Der Funke Hoffnung

Nahost Die Gespräche zwischen Israelis und Palästinensern werden scheitern. Ein unilateral ausgerufener Palästinenserstaat wäre der allein mögliche Weg in Richtung Frieden

Benjamin Netanyahu hat einen diplomatischen Sieg verbucht: Die Amerikaner haben den Druck von Israel auf die Palästinenser verlagert und sie dazu gedrängt, in direkte Verhandlungen mit den Israelis einzuwilligen. Wahrscheinlich geht er davon aus, dass die Gespräche scheitern, weil die Palästinenser an irgendeinem Punkt den Verhandlungstisch verlassen werden, was ihm den perfekten Vorwand für den Erhalt des Status Quo liefern würde. Doch wie hohl wäre ein solcher Sieg?

Die 67er Grenzen

Netanyahu war schon immer der Ansicht, dass Israel, als Außenposten des Westens im Nahen Osten noch über eine sehr lange Zeit hinweg Bedrohungen ausgesetzt sein werde und ein Friedensabkommen dies berücksichtigen müsse. Auf die positive Dynamik eines Friedensprozesses zu setzen, das reicht ihm als Gewähr für das Überleben des Staates Israel nicht aus und die Erfahrungen des vergangenen Jahrzehnts, das mit der Zweiten Intifada im September 2000 seinen Anfang nahm, hat die Mehrheit der israelischen Wähler dazu gebracht, sich dieser Haltung anzuschließen. Man kann daher aus guten Gründen davon ausgehen, dass die detaillierten Vorschläge, die in diesem Jahr von dem einen harten außenpolitischen Kurs vertretenden Jerusalem Center for Public Affairs gemacht wurden, mehr oder weniger Netanyahus Position widerspiegeln.

Diese Denkfabrik steht immerhin mit Netanyahus Stellvertreter und Minister für strategische Angelegenheiten Moshe Ya'alon und seinem Sicherheitsberater Uzi Arad in Verbindung. Deren Forderungen lauten: Der internationale Konsens, dass die Grundlage für jede Friedensvereinbarung die Grenzen von 1967 sein müssten, sei nicht akzeptabel, weil dies nicht mit den Sicherheitsbedürfnissen Israels vereinbar sei. Israel müsse folglich zu einer an seinen Sicherheitsinteressen orientierten Diplomatie zurückkehren und die Parameter eines jeden Friedensvertrages sollten selbstredend ebenfalls entlang dieser Sicherheitsinteressen formuliert werden. Man müsse, um im Fall eines Angriffs von Osten her genügend Zeit zur Mobilisierung zu haben, sowohl die Kontrolle über das Jordantal als auch über strategisch wichtige Abschnitte des palästinensischen Territoriums behalten. Da Israel ganz besonders durch Luftangriffe gefährdet sei – sei es in Form von Raketenangriffen oder Angriffen nach dem Vorbild des 11. September 2001 – bedürfe es der Kontrolle über den gesamten Luftraum westlich des Jordans.

Diese Bedrohungsszenarien lassen sich nicht einfach als paranoide Phantasien abtun, schließlich gibt es dafür in der Vergangenheit genügend konkrete Präzedenzfälle – von Raketenangriffen aus dem Osten bis hin zu Versuchen, israelische Zivilmaschinen abzuschießen.

Erwartungen an Abbas

Damit lastet ein enormer Druck auf Präsident Abbas. Ein beträchtlicher Teil seiner Wählerschaft hat das Recht der Palästinenser, in das gesamte Gebiet des historischen Palästina zurückzukehren, noch nicht aufgegeben. Viele Palästinenser würden es mittlerweile vorziehen, den Friedensprozess als gestorben zu betrachten: Stattdessen sollte die Autonomiebehörde ihre eigene Auflösung bekanntgeben und die israelische Staatsbürgerschaft für die Palästinenser verlangen. Es gäbe fortan einen gemeinsamen Staat, in dem die Palästinenser schnell die Mehrheit der Bevölkerung stellen würden.

Um die nötige Unterstützung für ein Friedensabkommen zu erhalten, bräuchte Abbas einige gewichtige Erfolge von hohem symbolischen Wert. Die wichtigste hiervon wäre die palästinensische Souveränität über Ost-Jerusalem und wenigstens eine wie auch immer geartete internationale Kontrolle über das so genannte Holy Basin, das die Altstadt und die Umgebung der Heiligen Stätten umfasst. Doch selbst dann wäre es für Mahmud Abbas alles andere als leicht, den Palästinensern ein Abkommen schmackhaft zu machen.

Zugeständnisse in Sachen Grenzverlauf würden Abbas Vorhaben vollkommen unterlaufen. Deshalb hat er darauf bestanden, dass die Gespräche in Washington die Grenzfrage einschließen müssten. Er hat allen Grund, misstrauisch zu sein. Wenn es zutrifft, dass Netanyahus Position mit der des Jerusalem Center übereinstimmt, bleibt selbst sein bestes Angebot weit hinter dem zurück, was sich an den Grenzen von 1967 orientiert.

Muster Gaza-Aggression

Die Distanz zwischen den beiden Parteien ist folglich so enorm, dass die Gespräche mit Sicherheit zum Scheitern verurteilt sind und wir besser daran tun, einen nüchternen Blick auf die Konsequenzen zu werfen, die unter anderem darin bestehen werden, dass die Position von Abbas und seines Premiers Salam Fayyad empfindlich geschwächt werden. Die Palästinenser haben keinerlei Hoffnung und Perspektive mehr, auf friedlichem Wege staatliche Souveränität zu erlangen, was zu erneuten terroristischen Angriffen führen wird. Israel wird darauf möglicherweise nach dem Muster der Operation Gegossenes Blei (Gaza-Intervention) reagieren. Dies wird nicht nur in der Weltöffentlichkeit zu einem Aufschrei der Empörung führen, sondern möglicherweise auch arabische Israelis dazu bringen, Anschläge innerhalb Israels auszuführen. Dies wiederum wird Israel dazu zwingen, die Bewegungsfreiheit für diese Bürger einzuschränken, was die demokratische Verfassung des Landes in Gefahr bringt.

Das Szenario, wonach die Autonomiebehörde sich auflöst und die internationale Gemeinschaft auffordert, Israel eine Ein-Staaten-Lösung aufzuzwingen, ist keine Lösung. Israel würde wieder die vollständige Kontrolle über die Westbank übernehmen, aber – um seinen jüdischen Charakter nicht zu gefährden – den Palästinensern keine Staatsbürgerrechte zugestehen. Der Vorwurf eines de facto Apartheidregimes ließe nicht lange auf sich warten, was die gegenwärtige Bunkermentalität der Israelis weiter verstärken dürfte.

Die einzige Chance

Das allein denkbare Szenario, das zu einem positiven Ergebnis führen könnte, ist die Option, auf die Fayyad seit geraumer Zeit hingearbeitet hat. Wenn die Gespräche gescheitert sind, rufen die Palästinenser 2011 unilateral einen Staat entlang der Grenzen von 1967 aus, werben für dessen internationale Anerkennung und üben auf den gegenwärtig unter ihrer Kontrolle befindlichen Gebieten de facto die staatlichen Hoheitsrechte aus. Diese Variante könnte nur dann Früchte tragen, wenn es ihm gelingt, Palästina über mehrere Jahre hinweg zu führen, ohne dass es zu Selbstmordattentaten oder anderen Anschlägen kommt. Die entscheidende Frage wird sein, ob sich die Haltung einer Mehrheit der israelischen Bevölkerung dadurch so stark verändert, dass diese den Glauben an den Frieden zurückgewinnt.

Trotz dieses Vorbehalts ist Fayyads Option die einzige, die einen Funken Hoffnung verspricht. Sollte er mit ihr Erfolg haben, könnte dies Israels entmachtete Liberale wachrütteln und dazu bewegen, wieder Partei für die Sache des Friedens zu ergreifen. Aber sowohl sie als auch Fayyad müssen sich darüber im Klaren sein, dass ein solcher Sinneswandel den größten Teil des bevorstehenden Jahrzehnts in Anspruch nehmen könnte. Und ihm Nahen Osten ist ein Jahrzehnt mehr als genug für weitere Katastrophen.

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Carlo Strenger | The Guardian

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