Der russische Präsident Wladimir Putin hat einen grundlegenden Umbau der russischen Staatsführung in Angriff genommen. Wenige Stunden nachdem er Pläne für ein nationales Referendum angekündigt hatte, das die Macht seines Nachfolgers im Präsidentenamt schmälern würde, gab die russische Regierung überraschend ihren Rücktritt bekannt.
Mit der Umbildung der Regierung schockierte Putin Russlands politische Eliten, denen nur blieb, über seine Absichten zu spekulieren – und darüber, wer ins neue Kabinett berufen wird.
Experten sehen darin Putins Versuch, Vorkehrungen für den Übergang nach Ende seiner Amtszeit 2024 zu treffen. Er könnte sich dann aus dem Präsidentenamt zurückziehen, aber in der gestärkten Rolle als russischer Ministerpräsident oder im Staatsrat der Regierung an der Macht bleiben. Der 67-Jährige regiert Russland seit 2000. Das macht ihn zum am längsten amtierenden russischen Staatsführer seit Stalin. Was er für die Zeit nach 2024 plant, ist die wichtigste politische Frage im Land.
Putin hat Pläne
In einer vom Fernsehen übertragenen Rede vor hohen Beamten schlug Putin am Mittwoch Verfassungsänderungen vor: Zukünftig soll der Präsident nur noch maximal zwei Legislaturperioden im Amt sein – Putin selbst amtiert zum vierten Mal – und kein Wohnsitzrecht im Ausland haben dürfen. Außerdem sollen Kandidatinnen und Kandidaten für das Ministerpräsidentenamt und das Kabinett durch das Parlament vorgeschlagen werden.
Kurz nach der Rede kündigte Medwedew den Rücktritt der Regierung an, um Putin zu erlauben, neue Minister zu ernennen. Medwedew erhält laut Kreml einen neuen Posten als stellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsrates der Russischen Föderation, dem Putin vorsteht. Laut russischen Medienberichten wurden die Regierungsminister von der Rücktrittsentscheidung überrumpelt.
Putins Kandidat für die Medwedew-Nachfolge, der Chef der russischen Steuerbehörden Michail Mischustin, wurde heute vom Parlament im Amt bestätigt. Der 53-Jährige ist seit 1998 ohne aufzufallen Regierungsmitglied und seit 2010 Chef der Steuerbehörden.
Putin präsentierte in seiner Rede die angestrebten Verfassungszusätze als bedeutende Änderung und rief zum ersten landesweiten Referendum seit 1993 zu ihrer Bestätigung auf. Eine Stunde später sagte ein Vertreter der Wahlbehörden, ein Referendum könne umgesetzt werden, sobald die Vorschläge formalisiert sind.
„Was für Idioten sind alle, die gesagt haben, Putin würde 2024 aufhören”
Die Chefin des staatlichen TV-Senders RT Margarita Simonyan schrieb, „effektiv wird damit die Macht hin zur Legislative verschoben“. Weniger vertrauensselige Beobachter sehen darin den Versuch Putins, für den Machtwechsel 2024 vorzusorgen. „Das wichtigste Ergebnis von Putins Rede ist: Was für Idioten sind alle, die gesagt haben, Putin würde 2024 aufhören”, schrieb einer der lautstarken Anführer der russischen Opposition, Alexei Navalny.
Über die Frage, wen Putin als Nachfolger nominieren wird, ist weithin spekuliert worden. Laut Alexej Makarkin vom Moskauer Thinktank Zentrum für politische Technologien machen die Verfassungsänderungen diese Frage weniger wichtig. „Der Präsident wird keine so dominante Figur sein wie Putin“, erklärte Makarkin. „Die Benennung seines Nachfolgers ist dadurch keine so zentrale Entscheidung mehr.“
Kaum jemand erwartet, dass Putin sich aus dem öffentlichen Leben zurückziehen will – oder dass er das überhaupt könnte. Stattdessen könnte er wieder Ministerpräsident werden, wie im Jahr 2008. Oder er könnte dem politischen Vorbild von Ländern wie Kasachstan folgen, wo der frühere Präsident Nursultan Nasarbajew im vergangenen Jahr als Präsident zurücktrat, aber Chef des Sicherheitsrates und der regierenden Partei blieb. Ähnlich könnte Putin Chef des Sicherheitsrates der Russischen Föderation bleiben, dem Gremium der wichtigsten russischen Politiker, vor dem er am Mittwoch seine Rede hielt. „Es ist noch zu früh, um zu sagen, welche Rolle Putin dann spielen wird“, erklärte Makarkin. Aber Putins Worte seien ein „klares Zeichen“, dass er nicht Präsident bleibt, wenn seine Amtszeit ausläuft.
Medwedew hat ausgedient
Wegen Amtszeitsregeln zog sich Putin 2008 in einer bewegten Zeit für vier Jahre als Präsident zurück: Damals führte Russland in Georgien Krieg, sah sich wachsenden Anti-Kreml-Protesten gegenüber und schaffte es nicht, eine Nato-Intervention in Libyen zu blockieren. 2012 kam Putin zurück, und der Mann, der ihn vier Jahr ersetzt hatte, Dimitri Medwedew, galt nicht mehr als haltbarer, langfristiger Nachfolger.
In Russland stehen für 2021 Parlamentswahlen an und die vorgeschlagenen Änderungen würden es doppelt wichtig für Putin machen, eine loyale Mehrheit in der Staatsduma zu haben, vielleicht indem er eine formale Beziehung mit der Regierungspartei Einiges Russland eingeht. Obwohl er deren volle Unterstützung genießt, hatte Putin bisher abgelehnt, eine führende Rolle in der Partei zu übernehmen. In der Vergangenheit diente Einiges Russland häufig als Punching-Ball für die öffentliche Unzufriedenheit und die Unterstützung für die Partei sank unter 35 Prozent, nachdem Putin im vergangenen Jahr Rentenreformen angekündigt hatte.
Die Erwartungen an die Rede vom Mittwoch Abend, die auf einigen wenigen Bildschirmen in der Hauptstadt öffentlich ausgestrahlt wurde, waren hoch. Schwerpunkt der Rede war Armut und Soziales. Putin versprach zusätzliche Unterstützung für Familien mit Kindern mit dem Ziel, die Geburtenrate des Landes zu erhöhen, sowie höhere Renten.
Aber Putins Verfassungsänderungspläne erhielten die weitaus größte Aufmerksamkeit.
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