein gutes Gefühl geben. Die große Frage dieser Tage lautet aber, wie man sich organisieren kann um global zu handeln, auf internationaler Ebene und zwar ohne in eine autoritäre Herrschaft zu verfallen.“Wie das gehen soll? „Ich bin Pessimist in dem Sinne, dass ich davon ausgehe, dass wir gefährlichen Zeiten entgegen gehen. Aus gleichem Grund bin ich aber auch Optimist. Pessimistisch betrachtet wird es Chaos geben. Optimistisch gesehen ist in eben solche Zeiten ein Wandel möglich.“ Für wie groß hält er die Wahrscheinlichkeit, dass sich nichts ändert? „Wenn das passieren sollte, nähern wir uns einer neuen autoritären Apartheidsgesellschaft. Ich muss betonen, dass es sich nicht um den dummen alten Autoritarismus handeln wird, sondern um eine neue, weiterhin auf Konsum ausgerichtete Form.“ Sieht dann die ganze Welt aus wie Dubai? „Ja. Und wissen Sie, die, die in Dubai auf der anderen Seite sind, sind buchstäblich Sklaven.“Irgendwie sind die Žižek'schen Wortschwälle auf seltsame Weise berührend. Dass er so liebenswert sein würde, hätte ich nicht erwartet, aber man kann wirklich bestens mit ihm auskommenIch hatte gehofft, herauszufinden, ob er ein Genie ist oder ein Irrer – fürchte aber, nicht schlauer als vorher zu sein, wenn ich gehe. Ich frage ihn, wie ernst man ihn nehmen solle. Er werde lieber gefürchtet, als für einen Clown gehalten zu werden, antwortet er: „Die meisten denken, dass ich Witze mache, übertreibe – aber dem ist nicht so. Erst scherze ich, dann bin ich ernst. Die Kunst besteht darin, die ernste Botschaft in das Forum der Witze hineinzutragen.“
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